Ackermanns Seitenblicke Von Spaghetti lernen

publish-industry Verlag GmbH

04.10.2018

Nicht immer erschließt sich, weshalb sich Forscher mit scheinbar belanglosen Problemen befassen. Zu diesen zählt beispielsweise die Frage, warum es nahezu unmöglich ist, eine ungekochte, Spaghetti-Stange in nur zwei Teile zu zerbrechen. Und wem diese Erkenntnis nutzen könnte.

Holen Sie, wenn Ihnen mal langweilig ist, eine Schachtel Spaghetti aus der Vorratskammer und experimentieren Sie einen Abend lang: Halten Sie die dünne Nudel an beiden Enden und biegen Sie sie, bis sie bricht. Sie werden so gut wie nie zwei Teile erhalten, sondern drei und mehr. Das liegt weder an der Pasta-Qualität, noch an dem Aufbewahrungsort oder an Ihnen. Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Schon der amerikanische Physiker Richard Feynman verbrachte 1939 einen Abend mit ähnlichen Experimenten - ohne jedoch dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen.

Hinter dem Phänomen stecken elastische Wellen. Sie erhöhen die Spannung in dem gebogenen Pasta-Stäbchen und erzeugen dadurch eine Vielzahl weiterer Bruchstellen. Wie erwartet, zerbrechen Spaghetti beim Biegen zunächst an dem Punkt höchster Krümmung. Der Bruch entspannt allerdings nicht den Rest der Stange, sondern erzeugt vielmehr elastische Wellen. Dieser Snap-Back-Effekt erhöht die Krümmung entlang des Stabes und löst weitere Bruchstellen aus.

Das MIT in Massachusetts berichtete dieser Tage stolz über eine neue Studie. Zwei Doktoranden beschreiben in ihr, ein eigens entworfenes Gerät, mit dem sich die Spaghetti endlich in zwei Teile brechen lassen. Sie fanden heraus, dass eine Stange, wenn sie über einen gewissen kritischen Grad hinaus verdreht und dann langsam in zwei Hälften gebogen wird, entgegen aller Erwartungen in zwei Teile zerbricht.

Die Lösung ist indes nicht grundsätzlich neu. Bereits vor 13 Jahren fanden französische Wissenschaftler Ähnliches heraus. Ihnen zufolge kann man Spagetti verdrehen, wodurch eine Torsion entsteht. Die Auflösung der Verdrehung verbraucht zusätzliche Energie, die einen anschließenden zweiten Bruch der Spagetti verhindert. Die Wissenschaftler untersuchten in ihrer Studie dieses Problem zunächst mittels der so genannten Kirchhoff-Gleichungen der Elastizitätstheorie. Danach führten sie auch Experimente mit wirklichen Spaghetti durch und filmten deren Bruch unter Biegung mit einer Hochgeschwindigkeitskamera. Die Aufnahmen bestätigten die zentralen Vorhersagen der Theorie. Falls Sie nachrechnen möchten: Trockene Spaghetti aus Hartweizen weisen bei einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent einen E-Modul von 4,3 kN/mm² auf. Eine Spaghetti No 1, 3 oder 5 hat eine Dichte ρ von 1,5 ± 0,1 g/cm³. Der E-Modul liegt bei 3,8 ± 0,3 GPa, der Schubmodul G bei 1,5 ± 0,2 GPa und die Poissonzahl v bei 0,3 ± 0,1.

Aber wozu das alles? Angeblich können die Ergebnisse auch jenseits der Kulinarik von Nutzen sein. Beispielweise unser Verständnis der Rissbildung verbessern und neue Erkenntnisse liefern, wie man Frakturen in anderen stabförmigen Materialien wie Multifaserstrukturen, künstlichen Nanoröhren oder sogar Mikrotubuli in Zellen kontrollieren kann. Die Erfahrungen mit Spaghetti lassen sich außerdem auch auf andere Materialien wie Glasfaser oder Metall übertragen.

Ein anderes gravierendes Nudelproblem lösen diese Erkenntnisse allerdings leider nicht: Wikipedia zufolge gelten Spaghetti als schwierige Speise in Bezug auf die Einhaltung der Tischsitten.

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  • Roland Ackermann

    Roland Ackermann

    Bild: Roland Ackermann

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