Intelligente Leiterplatten in Industrie-4.0-Anwendungen UHF-RFID-Chips: Die denkende Platine

15.02.2018

In einer Leiterplatte steckt viel mehr Industrie 4.0, als man gemeinhin vermutet. Moderne UHF-RFID-Chips bringen nun Leiterplatten das „Mitdenken“ bei. Auch die Fertigungsprozesse für Platinen lassen sich mit Hilfe dieser kleinen Chips flexibler und sicherer gestalten.

Leiterplatten sind ein Kernstück aller Elektrogeräte, Autos und Roboter. Eine moderne Leiterplatte muss zuverlässig sein, stetig steigenden Qualitäts- und Komplexitätsansprüchen gerecht werden und dennoch geringe Herstellungskosten aufweisen. Kein Wunder, dass derart viele Anforderungen nicht spurlos an der Leiterplatte und ihren Herstellungsmethoden vorbeigehen.

Stark vereinfacht sieht der klassische Prozess zur Herstellung einer Leiterplatte wie folgt aus: Bei einem MES-Dienstleister wird eine Bestellung über eine Steuerplatine platziert; nach der Erfassung werden der Auftrag eingeplant, die Produktion gestartet und alle relevanten Fertigungs- und Qualitätsdaten im Backend-System, einer Datenbank, abgespeichert. Der komplette Prozess wird zentral aus dem führenden Backend-System gesteuert. Die Leiterplatte wird bei ihrer Fertigung zwar eindeutig markiert, beispielsweise mit einem gelaserten 2D-Code, Prozessparameter oder Qualitätsmerkmale kennt sie jedoch nicht.

Daten direkt auf der Leiterplatte

Es ist unschwer erkennbar, dass dieser Herstellungsprozess bezogen auf den Lebenszyklus der Leiterplatte viel zu teuer und unflexibel ist. In einer Leiterplatte steckt viel mehr Indus-
trie 4.0, als sich viele vorstellen. zum Beispiel kann eine Rohleiterplatte bereits bei der Herstellung ein „Gedächtnis“ erhalten, mit dessen Hilfe sie aktiv auf alle weiteren Prozesse Einfluss nimmt – nicht nur in der Fertigung, sondern ein ganzes Leiterplattenleben lang.

Ermöglicht wird dieser technologische Fortschritt durch einen UHF-RFID-Chip mit einer sehr kleinen Antennenstruktur. Eingebettet in die Leiterplatte fällt der Chip fast nicht auf – sein Platzbedarf ist vergleichbar mit dem eines 2D-Codes. Dank des Chips lassen sich bereits auf der Rohleiterplatte Fertigungsdaten wie das Herstellungsdatum, die Dicke oder die Layer-Anzahl abspeichern und jederzeit abrufen. Selbstverständlich ist die Platte auch eineindeutig identifizierbar, sogar im Pulk und über relativ große Entfernungen hinweg. Reichweiten von mehr als einem Meter sind realistisch.

In Fertigungsmaschinen mit integrierter UHF-RFID-Technik ist es möglich, dass sich eine Leiterplatte, beziehungsweise ein Platinen-Nutzen, in der jeweiligen Fertigungslinie anmeldet, sobald sie zum MES-Dienstleister, zum Bestücker und schließlich an die SMD-Fertigungslinie gelangt. Die Leiterplatte wird erkannt, die auf ihr gespeicherten Informationen werden ausgelesen und bei Bedarf aktualisiert beziehungsweise ergänzt. Wann, auf welcher Maschine, mit welcher Produktionszeit sie hergestellt wurde, sind nur einige der Parameter, die abgelegt werden können.

Aber auch Sonderereignisse wie relevante Störungen innerhalb einer Fertigungsmaschine lassen sich abspeichern. Wird schließlich die Leiterplatte oder der Nutzen nach dem Abstapeln einem neuen Fertigungsprozess zugeführt, können diese mitteilen, ob sie hier richtig sind oder vielleicht erst noch einen anderen Prozessschritt durchlaufen müssen.

Platzsparende UHF-RFID-Technik

Ein Beispiel für moderne UHF-RFID-Technik, mit deren Hilfe sich solche Industrie-4.0-Fertigungslinien mit geringem Aufwand realisieren lassen, ist die Antenne Ha-VIS Locfield und der flexible UHF-RFID-Reader Ha-VIS RF-R350 von Harting. Die platzsparende Locfield-Antenne ermöglicht eine effiziente Datenkommunikation mit den Leiterplatten innerhalb der Fertigungsstraße. Da ihr Antennenfeld einem Koaxialleiter folgt, kann selbst bei voller Fertigungsgeschwindigkeit mit mehreren Platinen in einem Platinen-Nutzen kommuniziert werden. Dank der flexiblen und standardkonformen Datenverarbeitung des Lese-Schreibgeräts RF-R350 können alle Daten direkt im Reader vorverarbeitet werden.

