So arbeiten Smart Grid Cluster optimal in einem Verbund als virtuelles Kraftwerk Virtuelle Zusammenarbeit

VIVAVIS AG

Ein Virtuelles Kraftwerk wird auch als Schwarm von dezentralen Stromerzeugern bezeichnet. Darunter ist der Zusammenschluss von Stromproduzenten wie Windkraftanlagen, Biogasanlagen, Photovoltaikanlagen (PV), KWK-Anlagen oder Wasserkraftanlagen zu verstehen.

Bild: Vivavis; iStock, ipopba
12.10.2022

Das Projekt „Smart Grid Cluster“ beschäftigte sich speziell mit der Implementierung eines virtuellen Kraftwerks bestehend aus mehreren Smart Grids. Ziel des virtuellen Kraftwerks ist, neben der Bereitstellung von Wirkleistung durch dezentrale erneuerbare Erzeuger, im zukünftigen Energiesystem verschiedene Netzdienstleistungen wie Regelleistung oder Blindleistung zu erbringen und den Netzbetrieb zu optimieren.

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Das Konzept des Smart Grid Clusters wurde mithilfe von Labortests erprobt und im Netzgebiet Unterfarrnbach der Infra Fürth umgesetzt. Hierfür wurde ein Regelframework sowie neue Betriebsmittel entwickelt und eine BSI-konforme Kommunikationsinfrastruktur aufgebaut. Das Projekt wurde von einem Konsortium aus der Forschung und der Industrie zwischen März 2019 und August 2022 bearbeitet.

Kommunikation

Power Plus Communications sorgt für die Kommunikationsinfrastruktur. Die „letzte Meile“ bis zum Netzbetriebsmittel wurde mithilfe von Breitbandpowerline-Kommunikation (BPL) erschlossen, die Latenzen von unter 100 ms und Datenraten im Bereich einiger Mbit/s ermöglicht und die vor Ort verlegten Niederspannungskabel oder -freileitungen zur Datenübertragung nutzt. Als Backbone-Anbindung kommen im Projektgebiet zwei Konzepte zum Einsatz: Zum einen eine zentrale Anbindung großer BPL-Zellen über Mittelspannungspowerline bis zum Glasfaseranschluss im Umspannwerk. Zum anderen eine dezentrale Anbindung von kleinen Mikro-BPL Zellen via LTE. Beide Zellen waren mittels eines Layer-2-VPN direkt miteinander gekoppelt.

Eine wesentliche Weiterentwicklung gegenüber dem Vorgängerprojekt ist die sichere Datenübertragung über Smart-Meter-Gateways. Für die Übertragung von Schaltbefehlen und Fahrplänen wird die sogenannte „Controllable Local Systems“-Schnittstelle (CLS) genutzt. Als Besonderheit in diesem Projekt befindet sich der sogenannte „aktive externe Marktteilnehmer“ (aEMT) in Form eines Controllers in unmittelbarer Nähe zu den Netzbetriebsmitteln – nämlich in der Ortsnetzstation. So wird es grundsätzlich möglich, eine dezentrale Verteilnetzregelung zu realisieren, die auch im Zweifelsfall autark agieren und zum Beispiel einen temporären Inselnetzbetrieb aufrechterhalten kann.

Leittechnik

Vivavis ist als Hersteller von Systemen für die digitale Infrastruktur in der Energieversorgung am Forschungsprojekt beteiligt. Das Unternehmen steuert die Komponenten zur Datenerfassung und Steuerung der im Feld vorhandenen Messgeräte und Anlagen bei. Zusätzlich realisiert es die Datenkommunikation zwischen der Ortsnetzstation und den einzelnen Feldgeräten BSI-konform über ein intelligentes Messsystem (iMSys).

