Fachbeitrag Stromschnäppchen am Spotmarkt sichern

13.10.2014

Viele Unternehmen kaufen Strom heute teurer ein, obwohl er – Energiewende sei Dank – im Großhandel billiger wurde. Doch auch nicht-privilegierte Unternehmen können vom Preisverfall profitieren, wenn sie über eine kombinierte Strombeschaffungsstrategie am Spotmarkt zugreifen.

Unternehmen sind in ihrer Strombeschaffung aufgrund der Energiewende mit zwei gegensätzlichen Trends konfrontiert:

  • Zum einen hat die Energiewende steigende Umlagen und Abgaben im Rahmen des Strombezugs zur Folge. Vor allem die EEG-Umlage stieg innerhalb von wenigen Jahren um über 70 Prozent auf heute 6,17 ct/kWh. Daneben wurden neue Preiskomponenten wie die Offshore-Umlage und die Abgabe für abschaltbare Lasten eingeführt, die die Energiebezugskosten der Unternehmen weiter steigen lassen. Rechnet man die ebenfalls regulierten Netzentgelte hinzu, nehmen die vom stromeinkaufenden Unternehmen nicht beeinflussbaren Preiskomponenten inzwischen durchschnittlich deutlich mehr als 50 Prozent der Strombezugskosten ein.

  • Zum anderen hat die Energiewende einen gegensätzlichen Trend ausgelöst, nämlich stark fallende Großhandelspreise an den Energiebörsen. Innerhalb weniger Jahre sind die Großhandelspreise um mehr als 50 Prozent gefallen. Ein wesentlicher Grund dafür ist der enorme Zubau der erneuerbaren Energien in Verbindung mit Überkapazitäten im konventionellen Kraftwerkspark bei gleichzeitig stagnierender Stromnachfrage.

Unternehmen, die von Steuern, Abgaben und Umlagen sowie Netzentgelten entlastet oder teilweise befreit sind, profitieren von dieser Situation in doppelter Hinsicht: Einerseits sind sie von steigenden Energienebenkosten nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß betroffen, andererseits kommen ihnen die fallenden Großhandelspreise über einen sinkenden „Nettoenergiepreis“ zugute. Mit Blick auf die Strombeschaffung sind diese privilegierten Unternehmen die Profiteure der Energiewende.

Vom nicht beeinflussbaren Kostenblock Steuern, Umlagen und Abgaben in vollem Ausmaß belastet sind jedoch die meisten Unternehmen aus Handel und Dienstleistung, aus der nicht privilegierten Industrie oder aus der Pflege- und Gesundheitsbranche. Für die Mehrzahl dieser Unternehmen ist die Senkung ihrer Energiebeschaffungskosten die einzige Möglichkeit teilweise die Mehrkosten zu kompensieren.

Terminmarkt und Spotmarkt – die Unterschiede

Moderne Beschaffungsstrategien ermöglichen es diesen Unternehmen, die Entwicklungen der Energiewende gezielt zum eigenen Vorteil in der Beschaffung zu nutzen. Hierfür ist ein kurzer Blick auf die Struktur des Stromgroßhandelsmarktes hilfreich. Der Großhandelsmarkt teilt sich in zwei grundlegende Marktsegmente auf, die sich in der Fristigkeit der getätigten Handelsgeschäfte in zwei grundlegende Produktgruppen unterscheiden. Die Marktsegmente sind:

  • Terminmarkt: Hier werden längerfristige Lieferungen für Wochen, Monate und Jahre voraus in die Zukunft gehandelt. Der Vorteil für den Käufer besteht darin, sich weit in der Zukunft liegende Lieferungen preislich abzusichern. Der Terminmarkt ist eine Preiseinschätzung für eine Erfüllung in der Zukunft und bietet daher reichlich Raum für Spekulanten.

