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Messtechnik & EMV Schönheit und Schrecken

Bild: goldistocks, iStock
06.06.2016

Was an der Entstehung so faszinierender Himmelsschauspiele wie Nordlichter beteiligt ist, kann in Elektroautos zu unerwünschten Störungen führen: elektromagnetische Strahlung. Die Fahrzeuge werden daher auf die Verträglichkeit bezüglich solcher Strahlen geprüft. Dabei stellt die Automobilindustrie höhere Ansprüche als eine international vereinbarte technische Vorschrift.

Die Prüfung der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) an Fahrzeugkomponenten nach ECE R10 (eine international vereinbarte technische Vorschrift für Kraftfahrzeuge von der Wirtschaftskommission für Europa) stellt nach der neuesten Revision 5 inzwischen für die meisten Prüflinge keine Herausforderung mehr dar. Seit Elektro- und Hybridfahrzeuge zunehmend Einzug in unser Leben halten und die Entwicklung von Akkumulatoren immer rasanter voran schreitet, ergeben sich allerdings neue Fragestellungen bezüglich des EMV-Tests an Hochvoltkomponenten.

Die leistungshungrigen Komponenten moderner Fahrzeuge führen zu immer höheren elektrischen Spannungen der Versorgungsnetze. Wird bei mit Verbrennungsmotor angetriebenen Fahrzeugen das 48-Volt-Bordnetz favorisiert, so beträgt die Spannung der Hochvolt-Seite (HV) bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen bis zu zirka 400 Volt (V) nominal. Bei Sonderfahrzeugen und Elektro-Bussen wird hier mit Spannungen von 700 V und höher gearbeitet. Durch die Erhöhung der Versorgungsspannung lässt sich einerseits die Stromstärke bei gleicher Leistung reduzieren beziehungsweise mehr Leistung bereitstellen, andererseits ist im Vergleich zu einem 12-V-Bordnetz ein deutlicher Störpegelanstieg zu verzeichnen. Hier kommt dem EMV-gerechten Design der Komponenten und Verbindungswege (Schirmungskonzept) untereinander eine gestiegene Bedeutung zu.

Die eigentlichen Zellen, beispielsweise von Lithium-Ionen-Batterien, haben Zellspannungen von 3,7 V oder niedriger und sind rein passiv. Aus EMV-Sicht gelten diese Zellen als unkritisch. Die emissions- und immunitätskritische Komponente bei Hochvoltbatterien stellt das Batteriemanagementsystem (BMS) dar. Bei modernen Batterien für Elektro-Fahrzeuge (EV, Electric Vehicle) oder Hybrid-Elektro-Fahrzeuge (HEV, Hybrid Electric Vehicle) integrierten Batteriehersteller die Leistungs- und Kommunikationselektronik direkt in das Gehäuse der Batterien. Da zur Versorgung von elektrischen Antrieben Versorgungsspannungen bis zu mehreren hundert Volt benötigt werden, ist es nötig, mehrere Batteriezellen elektrisch in Serie miteinander zu verschalten.

Empfindliche FPGAs und ASICs

Für alle Anwendungen von Batteriesystemen, während der EMV-Prüfungen sowie für den sicheren Betrieb von Batteriezellen sind eine genaue Information über den aktuellen Ladezustand (State-of-Charge, SOC) und die maximal verfügbare Batteriekapazität (State-of-Health, SOH) essenziell.

Moderne BMS verfügen über mindestens eine schnelle Schnittstelle (CAN) zur Kommunikation mit angeschlossenen Verbrauchern beziehungsweise für die Steuerung des Ladevorgangs. Um die notwendige hohe Rechenleistung bereitstellen zu können, verfügen heutige BMS über schnell getaktete FPGA (Field Programmable Gate Array) oder ASICs. Diese Bauteile arbeiten mit kleinsten Strömen und hohen Taktfrequenzen. Sie erweisen sich als anfällig für während der EMV-Prüfung (oder beim Einsatz im Fahrzeug) eingebrachte Störungen. Andererseits benötigt ein BMS Schaltkonzepte, um hohe Ströme beim Lade- und Entladevorgang steuern und schalten zu können. Das Störpotenzial dieser Leistungselektronik ist entsprechend hoch.