Durch den Einsatz einer Steuerbox und die damit verbundene Kommunikation über das Protokoll IEC 61850 konnte die bestehende ressourcenintensive Kommunikation (Modbus-Polling) durch Umstellung auf eine ausschließliche Übertragung relevanter Datenänderungen (IEC 61850 Reporting) erheblich verbessert werden. Die Kommunikation zwischen Steuerbox und Ortsnetzstation erfolgt verschlüsselt über das intelligente Messsystem und somit BSI-konform. Lokal werden die regelbaren Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen über das bekannte SunSpec-Protokoll via Modbus/TCP angesteuert.

In der Ortsnetzstation ist eine dezentrale Regelung des entsprechenden Ortsnetzbereichs realisiert. Dazu integrierte Vivavis die gesamte benötigte Laufzeitumgebung für den von der Technischen Universität München entwickelten Regelalgorithmus in die Feldtechnik der Ortsnetzstation. Dort werden alle Messdaten im Ortsnetzbereich gesammelt und dem Regelalgorithmus zur Verfügung gestellt.

Dieser löst anhand der Daten entsprechende Regelbefehle aus, die wiederum an die Steuerboxen im Feld weitergeleitet werden. Damit wird ein in sich geschlossener Betrieb der Regelung des Ortsnetzbereichs erreicht. Zusätzlich ist die Ortsnetzstation an die Leitsystemebene angebunden, sodass auch aus übergeordneten Netzbereichen entsprechende zentrale Regelvorgaben erfolgen können.

Durch die deutlich größere Anzahl von Betriebsmitteln wachsen die Anforderungen an die Vereinfachung der Systemparametrierung. Hier wurde an zwei Wegen gearbeitet: Die Objektorientierung von Betriebsmitteln im Engineering-Prozess und die Automatisierung durch die Nutzung und Aufbereitung von Netzmodelldaten aus anderen Systemen (GIS, Netzplanung). Diese Daten werden nicht nur für das zentrale Netzleitsystem – also die klassischen SCADA-Funktionen zur Visualisierung und Netzberechnung – verwendet, sondern auch den intelligenten dezentralen Einheiten der Regelung im Feld zur Verfügung gestellt.

Leistungselektronik

Zum Ausgleich schwankender Erzeugungs- und Verbrauchsleistungen wurden durch den Projektpartner Grass Power Electronics dezentrale elektrische Speicher mit Lithium-Batterien zur Stabilisierung des Netzes installiert. Diese Speicher übernehmen unterschiedliche Aufgaben, um den Netzbetrieb zu optimieren.

Einerseits werden Leistungsspitzen verkleinert, wenn die Speicher gezielt Energie aufnehmen oder abgeben. Andererseits sind die Speicher über moderne Leistungselektronik an das Netz angeschlossen. Durch spezielle, im Projekt entwickelte Steuerungs- und Regelungsverfahren trägt diese durch den gezielten Einsatz von Blindleistung zur Einhaltung der Spannungsgrenzen im Netz bei. Dadurch können die Leitungen im gesamten Netz stärker ausgelastet werden, was zu einer höheren übertragbaren Leistung führt.

Die Speicher sind modular aufgebaut, sodass eine Anpassung der Leistung in Schritten von 50 beziehungsweise 100 kW einfach möglich ist. Die Effizienz der Anlagen konnte durch Verwendung von Batterien mit Gleichspannungen bis circa 800 V deutlich erhöht werden. Die Leistungselektronik kann auch ohne Batterie­speicher mit einer modifizierten Software als ein reiner Blindleistungssteller in dem System eingesetzt werden.

Grass Power Electronics konnte in Zusammenarbeit mit dem Institut ELSYS der Technischen Hochschule Nürnberg im Rahmen des Forschungsprojektes Stromrichter mit GaN-Leistungshalbleitern umsetzen. Weiterhin konnte die Funktionalität und Dynamik der Anlagen durch eine neu entwickelte Signalprozessorsteuerung mit umfangreichen Softwaremodulen systematisch weiterentwickelt werden. Die Anlagen sind dadurch in der Lage, etwa störende oder unerwünschte Frequenzen, sogenannte Oberschwingungen, zu erkennen und durch Erzeugung von Strömen in Phasenopposition zu eliminieren.