  • Spotmarkt: Hier dagegen werden Geschäfte für die Erfüllung am Folgetag oder am nächsten Werktag (day-ahead) gehandelt. Dient der Terminmarkt dem Aspekt der Planungssicherheit, so dient der Spotmarkt der Flexibilität der Handelsteilnehmer.

Bisher nutzen die Energieversorger und große Endverbraucher, vor allem aus der Industrie, den Spotmarkt dazu, ihr Stromportfolio bilanziell zu korrigieren, in dem sie Überschussmengen oder Unterdeckungen kurzfristig glattstellen können.

Spotmarkt als Chance

Die Energiewende hat unterschiedliche Auswirkungen auf die beiden Segmente des Großhandelsmarktes. Die Terminmarktpreise fielen seit 2011 um etwa 50 Prozent. Die schnell wachsenden erneuerbaren Energien werden primär am Spotmarkt vermarktet und senkten die durchschnittlichen Spotmarktpreise auf ein Preisniveau welches seit einigen Jahren deutlich unterhalb des vorherigen Terminmarktes für den gleichen Erfüllungszeitraum liegt. Zudem senkte insbesondere der Photovoltaikausbau vor allem im Spotmarkt den klassischen Base-Peak-Spread, also den Preisunterschied zwischen der Grundlast und Spitzenlast (Montag bis Freitag 8 bis 20 Uhr) mit Implikationen für potenzielle Beschaffungsmodelle.

Neben vielen veränderten Einflussfaktoren ist der Zubau der Erneuerbaren ein Hauptgrund dafür, dass in den letzten Jahren ein Preisdelta zwischen den Preisniveaus von Terminmarkt und Spotmarkt entstanden ist.
Von diesem Preisvorteil des Spotmarktes konnten bisher nur Großkunden profitieren, die direkt am Großhandelsmarkt – also auch am Spotmarkt – Strom ein- und verkauften. Die gängigen Beschaffungsmodelle, Festpreis oder strukturierte Beschaffung für Kunden ohne direkten Zugang zu den Großhandelsmärkten basieren jedoch im Wesentlichen auf der Beschaffung am Terminmarkt. Die Preisvorteile und Flexibilisierungschancen des Spotmarktes bleiben daher bisher für Kunden mit geringerem Strombedarf weitestgehend ungenutzt.

Inzwischen gibt es jedoch auch Beschaffungsmodelle für diese Kundengruppe, den Spotmarkt in den Stromeinkauf zu integrieren. Dem Unternehmen ermöglichen diese Modelle den Stromeinkauf flexibel auf die individuelle Risikostrategie, Verbrauchsstruktur und Unternehmenssituation anzupassen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Spotmarkt in das individuelle Strombeschaffungsmodell einzubinden. So kann das Unternehmen beispielsweise eine strukturgleiche, prozentuale Aufteilung der prognostizierten Stromverbrauchsmenge für die Beschaffung am Termin- und Spotmarkt vornehmen. Ein Teil des prognostizierten Bedarfs wird wie bisher per Festpreis oder in Tranchen am Terminmarkt beschafft. Das entspricht dem Ziel der Planungssicherheit. Die noch offene Menge wird während der Lieferperiode am Spotmarkt beschafft. Dies dient der Flexibilität der Abnahmemenge und vorwiegend der preislichen Optimierung. Der letztendliche Netto-Strompreis einer Lieferperiode ist dann der mengen­gewichtete Durchschnittspreis aus der am Terminmarkt und der am Spotmarkt beschafften Strommenge. Das heißt der finale Energiepreis bildet sich erst während der Lieferperiode.

