Smart Integration Vorbei mit Hitzefrei

Lichthof des sanierten Schulzentrums: Gute Arbeitsbedingungen dank neuer Klimatechnik.

Bild: Architekturbüro Werner Haase, EA Systems Dresden
10.09.2015

Was in den Siebzigern modern war, erfüllt heute die Anforderungen nicht mehr. Bei der Umstellung der Klimatechnik auf regenerative Energien müssen viele Faktoren aufeinander abgestimmt werden. Wie gut das funktionieren kann, zeigt die Sanierung eines Schulgebäudes.

In diesem Jahr dürften schon viele Schulstunden ausgefallen sein, weil sich die Schüler im überhitzten Klassenzimmer nicht mehr konzentrieren konnten. Freibad statt Schule – das ist bei den Schülern beliebt, kann aber auf Dauer keine Lösung sein. Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen von Schülern mindestens so wichtig wie die von Angestellten: Kopfschmerzen und Erschöpfung wegen zu trockener, schlechter Luft, zu warme, zu kalte oder zugige Schulzimmer behindern Konzentration und Lernerfolg.

Die bisher genutzten konventionellen Klimaanlagen brauchen viel Strom und haben hohe Betriebskosten. Heute ist es jedoch möglich, ein ganzjährig gutes Raumklima zu schaffen, ohne dabei viel Energie zu verbrauchen. Mit Photovoltaik, Solar- und Geothermie stehen umweltfreundliche und kosteneffiziente Optionen bereit. Die teilweise volatile Verfügbarkeit regenerativer Energie wird dabei durch neueste Speichertechnologien überbrückt – dazu stehen etwa Batterie-, Wärme- und Kälte- sowie Eisspeicher bereit. Auf dieser Basis lassen sich passende Systemlösungen auch für Schulgebäude finden.

Am Beispiel des Schul- und Sportzentrum Nägelsee in Lohr am Main lässt sich zeigen, wie sich das Potential der aktuell verfügbaren Energieversorgungs- und Steuerungstechnik nutzen lässt. Das Gebäudeensemble galt zum Zeitpunkt des Baus Anfang der 1970er-Jahre als fortschrittlich. Nach heutigen Standards hält es weder die Richtlinien zur Energieeffizienz ein, noch bietet es ein angenehmes Lernumfeld.

2013 wurde deshalb unter der Leitung des Architekturbüros Werner Haase die Sanierung nach neuesten bautechnischen und energetischen Kriterien gestartet. Eines der Ziele bis zum Projektende 2018 ist dabei die Verminderung der Emissionsbelastung um bis zu 80 Prozent. Zudem soll ein ganzjährig angenehmes Lern- und Arbeitsumfeld für die Schüler und Lehrer geschaffen werden. Dafür wurden Maßnahmen getroffen, ausreichende Mengen an Kühlenergie bereitzustellen und die Gebäudeteile im Passivhausstandard inklusive umfangreicher Lüftungstechnik mit Wärme- und Feuchterückgewinnung saniert.

Komplexe Steuerungstechnik

Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Vorteile verschiedener energieeffizienter Technologien im Verbund genutzt werden. Die Lösung dieser Aufgabe stellt höchste Anforderungen an die Regelungs- und Steuerungstechnik. Das Konzept sieht vor, ganzjährig die Sonnenenergie zu nutzen, um Elektroenergie und vor allem Wärme und Kälte bereitzustellen. Am Tag erzeugen Wärmepumpen, die über Photovoltaik mit Energie versorgt werden, Wärme. Ein 100 m3 großer Schichtenwärmespeicher von zwölf Metern Höhe speichert diese und gibt sie in der Nacht bei Bedarf an die Gebäude wieder ab. Zusätzlich benötigte Wärme wird – vor allem wenn zusätzliche Elektroenergie gebraucht wird – im Gebäude durch ein Blockheizkraftwerk erzeugt und gegebenenfalls auch im Speicher eingelagert.

Die Kälteversorgung stellt eine deutlich größere Herausforderung dar. Um auch im Sommer regenerativ kühlen zu können, wird in Lohr als saisonaler Energiespeicher ein 1200 m3 großer Eisspeicher verwendet. Dieser wird in den Sommermonaten aufgetaut und liefert dabei Kühlenergie für das Gebäude. Im Winter wird er durch den Wärmeentzug der Wärmepumpen wieder eingefroren. Darüber hinaus werden Solarabsorberflächen verbaut, die sowohl dem Eisspeicher als auch den Wärmepumpen ganzjährig als weitere Wärmequelle dienen. In der kalten Jahreszeit kann dadurch auch bei geringer Temperatur der Umwelt – zum Beispiel Luft oder Regenwasser – Wärme entzogen werden. Im Sommer wird die solare Wärme direkt zur Beheizung, vor allem des Schwimmbads, genutzt.

