Li-Ionen-Batteriezellen Schreckgespenst Fluorwasserstoff

Sicherheitsdruckbehälter für Batterietest mit Gasanalytik: Lithium-Ionen-Batterien emittieren unter gewissen Bedingungen Gase, deren Konzentration das Maß der Gefährdung bestimmt.

Bild: Fraunhofer ICT
26.09.2016

Als ein Indikator für undichte Li-Ionen-Batteriezellen gilt Fluorwasserstoff. Dessen Analyse ist ein zentraler Aspekt, um die Gefahr, die von den Akkus ausgehen könnte, zu beurteilen. Dabei gibt es Fallstricke, die zur fehlerhaften und sogar falschen Bestimmung des Schadgases führen.

Der Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien (LIB) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für die Elektromobilität sind sie die Schlüsselkomponente. Um die Gefährdung von LIB zu beurteilen, Risiken abzuschätzen, aber auch um Produktverbesserungen aufzuzeigen, bedient sich die Branche gezielter Missbrauchsversuche (Abusetests). Die Ergebnisse wurden früher lediglich aufgrund von visuellen Beobachtungen und Massenverlust der Testzellen in Hazard Level eingestuft. Mittlerweile hat sich die Analytik der emittierten Gase jedoch zu einer wertvollen Methode entwickelt. Dabei ist wenig reglementiert und bislang gar nichts standardisiert. Neben der Frage der geeigneten analytischen Methoden, gibt es eine Reihe von Fallstricken bei deren Einsatz. Diese können die erhaltenen Ergebnisse verzerren oder sogar gänzlich falsch wiedergeben.

Im Allgemeinen gilt austretender Fluorwasserstoff (HF) aufgrund seiner toxischen Wirkung als die Schlüsselkomponente für die Gefährdungsbeurteilung austretender Gase aus LIB. HF selber ist nicht Bestandteil von LIBs sondern wird bei der Reaktion von fluorhaltigen Leitsalzen – wie Lithiumhexafluorophosphat (LiPF6) – mit Wasser aus der Umgebung erzeugt. Das heißt, bereits beim Ausgasen von Batterieelektrolyt werden geringe Spuren des Stoffes emittiert. Der Nachweis von Fluorid, das Anion von HF, außerhalb der Zelle wird deshalb auch als ein persistenter Indikator für die Undichtigkeit der Batteriezelle angesehen. Die hohe toxische Wirkung des Fluorwasserstoffs spiegelt sich in dem niedrigen Störfallbeurteilungswert (AEGL, Acute Exposure Guideline Level) von 95 parts per million (ppm) für den AEGL-Level 2 bei zehnminütiger Exposition wider.

AEGL-Werte

AEGL-Werte (Acute Exposure Guideline Level) sind substanzspezifisch und dienen als Planungswerte für die sicherheits­technische Auslegung von störfallrelevanten Anlagen. Sie werden aber auch zur Planung der Alarm- und Gefahrenabwehr sowie des Katastrophenschutzes herangezogen. Die AEGL-Werte sind toxikologisch begründete Spitzenkonzentrationswerte. Es gibt sie für verschiedene relevante Expositionszeiträume (zehn Minuten, 30 Minuten, eine Stunde, vier Stunden, acht Stunden) und für drei verschiedene Effekt-Schweregrade:

  • AEGL-1: Schwelle zum spürbaren Unwohlsein;

  • AEGL-2: Schwelle zu schwerwiegenden, lang andauernden oder fluchtbehindernden Wirkungen;

  • AEGL-3: Schwelle zur tödlichen Wirkung.

Analytische Fallstricke bei der HF-Bestimmung

Die hohe Reaktivität von Fluorwasserstoff dürfte seine Konzentration in der Gasphase bei ungewollten Batterieschadensfällen deutlich verringern. So führt bei Elektroautos wahrscheinlich schon die Einbausituation der Zellen in einem Batteriegehäuse zu einer Verminderung des freien HF. Bei Messaufbauten, in denen sehr häufig nur Einzelzellen getestet werden, besteht jedoch ein starkes Missverhältnis zwischen emittierten Substanzmassen und den Oberflächen des Versuchsaufbaus. Die Folge ist ein Minderbefund in den nachfolgenden analytischen Methoden.

