Faseroptische Sensoren Schlauer segeln

27.08.2012

Schneller als der Wind sein und gleichzeitig den rauen Bedingungen auf See standhalten - das sind heutzutage die Anforderungen an Rennyachten. Spezielle faseroptische Sensoren aus dem Hause Fraunhofer sollen jetzt ein sicheres Segeln an der Belastungsgrenze möglich machen.

Ob Stromversorgungsnetz, Funksteckdosen, Energiezähler oder Waschmaschinen - heutzutage wird alles intelligent. Nun können sich auch Segelbegeisterte darüber freuen, dass mehr Intelligenz in ihren Sport einzieht - und zwar mittels eines lichtwellenleiter-basierten Messverfahrens, das Forscher des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik HHI (Heinrich-Hertz-Institut) gemeinsam mit der Segelwerkstatt Stade und dem Segeltuch-Hersteller Dimension Polyant entwickelt und auf der Nordsee auch schon getestet haben. Hintergrund für diese Entwicklung ist die Sehnsucht nach immer neuen Rekorden im Segelsport. Zwar sind die heutigen Rennyachten, die derzeit bei internationalen Regatten starten, bereits auf Hochgeschwindigkeit getrimmt. Dennoch kommen sie trotz aller ausgeklügelten Technik an ihre Grenzen was eine weitere Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit betrifft. Und so ergibt sich die Fragestellung, wie man Yachten baut, die schneller sind als der Wind und dabei trotzdem so stabil sind, dass sie den harten Bedingungen während des Segelns auf hoher See stand halten?

Den Schwachstellen auf der Spur

Mit dem von den Fraunhofer-Wissenschaftlern entworfenen Sensorsystem lassen sich die während des Segelns auftretenden Kräfte an jeder beliebigen Stelle im Segel exakt bestimmen. Damit sollen sich Schwachstellen an den Segelbooten rechtzeitig entdecken lassen, und die Crew ist gewarnt, wenn die Belastungen zu groß werden. So können zum Beispiel Risse entdeckt werden, lange bevor es zu einem Bruch kommt. Die Idee für das neue Messverfahren kam Professor Dr. Wolfgang Schade, Leiter der Abteilung Faseroptische Sensorsysteme am Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik HHI, während eines Törns vor zwei Jahren. „Beim Segeln geht es darum, den Wind optimal zu nutzen und möglichst schnell zu sein, gleichzeitig muss man aber verhindern, dass die Belastungsgrenze überschritten wird. Faseroptische Sensoren können dabei helfen, die Kräfte, denen Rumpf, Mast und Segel ausgesetzt sind, während der Fahrt in Echtzeit zu bestimmen.“ Dadurch kann man den optimalen Trimm für beliebige Kurse sowie Wind- und Wasserbedingungen messen, einstellen und auch jederzeit wieder abrufen. Kaum auf diese Idee gekommen, hat Professor Schade sie mit seinem Fraunhofer-Team in Golsar umgesetzt und Nerven aus Glas entwickelt, die die beim Segeln entstehenden Kräfte messen - und sich damit einer Technik bedient, die eigentlich aus dem Monitoring von Windkraftanlagen stammt, wo zum Beispiel die Rotorblätter ebenfalls sehr hohen Belastungen ausgesetzt sind.

Mit Faser-Bragg-Gittern auf Kurs

Das Herzstück der neuen Technik, das den Namen „NextSailSystem“ trägt, sind nach Angaben des Fraunhofer-HHI Faser-Bragg-Gitter (FBG), mikroskopische Strukturen, die in bestimmten Abständen in die Glasfaser integriert sind. Diese Glasfaser kann man in oder auf das Segeltuch aufbringen. Wie das Messverfahren genau funktioniert, beschreiben die Forscher auf ihrer Homepage so: „Das Segel bewegt sich während der Fahrt und dehnt oder staucht dabei das Gitter des Faser-Bragg-Sensors. Das im Lichtwellenleiter transportierte Licht stößt so auf unterschiedliche Strukturen des Sensors. In Abhängigkeit der jeweiligen Dehnung werden unterschiedliche Lichtwellenlängen reflektiert, die der Sensor misst.“Die faseroptischen Sensoren und die dazu gehörige, nur zigarettenschachtelgroße Messtechnik, die LED-Lichtquelle, Spektrometer und Elektronik enthält, liefern nach Aussagen des Forscherteams erstmals reproduzierbare Werte, die anzeigen, in welchen Bereichen zu viel oder zu wenig Druck herrscht oder wie sich die Belastungszonen verschieben, wenn die Schoten dichter geholt werden.

