Interview „Smart City definiert sich überall anders“

Hilmar von Lojewski, Beigeordneter des Deutschen Städtetags für Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr

22.08.2014

Unternehmen bieten Kommunen smarte technische Lösungen an – und stoßen dabei nicht immer auf Gegenliebe. Warum das so ist, diskutierte Urban 2.0 mit Hilmar von Lojewski.

Urban 2.0: Herr von Lojewski, was stört Sie an Smart Cities?

Hilmar von Lojewski: Wir haben den Eindruck, dass einige Akteure aus der Industrie auf der europäischen Ebene versuchen, mit diesem Thema einen Alleinvertretungsanspruch zu verbinden. Wir brauchen Smartness in der Stadtentwicklung, aber bitte immer unter dem Schirm der integrierten Stadtentwicklungspolitik.

Warum pochen Sie so darauf?

Wohin es in der Stadtentwicklung geht, ist ein umfassender und komplexer Aushandlungsprozess unter Beteiligung aller Akteure vor Ort. Unser Eindruck ist, dass da einige Industrieanbieter ein Paket schnüren und es den Städten als Fertiglösung für Quartiere oder zur Stadtentwicklung verkaufen wollen, statt auf die sehr differenzierten Bedürfnisse in Quartieren und Städten einzugehen. Die sogenannten „smarten Lösungen“ müssen den Nutzern und örtlichen Zielsetzungen dienen und nicht nur umgesetzt werden, weil sie technisch machbar sind.

Was ist „smart“ in diesem Zusammenhang?

Unsere Einschätzung deckt sich mit der des Deutschen Instituts für Urbanistik. Ich persönlich unterscheide eine „harte“ technische Smartness, die durch die Verknüpfung mit Software entsteht, zum Beispiel beim Smart Grid oder in der Erzeugung und Verteilung, aber auch bei intelligenter und intermodaler Mobilität. Eine andere Form entsteht durch die Beteiligung der Bevölkerung, der Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Industrie, Stadtgesellschaft und Politik im Steuer- und Umsetzungsprozess der planerischen Ziele. Eine dritte Form von Smartness hat mit der intelligenten Aufbereitung von Daten zu tun, so dass daraus neue Anwendungen entstehen.

Immerhin zwei Bereiche, in denen Technik helfen kann.

Dabei müssen aber die technischen Lösungen so aufeinander abgestimmt werden, dass das Beste für die Städte und ihre Bewohner herauskommt. Und da sind alle gut beraten, Smart Cities so grundsätzlich zu denken, dass von vornherein eine Anpassungs- und Einpassungsfähigkeit in Konzepte der integrierten Stadt­entwicklung gegeben ist. Anbieter sollten nicht mit hermetisch abgeschlossenen Technologiepaketen an die Städte herantreten. Wichtig ist ein modularer und sehr flexibler Ansatz. Technologien, die smart sein wollen, müssen reversibel, korrigierbar, neu justierbar und sozial verträglich sein.

Hat Ihre Kritik an Technologiepaketen damit zu tun, dass die Produkte noch relativ neu sind und die Auswahl daher zu klein?

Die technologischen Bestandteile von Smart-Cities-Paketen sind ja alle nicht unbekannt. Vom Smart Metering zum Smart Grid, Energie­erzeugung, Energieverteilung, Nutzen von Synergien durch Kopplung von Wärmeströmen möglichst in räumlicher Nähe und so weiter – das ist doch alles nicht so ungewöhnlich. Das Interessante ist, das so zusammenzuschalten, dass es einen Mehrwert gibt, eine positive Bilanz. Um tatsächlich intelligente, anpassungsfähige, selbstkorrigierende Systeme zu bekommen, braucht man eine Menge Steuerungstechnik. Aber allein wenn man Niedrigenergiehäuser anschaut, kann man schon misstrauisch werden: Ich habe noch keines gesehen, wo die rechnerische Bilanzierung in der Praxis erreicht worden wäre. Das Versprechen eines Effizienzgewinns der Industrie durch „smarte Lösungen“ ist in der Realität oftmals leider nicht nachweisbar.