Ziel ist, dieses komplexe System so zu gestalten, dass es mit allen Komponenten während der vorgesehenen Betriebszeit von mindestens 20 Jahren einwandfrei und möglichst optimal funktioniert. Dabei sollte am besten jeder potentiell auftretende Systemzustand frühzeitig erkannt und in seinen Wirkungen bewertetet werden. Die Lösung dafür: Simulation.

In das Sanierungsprojekt ist deshalb eine Forschergruppe mit einbezogen. Die Wissenschaftler von Fraunhofer ISE, Technischer Universität Dresden, der EA Energie-Architektur und der EA Systems Dresden nutzen bei ihrer Arbeit die Simulationssoftware SimulationX der Dresdner Firma ITI. Mit SimulationX lassen sich Komponenten oder komplexe physikalische Systeme schnell und effizient modellieren, analysieren und optimieren. In die Software integriert ist die Simulationsbibliothek Green Building. Sie dient der Modellierung und Simulation gebäudetechnischer Energieversorgungsanlagen einschließlich deren Regelung in Abhängigkeit vom Energiebedarf. Green Building wird durch die EA Systems Dresden in Kürze in Hinblick auf eine verbesserte Einsatzfähigkeit für lokale Versorgungsnetze und Stadtquartiere erweitert. Auf diese Weise können künftig neben Gebäudeplanern auch kommunale und regionale Entscheidungsträger neueste Simulationstechniken für die Planung und Bewertung effizienter Energieversorgungssysteme im urbanen Raum nutzen.

Schulalltag in der Simulation

Für die Schulsanierung wird zum einen der Energiebedarf, also Strom, Wärme und Kälte, anhand der Gebäudestruktur, den vorherrschenden Wetterbedingungen und der Nutzung des Gebäudes ermittelt. Dabei gehen klimatische Faktoren wie die Sonneneinstrahlung durch das Fenster eines Klassenzimmers genauso stark in die Bewertung ein wie die Anzahl der Schüler, die sich laut Stundenplan zu gewissen Zeiten in den einzelnen Räumen aufhalten. Zudem wird das komplexe Energieversorgungssystem inklusive Wärme-/Kälte- und Elektro­energieerzeugung ebenfalls in Simulationsmodellen abgebildet. In Zusammenhang mit der geplanten Regelung lässt sich das Verhalten der einzelnen Systemkomponenten, etwa die Temperaturen des Eis- und Schichtenspeichers sowie die Einschaltzeiten der Wärmepumpen und des Blockheizkraftwerks, genau abbilden.

Auf Basis der erstellten Simulationsmodelle beantwortet ein Forscherteam komplexe Planungsfragen. Ein Beispiel: Sollte der Eisspeicher im Winter lieber weiter ausgekühlt werden, um im Sommer mehr Kühlenergie zur Verfügung zu haben, auch wenn darunter die Effizienz der Wärmepumpe leidet? Oder ist es besser, die Wärmepumpen im Sommer direkt zur Kühlung zu nutzen? Anhand der erstellten Modelle kann die Regelung der Anlagentechnik schon vor der Inbetriebnahme schnell und umfangreich getestet werden.

Im Rahmen der Simulationsuntersuchungen werden die Grenzen der Rechentechnik ständig aufs Neue ausgereizt. In weniger als 30 Minuten bekommen die Forscher mit Hilfe der Software Ergebnisse zum System- und Gebäudeverhalten oder der Regelstrategie, die sie sonst nur im Rahmen langer Messkampagnen über mehrere Jahre hinweg erhalten könnten. Dadurch bilden die detaillierten Simulationsergebnisse ein solides Fundament für die Planung des Systems und sichern Investitionsentscheidungen frühzeitig ab.

Die Simulationsuntersuchungen für das Schul- und Sportzentrum Lohr am Main zeigen, dass durch entsprechende Regelungsstrategien beziehungsweise eine einfache Anpassung der Anlagenparametrierung bereits ein Einsparpotential bei den Energiekosten von 15 bis 20 Prozent besteht. Inzwischen nutzt das Forscherteam die erstellten Modelle auch dazu, ein selbstlernendes Energiemanagement zu entwickeln. Künftig soll dieses System in der Lage sein, mögliche Probleme im Vorfeld zu erkennen – und selbstständig Lösungen dafür zu finden.

Bildergalerie

  • Aula der Schule: Ein gutes Raumklima stand im Vordergrund des Projekts.

    Aula der Schule: Ein gutes Raumklima stand im Vordergrund des Projekts.

    Bild: Architekturbüro Werner Haase

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