Zum Nachweis in der Gasphase stehen verschiedenste Methoden zur Verfügung. Die einfachste und preisgünstigste Methode ist die Messung mit HF-spezifischen Gasproberöhrchen. Dabei ist zu beachten, dass eine summarische Masse gemessen wird und somit – in Abhängigkeit der Expositionszeit – nur ein Mittelwert berechnet werden kann. Besonders zu beachten ist, dass unter anderem eine Querempfindlichkeit dieser Methode gegenüber organischen Carbonaten, als Hauptbestandteil des Elektrolyten, nicht ausgeschlossen werden kann. Eine deutlich zu hohe Konzentration wäre die Folge.

Eine exakte, wenn auch apparativ aufwändigere Methode, ist die sogenannte Infrarotspektroskopie. In Form der Fourier-Transformation-Infrarotspektroskopie (FT-IR) vermag sie sogar die Konzentration von HF innerhalb weniger Sekunden zu bestimmen. Damit sind zeitaufgelöste Messungen von der Freisetzung des reaktiven Gases möglich. Leider werden die HF-spezifischen Banden des IR-Spektrums üblicherweise aus dem Gesamtspektrum der Messung abgeleitet, sodass die Messmethode im Allgemeinen auf Hauptkomponenten wie organische Carbonate eingestellt wird. Dabei können Neben- und Spurenkomponenten wie Fluorwasserstoff mitunter kaum gemessen werden, da sie dadurch am Rande der Nachweisgrenze liegen.

Ebenfalls eine zeitaufgelöste Messung ist mit der Online-Massenspektrometrie (Online-MS) möglich. Hier können im Sekundentakt eine Vielzahl von Verbindungen anhand ihrer Masse – genauer: anhand ihres Masse-zu-Ladung-Verhältnisses (m/z-Verhältnis) – bestimmt werden. Für HF mit einem m/z-Wert von 20 beziehungsweise Fluorid mit m/z = 19 muss jedoch auch immer der Verlauf der Massenspuren von Wasser (H2O mit Sauerstoffisotop 18O; m/z = 20) und doppelt geladenem Argon (m/z = 40/2) berücksichtigt werden, um hier keine falsch positiven Aussagen zu treffen. Insgesamt ist der Bereich der niedrigen m/z-Werte durch eine Vielzahl anderer Substanzen und Substanzfragmente stark „bevölkert“. Das erschwert das Auswerten und damit konkrete Aussagen hinsichtlich der Konzentration von HF.

Bewertung der Ergebnisse

Als die häufigste analytische Methode dürfte der Fluorid-Nachweis mittels der Ionenchromatographie (IC) durchgeführt werden. Wie eingangs bereits beschrieben, wird der Nachweis von Fluorid auch als persistenter Indikator für Undichtigkeiten der Batteriezelle verwendet. Bei Korrosionsschäden an peripheren Bauteilen – wie zum Beispiel Elektronik – kam es in der Vergangenheit schon des Öfteren zu Haftungsstreitigkeiten zwischen Zellherstellern und Anwendern. Dafür verantwortlich war der vermeintliche Nachweis höherer Fluorid-Konzentrationen mittels IC und dem daraus abgeleiteten Austreten von korrosiven Batteriegasen. Dies kann zum Beispiel erfolgen, wenn das beauftragte Routinelabor eine ungeeignete Trennsäule auswählt. Infolgedessen ist nur eine unzureichende Separation zwischen Fluorid und Formiat – dem Anion der Ameisensäure – möglich, welches dann fälschlicherweise auf die Anwesenheit von Fluorid schließen lässt. Darüber hinaus ist aber auch zu beachten, dass bei Abuse-Tests durchaus mit der Entstehung von Formiat neben Fluorid zu rechnen ist.

Durch die parallele Anwendung verschiedener analytischer Methoden können deren jeweilige Vor- und Nachteile sich gegenseitig ergänzen und das kann zur Analytik von Batteriegasen genutzt werden. Gleichzeitig kann eine Überprüfung der Plausibilität der Ergebnisse der einzelnen Methoden durchgeführt werden, wenngleich auch nicht alle hier eingesetzten Methoden alle Substanzen nachweisen können. Wichtig für eine belastbare Ergebnisauswertung sind dabei drei Punkte. Erstens: Die Freisetzung der Batteriegase erfolgt in ein gasdichtes und definiertes Volumen. Zweitens: Messaufbau und analytische Einrichtungen sind geeignet, um reaktive Komponenten schnellstmöglich nachzuweisen. Drittens: Die Fallstricke und Limitierungen der eingesetzten Methoden müssen bekannt sein und entsprechend berücksichtigt werden (siehe obige Beispiele).

Im bereits abgeschlossenen BMBF-Forschungsprojekt SafeBatt (Bundesministerium für Bildung und Forschung) konnte übereinstimmend mit verschiedenen analytischen Einrichtungen für eine typische automobile Pouchzelle mit 40 Amperestunden (Ah) eine maximale Freisetzung von zirka 60 ppm HF in einem Volumen von 150 Liter ermittelt werden. Aus der Gesamtkapazität der Traktionsbatterie von einem fiktiven Elektroauto wurden 64 Zellen als notwendige Anzahl ermittelt. Zudem wurde als worst-case-Szenario das gleichzeitige Freisetzen der maximalen HF-Konzentration gewählt.

Geringe Gefahr für Fahrzeuginsassen

In drei Volumenszenarien, die für die Insassen beziehungsweise die Rettungskräfte relevant sind, wurden daraus die resultierenden HF-Konzentrationen berechnet und dem Störfallbeurteilungswert der AEGL-2 gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass bei einem angenommenen Innenraumvolumen von vier Kubikmetern der Grenzwert um den Faktor 1,5 überschritten wird. Bei den Szenarien Garage (Volumen von 30 m3) beziehungsweise unmittelbares Umfeld (1000 m3) liegt die resultierende HF-Konzentration jedoch fünffach beziehungsweise 150-fach unterhalb des AEGL-2-Wertes.

Für alle Szenarien folgt, dass bei einem möglichen Fahrzeugcrash die unmittelbare Gefährdung der Fahrzeuginsassen wie auch von Rettungskräften aufgrund der gemessenen HF-Konzentrationen als vertretbar bis eher gering einzuschätzen ist. Bei zwei realen Elektrofahrzeug-Crashs innerhalb des europäischen EverSafe-Projektes konnte weder beim Seitenaufprall- noch bei einem Heckaufprall-Unfallszenario die Freisetzung von Batteriegasen gemessen werden. In beiden Fällen blieben die Zellen der Antriebsbatterie unversehrt.

In der Literatur werden neben AEGL-Werten auch andere Grenzwerte zur Beurteilung der Messergebnisse herangezogen, etwa der Emergency-Exposure-Limit-Wert (20 ppm HF für zehn Minuten) oder der Immediately-Dangerous-to-Health-and-Life-Wert (30 ppm HF). Entsprechend erhöht sich das Gefährdungspotenzial bei HF-Exposition wenn diese niedrigeren Werte herangezogen werden. Im Allgemeinen gilt aber der AEGL-Wert als Kriterium.

In dieser Betrachtung einer Einzelsubstanz werden synergistische Effekte der Toxizität nicht berücksichtigt. Neben HF wurden weitere, ebenfalls durchaus toxische, Fluorkomponenten wie POF3 und COF2 (Phosphoroxidfluorid und Carbonylfluorid) in den Batteriegasen nachgewiesen. Dies erschwert neben dem sauberen analytischen Erfassen dieser Abbau- und Reaktionsprodukte eine belastbare Risikobewertung und erfordert weitere Forschung auf diesem Gebiet.

Bildergalerie

  • Nach dem Crash-Test eines Elektroautos wird der mögliche Austritt von gefährlichen Batteriegasen wie Fluorwasserstoff direkt im Batteriebehälter gemessen. Eine silberne Gasprobenahmeleitung führt zum Messgerät.

    Nach dem Crash-Test eines Elektroautos wird der mögliche Austritt von gefährlichen Batteriegasen wie Fluorwasserstoff direkt im Batteriebehälter gemessen. Eine silberne Gasprobenahmeleitung führt zum Messgerät.

    Bild: Fraunhofer ICT

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