Woran liegt das?

Man muss das Verhalten der Menschen stärker betrachten, die nun mal Fenster aufmachen, Türen offen lassen, Heizungen hochstellen. Wenn eine Steuerung da dagegen arbeitet, ergibt das keine smarte Lösung. Wir müssen die humanen Dimensionen da einfach mitdenken einschließlich ihrer Fehlerhaftigkeit. Und beispielsweise für Maßnahmen der Energieeffizienz in der Altbausanierung und auch beim Neubau müsste viel Geld für Herstellung sowie Betrieb und Entsorgung der Dämmung oder der intelligenten Systeme mit angesetzt werden, das oft nicht mit eingerechnet wird.

Sehen Sie in der Smartness, die auf die Analyse großer Datenmengen setzt, eher eine Chance oder eine Gefahr?

Spannende Frage. Unsere größte Mitgliedsstadt Berlin geht da einen guten Weg, indem sie alle Geodaten auf der Basis eines Nutzungsvertrages entgeltfrei zur Verfügung stellt, egal ob das demographische Szenarien, Fahrplan-Apps, Bevölkerungs-Apps, Einkaufs-Apps oder andere Anwendungen sind. Wir sind gut beraten, diese Daten in den Städten freizustellen und darauf zu vertrauen, dass die Folge­anwendung auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen in den Städten oder für die Volkswirtschaft insgesamt generieren. Natürlich muss es da etwa in Bezug auf den Datenschutz und die ethische Verwendung der Daten Leitplanken geben, innerhalb der sich dann Fantasie und Kreativität entwickeln können.

Was halten Sie von Standards und Normen für Smart Cities?

Auf technischer Ebene ist das sinnvoll, aber eine Norm, die vorgibt, was eine Smart City leisten muss, bringt uns nicht weiter. Hemmnisse im internationalen Wettbewerb beseitigen oder eine Übertragbarkeit technischer Lösungen und Neuerungen in andere Länder sicherzustellen, das kriegen wir auch über die Normung auf technischer Ebene hin, dafür müssen wir nicht die Smartness der Städte normen. Smart City definiert sich an jedem Ort, in jedem Quartier anders, weil wir unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Ausgangsbedingungen, unterschiedliche Betriebsrahmenbedingungen haben. Und die Definition, was Smart City am jeweiligen Ort bedeutet, müssen die jeweiligen Städte leisten, gerne auch mit Unterstützung der Anbieter und der Industrie, aber mit einem sehr flexiblen Korb an technischen Lösungen, die immer wieder auch neu zusammengestellt werden müssen.

Ist denn „Smart City“ nur ein Thema für Großstädte?

„Wir wollen smarter werden“ ist ein Oberthema für viele Städte, die sich fit für die Zukunft machen wollen, ohne unbedingt allein auf technologische Lösungen zu setzen. „Smart City“ ist ein wichtiger Baustein in der integrierten Stadtentwicklung, aber eben nur ein Baustein, der immer nur Bestandteil einer integrierten Stadtentwicklungspolitik sein kann, sie aber nie ersetzen kann.

Die Zukunftsfähigkeit von Städten sollen oft Schlagworte beschreiben wie smart, nachhaltig oder resilient. Sind das konkurrierende Begriffe?

Das sind Begriffe, die unterschiedliche Aspekte ausdrücken. Wir nehmen zu den Begriffen Smart City und Resilienz demnächst in einem Positionspapier zur integrierten Stadtentwicklung Stellung. Bei der Resilienz geht es darum, auf unvorhersehbare natürliche wie künstliche Ereignisse flexibel zu reagieren und in einen stabilen Grundzustand zurückzukehren. Insoweit widerspricht der Ansatz des Unplanmäßigen dem Steuerungsanspruch der Smart City.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Urban 2.0.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel