Die menschliche Inkompetenz Überhebliche Netzgenossen

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Eine vielfältige Meinungsäußerung im Netz ist ein gutes Zeugnis von Demokratie – manchmal empfiehlt es sich jedoch, lieber den Mund zu halten.

11.02.2019

Es ist nahezu unerträglich! Wie viel unfundierter Stuss im Internet verbreitet wird. Manchen Autoren möchte man ihr Geschreibsel am liebsten um die Ohren schlagen. Dabei gibt es dafür eine einfache Erklärung: den Dunning-Kruger-Effekt.

Echte Experten zeigen online offenkundig wenig Selbstvertrauen und stellen ihren wertvollen Wissensschatz im Internet leider ungern zur Schau. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass im Internet vor allem thematisch Minderbemittelte ihre inkompetente Meinung unablässig in aufdringlichem Überfluss absondern. Besonders Dreiste beanspruchen als Blogger gar einen Presseausweis. Ihnen möchte man die Worte meines einstigen Lateinlehrers entgegenschleudern: „Si tacuisses, philosophus mansisses“, zu Deutsch: „Wenn du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben“!

Wenn Unwissenheit zu Selbstvertrauen führt

Natürlich haben Wissenschaftler dieses Phänomen längst erforscht und ihm einen Namen gegeben: Sie nennen es den „Dunning-Kruger-Effekt“, kurz DKE, nach einer Veröffentlichung von zwei amerikanischen Psychologen aus dem Jahr 1999, die dafür sogar den satirischen Ig-Nobelpreis erhielten. Besagte Forscher verstehen darunter die systematische fehlerhafte Neigung relativ inkompetenter Menschen, das eigene Wissen, Kennen und Können zu über- und die Kompetenz anderer zu unterschätzen. Dieses Verhalten ist in den meisten Fällen noch mit Beratungsresistenz gepaart.

David Dunning und Justin Kruger hatten in vorausgegangenen Studien bemerkt, dass etwa beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder beim Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass weniger kompetente Personen dazu neigen, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht zu erfassen. Außerdem erkennen sie das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht.

Zu ihrer Entschuldigung lässt sich somit vorbringen: Der Inkompetente kann nicht wissen, dass er inkompetent ist. Die Fähigkeiten, die notwendig sind, um eine richtige Lösung zu finden, sind genau jene, die man braucht, um eine Lösung auch als richtig zu erkennen. In einer Publikation über die Leugnung der menschengemachten globalen Erwärmung wird der Dunning-Kruger-Effekt als eine mögliche Erklärung für die Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Prozessen genannt. Nicht nur mir fällt in diesem Zusammenhang sicherlich der Name eines zeitgenössischen US-Politikers ein.

Sich selbst hinterfragen

Ich bin natürlich beileibe nicht der erste, der sich darüber – allerdings schon seit Jahren – aufregt. Bereits Charles Darwin sagte: „Ignoranz ist häufiger die Basis von Selbstvertrauen als ein solider Wissensstand“. Und auch Mark Twain erkannte schon, dass „alles, was man im Leben braucht, Ignoranz und Selbstvertrauen ist“. Drastischer äußerte sich vor ziemlich genau drei Jahren mein Kolumnisten-Kollege Sascha Lobo im Online-Forum des Spiegels: „Intensiv diskutierte Ereignisse sind für viele Millionen Menschen in diesem Land eine fantastische Gelegenheit zum Schnauze-Halten, die sie sämtlich verpassen. Es ist ein Segen, dass sich alle öffentlich äußern können, und eine Ernüchterung, auf welche Weise dieses Recht wahrgenommen wird“.

Und ebenfalls der Medienkritiker Hans Hoff bestätigt ähnlich deutlich: „Es ist nicht schlimm, dass sich heutzutage jeder Depp öffentlich äußern kann. Das ist gut für eine Demokratie. Es ist indes schlimm, dass heutzutage jeder Depp ernst genommen wird, dass so getan wird, als wäre noch die abstruseste Theorie eine Meldung wert.“

Was wir daraus lernen können? Wie sollten versuchen, uns zum einen ständig zu hinterfragen und richtig einzustufen sowie zum anderen den im Internet und den Sozialen Medien Rat Suchenden ohne Scheu belastbare Erfahrungen und Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Das kommt schlussendlich allen zugute, auch uns selbst. Davon bin ich fest überzeugt.

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  • Solange es die Elektronikindustrie gibt, begleitet Roland Ackermann sie. Unter anderem als Chefredakteur, Verlagsleiter und Macher des „Technischen Reports“ im Bayerischen Rundfunk prägt er die Branche seit den späten 1950er Jahren mit.

    Solange es die Elektronikindustrie gibt, begleitet Roland Ackermann sie. Unter anderem als Chefredakteur, Verlagsleiter und Macher des „Technischen Reports“ im Bayerischen Rundfunk prägt er die Branche seit den späten 1950er Jahren mit.

    Bild: Roland Ackermann

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