Daten per Smartphone abrufen

Die Ergebnisse des Sensorsystems werden von einer extra für diesen Zweck entwickelten Software verarbeitet und graphisch auf dem Bordcomputer dargestellt. Da die Daten an Bord des Schiffes am besten überall und jederzeit abrufbar sein sollen, haben Professor Schade und sein Team eine App entwickelt, die das Abrufen der Echtzeitdaten per Smartphone erlaubt - so kann der Segler also bequem den jeweils idealen Segeltrimm ermitteln und einstellen. „Da sowohl 3D-Profile als auch Kräfte simultan erfasst werden, lassen sich Segel zukünftig unter definierten Bedingungen bis an die Belastungsgrenzen trimmen und bieten somit auch unter Sicherheitsgesichtspunkten wertvolle Vorteile gegenüber bereits bestehenden Technologien“, so Professor Schade.

In der Praxis schon bewährt

Dass die Faser-Sensorik des Fraunhofer HHI konkrete Auswirkungen auf das Material- und Segeldesign hat, haben erste praktische Testfahrten schon ergeben. So haben die Forscher in der Segelwerkstatt Stade in Zusammenarbeit mit dem Tuchhersteller Dimension Polyant ein Großsegel und eine Genua mit einem Spinnennetz aus Glasfasern, das 45 Messpunkte enthielt, ausgestattet und beim anschließenden Probetörn vermessen. „Es stellte sich heraus, dass die Zugspannung im Segelkopf, ganz oben im Segel, höher war als bisher angenommen“, berichtet Jens Nickel, Chef der Segelwerkstatt. Die Belastung im Schothorn, dem unteren, hinteren Teil des Segels und im gesamten Achterlieksbereich, der das hintere Ende eines Segels bildet, seien hingegen geringer gewesen als gedacht. Die Segelwerkstatt Stade nutzte die Ergebnisse, um die Verarbeitung ihrer Segel zu optimieren. Stark belastete Bereiche hat man verstärkt, in weniger beanspruchten Zonen findet leichteres Material Verwendung.

In Carbonmasten im Einsatz

Das neueste Einsatzgebiet, wo die vom Fraunhofer-Institut HHI entwickelten Sensoren ihren Dienst verrichten, sind Carbonmasten von Segelbooten. Hier sollen sie die dreidimensionale Verformung des Mastes exakt erfassen - und zwar nach Angaben der Forscher mit etwa einem Zentimeter Genauigkeit bei einer Mastlänge von 25 Metern. Sind die Sensoren kalibriert, sollen sich zudem die auftretenden Kräfte bestimmen lassen.Diese Ergebnisse spielen wie bei den Segeln für den jeweiligen Trimm des Mastes und für die künftige Mastkonstruktion eine wichtige Rolle. Denn für das Design der Hightech-Carbonmasten nutzt man numerische Modelle - und dafür benötigt man Daten über die auftretenden Kräfte bei unterschiedlichen Bedingungen. Die FBG-Sensortechnologie liefere hier erstmals zuverlässige experimentelle Datensätze, mit denen die Modelle überprüft und verbessert werden können, so die Forscher. Die gleiche Situation ergebe sich übrigens auch für die Rümpfe der Boote. Der nächste Schritt für Professor Schade und sein Team ist nun, ihr ausgetüfteltes Messverfahren für den Einsatz im harten Wettkampf fit zu machen.

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