Interview über Standards in der Industrie 4.0 „Wer auf standardisierte Module setzt, profitiert mehrfach“

Peter Müller ist VP Product Center Modules bei Kontron. Das Unternehmen zählt zu den treibenden Kräften des COM-HPC-Standards und beteiligt sich auch an der Weiterentwicklung von COM Express.

Bild: Kontron
08.09.2020

Im Zuge der Digitalisierung werden Immer mehr neue Lösungen entwickelt, um den Bedarf an Sicherheit, Flexibilität und Kompatibilität abzudecken. Standards sind in diesem Umfeld von zentraler Bedeutung. Peter Müller, VP Product Center Modules bei Kontron, beschreibt einige der wichtigsten Standards, die im Umfeld von Industrie 4.0 zum Einsatz kommen.

Big Data ist ein wesentliches Element von Industrie 4.0. Welchen Standard sehen Sie in diesem Umfeld auf einem Spitzenplatz?

Ich sehe hier den COM Express Standard weit vorn. Der Computer-On-Module High Performance Computing (COM-HPC) Standard ist ein wichtiger Baustein des zukünftigen Edge-Computing. Er wurde speziell für maschinennahe Big-Data-Prozesse entwickelt und soll dem steigenden Datenvolumen des High-End-Edge-Computing gerecht werden. Außerdem kann man damit sowohl das Datenaufkommen von Edge Gateways mittels Edge -Servern bewältigen als auch in einer Embedded-Cloud rechenintensive KI-Analysen nahe an der Datenquelle durchführen. COM Express definiert Formfaktoren und Pinouts für Computer-on-Module. Die COM-Express-Definition im Mini-Formfaktor (84 mm x 55 mm) erfüllt die Anforderungen hinsichtlich Funktionalität und Performance von ultrakompakten Lösungen für den Embedded-Markt. Das sind beispielsweise auch Edge Computer, die in kleineren Maschinen oder Anlagen verbaut werden. Der Standard umfasst neben dem Mini- auch den compact (95 mm x 95 mm) sowie den Basic-Formfaktor (125 mm x 95 mm). Die aktuellen Digital Display Interfaces (DisplayPort, HDMI) und USB 3.0 sind in der Pin-Out-Definition von COM Express bereits integriert. Kontron zählt als Editor der COM-HPC Spezifikation zu den treibenden Kräften des COM-HPC-Standards, beteiligt sich auch intensiv an der Weiterentwicklung von COM Express und ist Mitglied der PICMG, dem Konsortium, das über die COM-Express-Spezifikation wacht.

Mit SMARC tritt ein weiterer Standard im industriellen Umfeld an. Was ist das Besondere daran?

Treibende Kraft für die Entwicklung des SMARC 2.1 Module Standard (Smart Mobility Architecture Module) war das Internet of Things (IoT). SMARC hat die Entwicklung innovativer Embedded-Computing-Lösungen mit relativ niedrigem Stromverbrauch maßgeblich vorangetrieben. Die Funktionalitäten der SMARC-Module von Kontron beispielsweise wurden für den mittleren Leistungsbereich konzipiert. Neben den Intel-Atom-Prozessoren werden vor allem ARM-Prozessoren wie der neue NXP i.MX8 in den verschiedenen Ausführungen unterstützt. In diesem Bereich zeichnet sich viel Bewegung ab, wie die Einführung der SMARC-2.1-Modul-Spezifikation im März zeigt. Sie unterstreicht die Reaktionsfähigkeit der SGET (Standardization Group for Embedded Technologies) auf derzeitige technologische Entwicklungen, ganz zu schweigen von den sich ändernden Anforderungen und Prioritäten der Entwickler und Systemintegratoren (SIs) von Embedded Systems. Die Aktualisierung des SMARC-2.1-Moduls soll daher sicherstellen, dass Embedded-Lösungen die Anforderungen an Hyper-Konnektivität im Bereich des IoT/IIoT zukunftssicher erfüllen können.

Offene Standards liegen in der IT-Welt im Trend. Wie sieht es damit im industriellen Umfeld aus?

Die allgemeine Marktentwicklung zeigt, dass die Zukunft der System-on-Modules (SoM) in der Open Standard Module (OSM) Specification liegt. Seit dem Frühjahr 2020 gibt es Prototypen, die darauf basieren. Die Weiterentwicklung der Spezifikation wird durch das Standard Development Team 5 (SDT.05) der SGET vorangetrieben und soll noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. OSM adressiert gelötete SoMs im unteren Leistungsbereich mit SoCs und Mikrocontrollern. Der kürzlich vorgestellte Standard adressiert vier Modul-Formate in den Größen Zero (0), Small (S), Medium (M) und Large (L). Sie können jeweils vollautomatisch verarbeitet werden. Dadurch wird die Produktion schneller. Und im Bereich applikationsspezifischer Lösungen aus SoM+Carrier sinken auch die Kosten, weil die manuelle Bestückung entfällt.

