Interview von Dr. Oliver Kleineberg, Global CTO Core Networking bei Belden „TSN ist integrierend, nicht verdrängend“

„TSN ist nicht angetreten, um existierende Protokolle zu ersetzen, sondern um einen standardisierten Hardware-Layer zu schaffen.“ Dr. Oliver Kleineberg, Global CTO Core Networking bei Belden

Bild: Belden
28.02.2018

TSN nutzt GBit-Performance, reserviert Ressourcen und befasst sich mit Leitungsredundanz, ist aber kein Feldbus: Noch immer herrscht viel Verwirrung, wie der Echtzeitstandard einzuordnen ist. Dr. Oliver Kleineberg, Global CTO Core Networking bei Belden, weist im Gespräch mit A&D darauf hin, dass TSN künftig ein Zugewinn für Protokolle wie Profinet und OPC UA sein wird.

A&D:

Ist beim Gespräch mit Kunden noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, wenn es um das Ziel von TSN geht?

Dr. Kleineberg:

Ja, absolut. Es muss viel Aufklärungsarbeit darüber geleistet werden, dass TSN nicht angetreten ist, um existierende Feldbusse zu ersetzen, sondern um eine standardisierte Hardware-Schicht für durchgängige Ethernet Netzwerke zu schaffen. Es geht also darum, diesen Wildwuchs an unterschiedlicher Übertragungstechnik auf einen Standard zu ziehen. Das passiert analog dazu, wie Ethernet sich im IT-Bereich durchgesetzt hat. Ethernet liegt heute unter allen Kommunikations-Infrastrukturen; die Wertschöpfung findet auf der Applikationsebene statt. Genauso sehe ich den Wert von TSN.

Sie sehen TSN also als Zugewinn, beispielsweise für Profi­net?

TSN ist nicht nur für Profinet, sondern für alle industriellen Protokolle ein Zugewinn. Denn es ist eine standardisierte Technologie, die unter allen Applikationsprotokollen liegt. Durch die standardisierte Hardware sind alle Hersteller auf der Ebene der Ethernet-Übertragung untereinander kompatibel. Die Wertschöpfung findet da statt, wo die Expertise der Hersteller zuhause ist. Bei Profinet ist dies beispielsweise in den Gerätemodellen, der Konfiguration oder in der Projektierung. Mit TSN können wir durch einen standardisierten Ethernet-Hardware-Layer unterschiedliche Protokolle in verschiedenen Bereichen des Netzwerks fahren, ohne Wechsel der Grundlage.

Warten Protokolle wie Profinet darauf, mit TSN in die GBit-Ära gehievt zu werden?

Ganz klar, natürlich! Einer der Gründe, warum Profinet nicht auf schnellere Linkspeeds gegangen ist, ist nun einmal, dass die Entwicklung eines ASICs für eine einzelne Firma einen hohen Aufwand darstellt. Dass TSN in der Lage ist, die Übertragungsgeschwindigkeit durch eine standardisierte Technologie signifikant anzuheben, ist genau der Vorteil, der heute in den konvergierten Netzwerken zu finden ist. Keiner baut heute noch ein Automatisierungsnetz auf, das nur genau einem einzigen Zweck dient - die Zeiten sind vorbei. Die Netze konvergieren, und da ist TSN der Schlüssel. Das ist auch einer der Vorteile für Profinet, denn die Zeit von 100 MBit neigt sich auch im Automatisierungsbereich so langsam dem Ende zu.

Würde Profinet auch von TSN profitieren, wenn es bei der gleichen 100-MBit-Geschwindigkeit bleiben würde?

Es gibt kleinere Unterschiede zwischen den Spezifikationen. Die TSN Working Group hat Profinet IRT ja nicht einfach nur nachgebaut. Da hat man auch aus der Erfahrung gelernt, die man mit den ersten Echtzeit-Protokollen gesammelt hat. Die Mechanismen von TSN sind in der Regel entweder gleich in der Leistungsfähigkeit oder ein kleines bisschen besser als die, die bei Profinet IRT spezifiziert wurden. Ein Teil der Profinet-Spezifikationen sind aber auf der Applikationsebene, das heißt, dass da keine Entsprechung angeführt werden kann. Wenn man es direkt mit 100 MBit vergleicht, sind die Vorteile von TSN sehr gering. Seine vollen Vorzüge spielt es erst im GBit-Bereich aus.

In Zukunft soll auch OPC UA über TSN genutzt werden. Wäre das Ihre Vision von einer durchgängigen Kommunikation vom Sensor bis in die Cloud?

Genau, das ist unsere Vision, wie vom Sensor bis in die Cloud ohne Gateways kommuniziert werden kann. Wir sehen OPC UA als Applikationsprotokoll und darunter ein standardisiertes TSN. Das ist für uns die Netzwerkarchitektur der Zukunft. Viele andere Hersteller sehen das genauso. Dies wird nicht als Konkurrenz zu etablierten Systemen positioniert, sondern als Ergänzung. Das Wichtige ist, dass die Applikation von den Übertragungsmedien entkoppelt ist. Welches Applikationsprotokoll eingesetzt wird, entscheiden der Markt, die Anforderungen und die Kunden.

Hat ein IO-Link dann überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?

Eine Ethernet-Anbindung ist immer noch relativ kostspielig. Und nicht überall ist eine Echtzeit-Unterstützung erforderlich. Ein IO-Link-Anschluss ist konkurrenzlos günstig. Für viele kleine Sensoren ist das völlig ausreichend. Als Konkurrenz zu IO-Link sehe ich OPC UA über TSN deswegen bis dato nicht. TSN ist nicht verdrängend. TSN ist integrierend.

Wird der Schlüssel zum Erfolg von OPC UA über TSN eine simple Handhabung und Konfiguration der Geräte sein?

Abolut richtig. Die Idee ist, dass künftig die Endgeräte ihre Anforderungen an einen Kommunikationsstrom im Netzwerk nur noch anmelden, und die dahinterliegende Netzkonfiguration automatisiert läuft. Nach heutigem Stand werden wir TSN-Netze damit sehr effizient konfigurieren können. Wer aber die klassische manuelle Methode bevorzugt, dem steht sie auch künftig immer offen. Wir müssen nur sicherstellen, dass wir nicht dort stehen bleiben, wo wir schon sind.

Das heißt, Beldens Fokus wird ganz klar TSN sein?

Ja, genau. So haben wir den Nachfolger des Rail Switch, unserem wichtigsten Produkt, bewusst eine gewisse Zeit zurückgehalten, um die TSN-Funktionalität einbauen zu können. In fünf Jahren spricht keiner mehr über TSN, sondern jeder nur noch über Industrial Ethernet. Weil alle einfach annehmen werden, dass jeder Industrial-Ethernet-Switch über TSN-Funktionen verfügt.

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