Die Anlagen wurden mit umfangreicher Datenkommunikation sowie Aufzeichnungs- und Analysefunktionen ausgestattet, die auch fernauslesbar sind. Dadurch können alle Betriebszustände detailliert untersucht und ausgewertet werden, um die Anlagen weiter zu optimieren.

Regelkonzept

Die Professur für Elektrische Energieversorgungsnetze der Technischen Universität München hat innerhalb des Projektes, neben der Koordination der Aufgaben, die Entwicklung eines Regelframeworks sowie der Regelstrategien übernommen.

Ziel war es einen hierarchischen und damit sicheren und einfach zu skalierenden Aufbau zu erreichen. Hierfür wurden verschiedene Ebenen innerhalb der Regelstruktur definiert. Die untere Ebene stellt die Einhaltung der physikalischen Limits des Netzes sicher (thermische Grenzwerte, Spannungsgrenzwerte). Diese Ebene ist lokal bei den Erzeugern implementiert und kommt somit ohne Kommunikationsinfrastruktur aus. Damit stellt sie auch die Rückfallebene bei Kommunikationsproblemen oder Störungen dar. Die übergeordnete Regelebene koordiniert die Erbringung von Dienstleistung und sorgt für einen optimierten Netzbetrieb.

Die Regelstrukturen selbst sind über Behavior Trees definiert. Diese bieten, im Gegensatz zu herkömmlichen Zustandsautomaten, eine übersichtlichere und modulare Struktur. Um die im virtuellen Kraftwerk für Dienstleistungen zur Verfügung stehende Leistung zu ermitteln, wird eine vereinfachte Zustandsschätzung verwendet. Dazu werden die speziellen Abhängigkeiten der Zielgrößen von den Stellgrößen über Simulationsmodelle ermittelt und in linearisierter Form den Reglern übergeben. Auf dieser Basis können Optimierungsprobleme formuliert werden, die in Echtzeit gelöst werden können, um beispielsweise Leistungen optimal zu verteilen oder Engpässe zu vermeiden.

Auf Grundlage dieses Konzepts wurde ein neues, echtzeitfähiges Regelframework entwickelt und simulativ erprobt. Nach erfolgreichen Labortests kommt es auch im Feldtestgebiet zum Einsatz. Die Regelung arbeitet dabei mit einem Intervall von wenigen Sekunden, wodurch dynamisch und schnell auf kurzfristige Änderungen, beispielsweise in der Einspeisung von Erneuerbaren Energien, reagiert werden kann.

Fazit

Das Projekt „Smart Grid Cluster“ hat gezeigt, dass mithilfe der iMSys-Infrastruktur die Umsetzung eines virtuellen Kraftwerks nach Vorgaben des BSI möglich ist. Im Einzelnen waren einige Individuallösungen notwendig, um die verschiedenen Komponenten in eine gemeinsame Regelstruktur zu integrieren. Für die Umsetzung solcher Systeme im größeren Maßstab und mit vertretbarem Aufwand empfiehlt sich daher eine Standardisierung aller beteiligten Komponenten.

Bildergalerie

  • Ein Virtual-Powerplant (VPP) oder Virtuelles Kraftwerk ist eine auf Energie- und Steuerungsebene zusammengeschaltete Einheit an räumlich weit verteilten Energieerzeugern.

    Ein Virtual-Powerplant (VPP) oder Virtuelles Kraftwerk ist eine auf Energie- und Steuerungsebene zusammengeschaltete Einheit an räumlich weit verteilten Energieerzeugern.

    Bild: TU München?

  • Das Smart Meter Gateway (SMGW) in einem Verteilerschrank sorgt für eine intelligente Kommunikation zu allen relevanten Energiesystemen.

    Das Smart Meter Gateway (SMGW) in einem Verteilerschrank sorgt für eine intelligente Kommunikation zu allen relevanten Energiesystemen.

    Bild: TU München?

  • PV-WR-Steuerung

    PV-WR-Steuerung

    Bild: TU München?

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