In punkto Sicherheit kommt dem Hauptrelais eine zentrale Funktion zur Unfallverhütung und zur angemessenen Fehlerreaktion der BMS-Elektronik zu. Im Fehlerfall soll das Main-Relais innerhalb einer angemessenen Zeit (in der Regel maximal 10 Millisekunden) durch die BMS-Baugruppe geöffnet werden. Diesen Fail-safe-Zustand kennzeichnet, dass selbst bei Versagen der BMS-Steuerung ein Sicherheitselement dafür sorgt, dass im Fehlerfall (Ausfall der Controller-Logik) sicher beide Hochspannungskontakte zum Inverter unterbrochen werden. Diese Sicherheitsfunktion hat einen entscheidenden Stellenwert bei der Risikoanalyse des Gesamtsystems – Stichwort: Automotive Safety Integrity Level, ASIL.

Die soeben beschriebenen Funktionen des BMS wie Kommunikation mit externen Komponenten, Behalten des gewählten Betriebszustand, zuverlässiges Abschalten im Fehlerfall und plausible Werte für SOC, SOH und so weiter stellen die Fail/Pass-Bewertungskriterien für die Immunitätsprüfungen im Rahmen der EMV-Prüfung dar. Gibt die ECE R10 rev.5 gleichsam die Minimalanforderungen für das Typgenehmigungsverfahren beim Kraftfahrbundesamt (KBA) vor, so stellt die
Automobilindustrie an die EMV-Zuverlässigkeit ihrer eingesetzten elektrischen und elektronischen Komponenten und an das Gesamtfahrzeug deutlich höhere Ansprüche.

Zu prüfende Betriebsarten

Prinzipiell müssen Hochvoltakkumulatoren nach ECE R10 in zwei unterschiedlichen Betriebsarten geprüft werden. Die erste ist „REESS charging mode coupled to the power grid“. Hinter REESS verbirgt sich „Rechargeable Energy Storage System that provides Electric Energy for electric Propulsion of the Vehicle“. Während aller Prüfungen ist hierbei der Ladezustand der Batterie (SOC) zwischen 20 Prozent und 80 Prozent zu halten. Bei den Emissionsprüfungen ist ein Ladestrom in Höhe von mindestens 80 Prozent zu gewährleisten. Da der nominale Ladestrom der jeweiligen HV-Batterie in diesem Zusammenhang allerdings nicht sehr aussagekräftig ist, wird in der Regel der maximale Ladestrom des Endprodukts „Elektrofahrzeug“ zu Grunde gelegt. Zukünftige Entwicklungen sehen für das Schnelladen einen Maximalstrom von 400 Ampere (A) vor. Die derzeitige Spitze stellt das Supercharger-Ladesystem von Tesla mit einer Ladeleistung von maximal 135 Kilowatt (kW) dar. Der Spitzen-Ladestrom kann hier über 300 A betragen.

Die zweite Betriebsart ist „Configurations other than REESS charging mode coupled to the power grid“. Bei diesen Prüfungen ist der Prüfling unter seiner normalen Betriebsart, bei einem SOC von 20 Prozent bis 80 Prozent, idealerweise unter Volllast zu betreiben. Hierzu verwendet der Prüfer vorzugsweise einstellbare, spannungsfeste ohmsche Widerstände (gegebenenfalls wassergekühlt), die bis zu 50 kW Leistung in Wärme umsetzen können.

Elektronische Lasten können Störungen verursachen. Werden solche verwendet, so ist eine Rückwirkung auf den Prüfling, oder die Messung, zu minimieren. Praktische Versuche an verschiedenen Prüflingen haben gezeigt, dass der Laststrom im Bereich von 50 Prozent bis Volllast den Pegel der Störemissionen nur unwesentlich beeinflusst.