Um die Aspekte „Planungssicherheit“ und „Preischance“ in Balance zu bringen, ist die prozentuale Aufteilung von Termin- und Spotmarktanteil die Steuerungsgröße. Ein Unternehmen, das ein hohes Maß an Planungssicherheit benötigt, etwa ein Pflegeheimbetreiber, wählt einen größeren prozentualen Terminmarktanteil (zum Beispiel 85 bis 90 Prozent Terminmarkt und 10 bis 15 Prozent Spotmarkt). Für diesen Terminmarkt­anteil steht der finale Energiepreis bereits fest. Ein Unternehmen, das mehr Wert auf die Preischance des Spotmarktes legt, zum Beispiel ein Betonhersteller, kann einen höheren Spotmarktanteil definieren (beispielsweise 50 Prozent Terminmarkt und 50 Prozent Spotmarkt). Auf diese Weise lässt sich die unternehmerische Situation im Sicherheits-Chance-Profil berücksichtigen.

Eine Einbeziehung des Spotmarktes bietet jedoch auch die weitergehende Möglichkeit den Stromeinkauf auf die individuelle Verbrauchsstruktur des Unternehmens anzupassen. Viele Unternehmen aus dem Handel oder dem Dienstleistungsgewerbe haben typischerweise ihre Hauptverbrauchszeiten in den Peak-Stunden. Gerade in diesen Stunden hat die Energiewende den größten Einfluss auf die Preisbildung. Der starke Zubau von Photovoltaikanlagen führte zu strukturellen Preisverschiebungen. Die Anlagen speisen ihren Strom am stärksten in den typischen Sonnenstunden in den Spotmarkt ein und senken in diesen Stunden den Preis. Durch die Beschaffung von Standardhandelsprodukten am Terminmarkt und der Strukturierung des Profils am Spotmarkt werden diese Effekte noch deutlicher als bei einer strukturgleichen Beschaffung am Spotmarkt. Gerade diese Unternehmen mussten sich bisher in der Strombeschaffung als die Verlierer der Energiewende betrachten, da sie sich im Gegensatz zu vielen privilegierten produzierenden Unternehmen nicht von der steigenden EEG-Umlage entlasten konnten. Doch die intelligente, individuelle Spotmarkteinbeziehung gibt ihnen die Chance, beim Netto-Energiepreis gezielt von der Energiewende zu profitieren.

Bedingt durch den Zubau der erneuerbaren Energien weist der Spotmarkt seit einigen Jahren einen Preisvorteil gegenüber dem Terminmarkt auf. Grundsätzlich haben inzwischen Unternehmen aus allen Branchen die Chance, mithilfe von Strombeschaffungsmodellen, die den Spotmarkt integrieren, von der Energiewende zu profitieren.

Der Trend ist intakt

Der Zubau der erneuerbaren Energien wird weitergehen, wenn auch langsamer als bisher. Mit dem Ziel der Energiewende, 80 Prozent des Strombedarfs im Jahr 2050 mit Hilfe erneuerbarer Energien zu decken, hat sich die Bundesrepublik Deutschland für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien entschieden. Der Trend des Ausbaus der erneuerbaren Energien bleibt also intakt. Zwar gibt es keine Garantie dafür, dass sich die Preislücke zwischen Termin- und Spotmarkt nicht wieder schließt, doch ist vor dem Hintergrund des Megatrends Energiewende davon auszugehen, dass die Preisverschiebung zugunsten des Spotmarktes kein temporäres Phänomen ist.

Neben dem reinen Preisvorteil bietet der Spotmarkt Unternehmen auch die Chance, ihren Stromeinkauf gezielter als bisher auf ihre Verbrauchsstruktur abzustimmen. Dadurch führen Beschaffungsmodelle mit Spotmarktintegration zu einer zeitgemäßen Strombeschaffung, bei der Flexibilität eine immer größere Rolle spielt.

Weitere Informationen

Panos Konstantin: Praxisbuch Energiewirtschaft, Springer Vieweg 2013

Dietmar Richard Gräber: Handel mit Strom aus erneuerbaren Energien, Springer Gabler 2014

Philip Würfel: Unter Strom – Die neuen Regeln der Stromwirtschaft, Springer Gabler 2014

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