Gastkommentar zur Digitalisierung im Energiesektor „Unternehmen scheitern an fehlenden Daten“

Jürgen Mayerhofer, Geschäftsführer des Softwareunternehmens Visotech, ist seit 15 Jahren auf Softwarelösungen für die Energiewirtschaft spezialisiert und war unter anderem bei international agierenden Energieunternehmen als Unternehmensberater tätig.

Bild: Visotech
14.08.2017

Von digitaler Disruption ist im Energiemarkt bislang wenig zu spüren. Warum das so ist und wie Unternehmen in dieser Branche dennoch Wettbewerbsvorteile erzielen können, erklärt Jürgen Mayerhofer, Geschäftsführer bei Visotech, in seinem Gastkommentar.

Vor 15 Jahren habe ich mein erstes Digitalisierungsprojekt in der Energiewirtschaft durchgeführt – zumindest würde man es heute so bezeichnen. Die Liberalisierung des österreichischen Gasmarktes konnte ohne die Unterstützung von Software kaum vollzogen werden. Viele Marktteilnehmer rüsteten ab 2002 ihre Systeme auf, um der neuen Marktregeln Herr zu werden.

Software vs. Excel-Helfer

Im Zuge des Projektes wurde Software für einen Gasnetzbetreiber entwickelt, womit unter anderem die Vermarktung von Kapazitäten über ein Onlineportal, die Ablöse von Faxnominierungen und die Modernisierung der Marktkommunikation (ja, damals gab es noch Nominierungen per Fax) sowie die automatisierte Berechnung basierend auf Zeitreihen unterstützt wurden.

In den ersten Testläufen musste die Software gegen ein Arsenal an Excel-Helfern und deren hochspezialisierte Schöpfer antreten – und verlor. Nach einigen Iterationen und Nachbesserungen gewann die Software langsam die Oberhand und generierte zusätzlichen Nutzen für die Anwender, indem Standardaufgaben automatisiert wurden und die Experten Zeit für neue Themen hatten. Der Treiber für die Implementierung der Software war der Markt und nicht etwa die Technologie.

Der Markt ist Treiber - nicht die Technologie

15 Jahre später ist im Bereich des vollautomatisierten Intraday-Stromhandels ein ähnliches Muster zu erkennen – die ersten Softwarelösungen treten gegen Excel-Helfer mit ausgeklügelten Handelsstrategien, Datenbankverbindungen und vollgepackt mit jahrelanger Erfahrung und Intuition von Händlern an. Erneut gewinnt die Software langsam die Oberhand und die Experten gewinnen Zeit für neue Themen. Wiederum ist der Markt die treibende Kraft und die Technologie Mittel zum Zweck.

Parallel zu diesen scheinbar natürlichen Entwicklungen gibt es auch eine Vielzahl an technologischen Themen, die disruptive Hoffnung in sich tragen. Big Data, Analytics, Internet of Things, Cloud, Blockchain & Co. sind integraler Bestandteil der Digitalisierung und die heiligen Grale der letzten Jahre. Diese Themen oder deren kreative Kombinationen sind auf CEO-Agenden und in Strategiepapieren vertreten und verkörpern die verzweifelte Suche nach neuen Geschäftsmodellen.

Ist digital immer zielführend?

Unternehmen in Unternehmen werden gegründet, um die Startup-Mentalität und den Erfindergeist zu fördern. Die Realität spiegelt jedoch ein ernüchterndes Bild: Verbesserte Kundenportale, Elektromobilität und furchtbar umständliche Smart-Home-Systeme sind Ergebnisse von Digitalisierungsinitiativen – Disruption habe ich mir anders vorgestellt.

Die glorreichen Vorbilder stammen aus Branchen, deren Strukturen nicht infrastrukturgebunden, deren Güter nicht digital, deren Regularien nicht starr oder deren Marktstruktur nicht effizient waren. Da sowohl die Umgehung der Infrastruktur, die Digitalisierung von Energieträgern oder flexiblere Regularien zum aktuellen Zeitpunkt sehr weit hergeholt scheinen, bleibt noch die Marktstruktur als Ansatzpunkt. Vor allem im Bereich des P2P-Handels scheint die Nutzung der angeführten technologischen Themen sehr vielversprechend.

Steiniger Weg zum Prosumer

Abzuwarten ist, ob lediglich ein neuer Markt neben dem traditionellen Großhandel entsteht oder ob dieser ernsthaft gefährdet wird. Die Grundlage für den P2P-Markt stellt ein signifikanter Anteil an Prosumers dar, welcher in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Bei einer Befragung durch Deloitte 2015 gaben zwar 75 Prozent der Österreicher an, im Jahr 2020 selbst Strom erzeugen zu wollen. Aber ob die Absicht auch in die Tat umgesetzt wird, muss sich erst zeigen. In Nord Rhein Westfalen könnten laut einer Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag der Verbraucherzentrale NRW bis 2030 2,6 Millionen Prosumer-Anlagen laufen. Allerdings, so die Verbraucherzentrale, stünden derzeit noch bürokratische Hindernisse sowie Meldepflichten im Weg.

Eventuell sind die Gründe für die fehlende Disruption auch viel einfacher. Der Energiemarkt ist evolutionär. Er entwickelt sich stetig durch die Verfügbarkeit von neuen Technologien und neuen Regularien weiter. Unternehmen, die es nicht schaffen, ihren Kunden Rechnungen per E-Mail und in verständlicher Form zu übermitteln oder ihre Standardtätigkeiten zu automatisieren, erhoffen sich von Big Data Analytics eine genaue Vorhersage der Wechselwahrscheinlichkeit, um ihre Kunden zu halten – und scheitern an fehlenden Daten.

Wo der Wettbewerbsvorteil wirklich liegt

Wie auch schon vor 15 Jahren ist es an der Zeit, Standardaktivitäten zu automatisieren, um den Fokus auf neue Themen zu lenken. Solange Energieträger nicht mittels Drohnen geliefert werden, nicht ein Großteil der Fahrzeuge elektrisch angetrieben wird oder sich nicht jeder Abnehmer zum Prosumer mit integriertem Batteriespeicher entwickelt, liegt der Wettbewerbsvorteil in effizienten Geschäftsprozessen und der intelligenten Nutzung der vorhandenen Technologien.

Oder hätten Sie vor 15 Jahren ihre Hoffnung in neue Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft auf der technologischen Basis von E-Mail, HTTP und Datenbanken begründet?

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