Für das Prüflabor besteht die eigentliche Herausforderung während der EMV-Prüfungen nun darin, die benötigten Stromstärken bei den verschiedenen Ladespannungen der Hochvoltbatterien über Durchführungsfilter in der Absorberkammer bereitzustellen und dem Prüfling diese über Netznachbildungen zuzuführen. Aufgrund der hohen Lade- beziehungsweise Entladeströme und der dadurch kurzen möglichen Prüfzeiten ist es nötig, Tests bei Erreichen des SOC 80 Prozent zu unterbrechen und die Batterie wieder auf SOC 20 Prozent zu entladen, beziehungsweise bei Erreichen von SOC 20 Prozent wieder zu laden.

Prüfumfang nach ECE R10:
Betriebsart: Configurations other than REESS charging mode coupled to the power grid

  • Abstrahlung (radiated emission), hier ist nur die Messung der Breitbandstörungen gefordert

  • leitungsgeführte Emissionen nach ISO 7637-2

  • Pulse nach ISO 7637-2

  • Immunitätsprüfung 20MHz-2GHz (Einstrahlung (radiated immunity); BCI; Stripline oder TEM
    Zelle)

Betriebsart: REESS charging mode coupled to the power grid

  • Abstrahlung (radiated emission); Breit- und Schmalbandstörungen

  • leitungsgeführte Emissionen nach ISO 7637-2

  • Pulse nach ISO 7637-2

  • Immunitätsprüfung 20MHz-2GHz (Einstrahlung (radiated immunity); BCI; Stripline oder TEM
    Zelle)

Erweiterte Anforderungen

Derzeit sieht die ECE R10 rev.5 keinerlei Prüfungen auf der Hochspannungsseite der Batterie vor. Diese Lücke schließen in der Regel erst OEM-Anforderungen. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass eine zukünftige Ausgabe der ECE R10 ebenfalls erweiterte Anforderungen in dieser Richtung stellt. Die ISO/CD 7637-4, die sich momentan noch im Entwurf-Stadium befindet (Stage30.60; Close of voting/comment period), gibt hier einen Ausblick auf den möglichen zu erwartenden Prüfumfang. Bereits seit Jahren in Verwendung ist der von den Autoherstellern Audi, Daimler, Porsche und Volkswagen entwickelte Standard LV 123, der Anforderungen und Prüfungen an Kfz-Hochvoltkomponenten definiert.

Die ISO/CD 7637 Teil 4 sieht derzeit folgende Prüfungen vor:

  • Transient emission test to measure voltage ripple along high voltage supply lines

  • Immunity test: voltage ripple “line-to-line“ and “line-to-ground“ (Pulse A)

  • Immunity test: pulsed sinusoidal disturbances “line-to-line“ and “line-to-ground“ (Pulse B)

  • Immunity test: Low frequency sinusoidal disturbances “line-to-line“ and “line-to-ground“ (Pulse C)

Die Anwendung der ISO/CD 7637-4 stellt ganz neue Anforderungen an das Prüfequipment und verlangt einiges an zusätzlichem technischem Know-how vom Prüfer. Neben der anfangs bereits aufgeführten Problematik der Bereitstellung entsprechender Spannungen, Ströme, HV-fester Durchführungsfilter und HV-beständiger Lasten mit hoher Leistung ist bei Messungen auf der HV-Seite ein grundsätzliches Problem zu erkennen. Ein Vergleich der HV-Systemtopologien und des genormten Komponentenmessaufbau zeigt einen wesentlichen Unterschied im Leitungsabschluss, der zu einer Überbewertung der Störpegel bei der Störspannungsmessung im Komponententest führt (bis zu +30 dB). Hier gilt es, die normativen Anforderungen anzugleichen, um nicht unnötige, teure oder gar kontraproduktive Entstörmaßnahmen der Hersteller zu erzwingen. Näheres hierzu findet sich im GMM-Fachbericht 77:EMV in der Kfz-Technik.

Bildergalerie

  • BCI-Prüfung an einem Hochvolt-Batteriesystem der Firma ACTIA I+ME bestehend aus einer Master- und vier Slave-Batterien.

    BCI-Prüfung an einem Hochvolt-Batteriesystem der Firma ACTIA I+ME bestehend aus einer Master- und vier Slave-Batterien.

    Bild: Intertek

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