Reader und Antenne lassen sich problemlos in Neu- und Altanlagen integrieren. Ihre kompakte Bauform und die hohe Schutzart IP67 erleichtern das Nachrüsten erheblich. Dabei ist eine datentechnisch volle Integration in die Fertigungsanlagen jederzeit möglich, aber nicht zwingend nötig. Selbstverständlich können und sollten auch bestehende Backend-Systeme integriert werden. Auf diese Weise kann die Lösung einfach und flexibel mit den Ansprüchen des Leiterplatten-Bestückers und dessen Kunden mitwachsen.

Die Datenhaltung auf dem RFID-Chip der Leiterplatte folgt ISO-Standards und den aus dem Güterverkehr bekannten GS1-Standards. Dabei ist nicht nur die ID der Leiterplatte selbst gemeint, sondern auch alle Prozess- und Fertigungsdaten, die im sogenannten User-Memory des RFID-Chips abgelegt werden. Die transparente Datenstruktur gewährleistet, dass sich alle Informationen auch später von Dritten problemlos nutzen lassen.

Verschiedene Einbettungsmethoden

Das Einbetten des UHF-RFID-Chips direkt in die Rohleiterplatte ist sicherlich die eleganteste Lösung. Beispielsweise hat die Firma Beta Layout ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe ein Chip vollautomatisiert in die Leiterplatte eingesetzt wird. Eine andere Möglichkeit ist es, den Chip als SMD-Bauteil auf die Leiterplatte aufzubringen. Mit dem Magicstrap bietet die Firma Murata entsprechende UHF-RFID-Chips beziehungsweise -Transponder an.

Einmal mit der UHF-RFID-Technik ausgerüstet, kann die Leiterplatte in verschiedensten Phasen ihres Leiterplattenlebens darauf zurückgreifen. Neben Lager-Logistik-Anwendungen können zum Beispiel Reparaturprozesse optimiert werden. Falls die Leiterplatte, aus welchem Grund auch immer, nicht mehr eingeschaltet werden kann, lassen sich abgespeicherte Informationen (wie die ausgelieferten Firmware-Versionen) nach wie vor abfragen. Die Informationen lassen sich auch noch problemlos abfragen und aktualisieren, wenn die Platine bereits in einem Fertigprodukt verbaut wurde – sofern das Gehäuse nicht komplett aus Metall besteht und gewisse physikalische Grundprinzipien eingehalten werden. Alle Anwendungsmöglichkeiten der UHF-RFID-Technik bleiben bestehen, bis die Leiterplatte ihren letzten Gang zur fachgerechten Entsorgung antritt.

Nicht bloß graue Theorie

Das ist nicht nur reine Theorie, sondern die UHF-RFID-Technik wird bereits reell eingesetzt. Die Firma Nokia nutzt die Vorteile der UHF-RFID-gestützten Leiterplattenfertigung bereits in ihrer neuen modularen Industrie-4.0-Fertigungsstraße. Die ersten dort produzierten Produkte sind schon mit UHF-RFID-Transpondern ausgerüstet. Die verwendeten Maschinen diverser Hersteller, unter anderem eine Reflowlötanlage der Firma Rehm Thermal Systems, sind mit den beschriebenen UHF-RFID-Produkten von Harting ausgerüstet. Sie erfüllen dadurch die Ansprüche einer zu Industrie 4.0 fähigen Leiterplattenfertigung.

Auch die Firma ASM Assembly Systems integriert die RFID-Technik in ihre Maschinen. Doch nicht nur Maschinen und Leiterplatten können mit RFID-Technik ausgerüstet werden. Auch Verbrauchsmaterialien wie Reinigungsrollen, die in den Lotpastendruckern zum Einsatz kommen, können automatisiert erkannt werden. Entsprechende Produkte bietet zum Beispiel die Firma Vliesstoff Kasper bereits an.

Fachgerechte Entsorgung dank UHF-RFID

Die UHF-RFID-Technik macht die Leiterplattenbranche noch vielseitiger sowie deren Fertigungsprozesse flexibler und sicherer. Sie ermöglicht ganz neue Anwendungsszenarien – bis hin zur Verbesserung eines nachhaltigen Umgangs mit den Rohstoffen einer Leiterplatte, durch die fachgerechte Entsorgung.

Bildergalerie

  • UHF-RFID-Chips lassen sich in Leiterplatten einfügen. Dadurch können wichtige Daten, wie Herstellungsdatum, Dicke und Layer-Anzahl, bereits auf der Rohleiterplatte gespeichert werden.

    UHF-RFID-Chips lassen sich in Leiterplatten einfügen. Dadurch können wichtige Daten, wie Herstellungsdatum, Dicke und Layer-Anzahl, bereits auf der Rohleiterplatte gespeichert werden.

    Bild: Harting

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