Dr. Gunther Kegel, Pepperl + Fuchs Vorteil Reshoring ist reines Wunschdenken

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Dr. Gunther Kegel ist Präsident des ZVEI, Stellvertretender Präsident des VDE und darüber hinaus Vorstandsvorsitzender bei Pepperl+Fuchs. Seine Laufbahn bei Pepperl+Fuchs begann er schon im Jahr 1990. Bis er 2001 zum Vorsitzenden der Geschäftsführung berufen wurde, hatte er zahlreiche leitende Positionen innerhalb des Unternehmens inne. Des Weiteren ist Dr. Kegel äußerst aktiv im Zentralverband der Elektroindustrie Deutschland (ZVEI). Von 2007 bis 2019 war er dort Vorsitzender des Fachverbandes Automation, seit 2017 Vizepräsident des Verbands und nun Präsident.

Bild: Pepperl+Fuchs
10.11.2021

Wie lassen sich Lieferketten aufrechterhalten, welche Logistikstrategie ist in Zeiten von Handelsunsicherheit und Pandemien zielführend, macht „Reshoring“ der Produktion hier Sinn? Am Beispiel unseres eigenen Unternehmens können wir die Fragen beantworten und einige überraschende Erkenntnisse ableiten.

Pepperl+Fuchs unterhält globale Fertigungsstätten, die jeweils einen Teil des Portfolios für den Weltmarkt produzieren. Die Aufteilung folgt nicht den Märkten und nicht einer Sequenz der Wertschöpfung. In einer vertikalen Aufteilung des Portfolios auf die Standorte produziert jeder Standort in der Regel Fertigwaren für den Weltmarkt, die über drei große Warenverteilzentren global verteilt werden. Dabei spielen für die Auswahl der Standorte fünf Kriterien die wesentliche Rolle: Nähe zu Zulieferern, wettbewerbsfähige Produktionskosten, Verfügbarkeit von entsprechend ausgebildeten Mitarbeiter*innen, Zugang zu globalen Logistikstrukturen und mit einer gewissen, strategischen Gewichtung die Nähe zu wichtigen Absatzmärkten.

Wie zuverlässig waren die durchaus komplexen Lieferketten während der ersten Monate der Pandemie? Wie entwickelte sich ihre Robustheit und Kosteneffektivität in den weiteren Wellen der Pandemie? Das überraschende Ergebnis für unsere Branche ist, dass nicht der befürchtete aber ausgebliebene Zusammenbruch der Lieferketten die wirtschaftliche Situation der Unternehmen belastet hat, sondern die schnelle Abkühlung der Absatzmärkte und das global nachlassende Kundeninteresse.

Auch kostenseitig führten lediglich die durch die kollabierte zivile Luftfahrt entstandenen Luftfrachtengpässe zu teilweise deutlichen Aufschlägen für jede Art von Fracht. In 2021 haben wir bisher die genau gegenteilige Entwicklung: Die Nachfrage ist deutlich gestiegen, die Auftragseingänge liegen deutlich über dem „Vor-Corona-Niveau“, aber die Lieferketten sind dieser Dynamik nicht gewachsen.

Erstaunlicherweise liegt die Ursache der angespannten Liefersituation wiederum nur zu geringen Teilen an weiteren, pandemiebedingten Lockdowns und Einschränkungen. Der weitaus größere Teil der Lieferengpässe geht auf die Kapazitätsengpässe vor allem der Halbleiterindustrie zurück, die überproportionales Wachstum aus den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologien, Digitalisierung, E-Mobility und erneuerbaren Energien gleichzeitig verarbeiten muss.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Struktur der komplexen, globalen Lieferketten sich als ausreichend robust und zuverlässig gezeigt haben und nur geringen Einfluss auf die Lieferbereitschaft der Unternehmen unserer Branche hatte. Die fünf weiter oben genannten Auswahlkriterien haben also nach wie vor volle Gültigkeit. Damit entspricht die Vorstellung des „Reshoring“ der Produktion nach Europa oder sogar nach Deutschland eher einem allgemeinen Wunschdenken als denn dem Ergebnis einer Analyse der annähernd unveränderten Faktenlage.

Gilt dieses Ergebnis auch für die sich zuspitzende Eskalation der Handelsstreitigkeiten zwischen USA, Europa und China? Eine vertikale Aufteilung des Produktportfolios auf unterschiedliche globale Standorte, die alle die Weltmärkte bedienen, setzt einen möglichst uneingeschränkten multilateralen Welthandel voraus. Jede Zollabgabe, jedes Embargo behindert oder blockiert diesen vertikalen Ansatz. Auch durchaus größere Unternehmen teilen ihr Produktportfolio vertikal auf globale Produktionsstandorte auf.

So produziert BMW in den USA nicht etwa die Fahrzeuge für den US-amerikanischen Markt, sondern stellt in Spartanburg beispielsweise die SUV-Modelle für den Weltmarkt her. Mehr als 80 Prozent dieser in den USA gebauten Fahrzeuge werden exportiert. Nicht wenige Zukunftsforscher befürchten im Moment, dass der globale, multilaterale Welthandel aufgrund geopolitischer Vormachtsbestrebungen in einzelne Handelsräume zerfallen wird. Sollten sich die Zukunftsszenarien der „Patchwork“-Globalisierung bewahrheiten, wird das Modell der vertikalen Portfolioaufteilung nicht mehr funktionieren.

„Patchwork“-Globalisierung bedeutet, dass innerhalb der Handelsräume Handel weitgehend uneingeschränkt ablaufen kann, während Handel zwischen den Handelsräumen nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt möglich sein wird. In diesem Fall wären alle Unternehmen gezwungen, ihre Produktionsstrukturen nach Handelsräumen zu organisieren. In Asien wird ausschließlich für Asien produziert, in Europa für Europa und in Amerika für Amerika. Für die meisten Unternehmen wäre das nicht nur ein schwerwiegender Umbau ihrer Produktionsstätten.

Die langfristige Reduktion der „economy-of scale“ wäre für viele Unternehmen noch gravierender. Ein ursprünglich weltmarktfähiges Produkt nicht mehr an einem Standort fertigen zu können, sondern auf mindestens drei Standorte zu verteilen, drittelt die Stückzahl dieser Produktlinie quasi über Nacht. Für viele Unternehmen in Deutschland ist deshalb die Abkehr vom offenen multilateralen Welthandel und eine Zukunft der „Patchwork“-Globalisierung das deutlich bedrohlichere Szenario, als das Management globaler, komplexer Lieferketten selbst in pandemiebedingten Krisenzeiten.

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