Industrie 4.0 ist ohne Hochverfügbarkeit und eine schnelle Datenübertragung nicht denkbar. Welche Lösung bietet sich hier an?

Time Sensitive Networking (TSN) ist meiner Einschätzung nach die Antwort auf diese Anforderungen. Die TSN-Spezifikation erweitert das Standard-Ethernet um neue Funktionen für Hochverfügbarkeit und Datenübertragung in Echtzeit. Damit ist der Grundstock für eine deterministische, sichere und durchgängige Kommunikation zur Steuerung von vernetzten Maschinen und Prozessen gelegt. Edge Computing und OPC-UA over TSN bieten neue Möglichkeiten der Maschinensteuerung und Anlagenvernetzung. Gleichzeitig vereinfacht TSN die industriellen Netzwerkinfrastrukturen, was zu einer deutlichen Kostenreduzierung führt.

Welche Rolle spielt 5G für IoT und Industrie 4.0?

Der neue Mobilfunkstandard der fünften Generation hat Potenzial für eine Vielzahl neuer industrieller Anwendungen. Die Latenzzeit von einer Millisekunde ist für Echtzeitanwendungen in der Automation kurz genug. Dies bietet die Chance für eine deterministische Herangehensweise und neue Möglichkeiten in Industrie-4.0-Prozessen. Sie können durch 5G auch dezentral in geschäftskritischen Echtzeitsystemen verarbeitet werden. Ich rechne damit, dass 5G-Netze zunächst als Private Networks lokal auf Firmengeländen betrieben werden, sodass Edge-Computing via 5G hier zu einem realistischen Szenario wird, bevor es im großen Stil zum Einsatz kommt.

Sicherheit hat einen hohen Stellenwert, wenn IT und Produktionsprozesse verschmelzen. Was bietet sich hier an?

SecureOS ist eine gute Wahl für mehr Sicherheit, denn jede Verbindung in die OT muss zur Sicherung der Daten und des Produktionsprozesses besonders geschützt sein. Hier bietet sich aus unserer Sicht die Kombination von Kontrons SUSiEtec SecureOS und Docker-Technologie an. Das SUSiEtec SecureOS basiert auf einem Betriebssystem, das individuell auf die eingesetzte Hardware und den Verwendungszweck abgestimmt ist. SecureOS wird mit einem maßgeschneiderten Kernel und den erforderlichen Treibern bestückt. Verbindungen nach außen sind klar definiert und werden vom System überwacht und verwaltet. Das schafft hohe Sicherheitsbarrieren. SUSiEtec SecureOS basiert auf einem Yocto Linux BSP, einem Betriebssystem mit zwei Partitionen, das für x86 oder ARM konzipiert wurde. Es gewährleistet besonders hohe Sicherheitsstandards, wenn zum Beispiel Update-Prozesse anstehen. Der Update-Mechanismus kann vom Kunden aber auch für das Rollout von Endanwendungen genutzt werden. Kontron stellt die sichere Umgebung zur Verfügung; der Maschinenbetreiber kümmert sich um die Verwaltung seiner Maschinen und die eigenen Applikationen. Verbindungen nach außen sind klar definiert und werden vom System überwacht und verwaltet. Ein mandantenfähiges Device Portal mit Containermanagement erlaubt dem Kunden, eigene Applikationen kontrolliert ins Feld zu bringen. Regelmäßige Penetrationstests des kompletten Systems sorgen dafür, dass Sicherheitslücken rechtzeitig identifiziert werden. Die Testergebnisse fließen in geplante oder kurzfristige Updates ein. Schlägt ein Update fehl, kommt automatisch die Vorgängerversion zum Einsatz.

Können Sie die Vorteile von Modulstandards vielleicht noch einmal knapp zusammenfassen?

Wer auf standardisierte Module setzt, profitiert mehrfach. Hier möchte ich die Time-to-Market erwähnen, wodurch die Entwicklung beschleunigt wird. Ein weiterer Aspekt ist die Total Cost of Ownership (TCO), denn standardbasierte Lösungen können kostengünstig in großen Stückzahlen hergestellt werden. Ein Vorteil ist auch die Langlebigkeit und Flexibilität dieser Lösungen.

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