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Luft- & Raumfahrttechnik Rotierendes genau beobachten

Bild: RedBarnStudio, iStock
06.04.2016

Um das Verhalten von Propellerblättern unter Realbedingungen präzise zu ermitteln, hat ein Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein spezielles optisches Mess- und Diagnostiksystem entwickelt. Das mit einer stereoskopischen Kamera und einem Single-Board-Computer ausgestattete System ist direkt auf der Propellerachse montiert. Damit konnte man erstmals die Form und die Deformation eines Rotorblattes im Flugversuch mit hoher Genauigkeit flächig messen.

Die von den Entwicklern eingesetzte optische Messtechnik IPCT (Image Pattern Correlation Technique) bietet die Möglichkeit, die Form und Lage sowie die Deformation von Propeller- oder Rotorblättern im Flugversuch berührungslos experimentell mit hoher Genauigkeit zu messen. IPCT ist eine optische Messmethode, die auf digitaler Bildkorrelation basiert. Das zu untersuchende Objekt wird mit zwei Kameras aus leicht verschiedenen Blickwinkeln, das heißt einer stereoskopischen Anordnung, aufgenommen. Ein Korrelationsalgorithmus identifiziert in beiden Kameras kleine Bildbereiche in Pixelkoordinaten, welche exakt den gleichen Ausschnitt des Objektes beinhalten. Ein auf das Objekt aufgebrachtes stochastisches Punktemuster unterstützt hierbei diese Bildkorrelation. Mit Kenntnis der Position und Lage beider Kameras im Raum lassen sich anschließend die korrespondierenden Pixelbereiche virtuell in den Raum zurückprojizieren (beziehungsweise triangulieren), und es ergibt sich die 3D-Position des entsprechenden Punktes auf dem Untersuchungsobjekt.

Wird der Algorithmus nun auf das gesamte Bild angewandt, ergibt sich schließlich die gemessene 3D-Oberfläche und
deren Lage im Raum. Ein Vergleich der so ermittelten 3D-Oberflächen für verschiedene Lastfälle (zum Beispiel Leerlauf und voller Schub) ergibt letztlich die Deformation des untersuchten Objektes. Die typische Genauigkeit von IPCT-Messungen liegt aktuell bei circa 0,2 Pixeln. Abhängig von den verwendeten optischen Komponenten, der Kameraauflösung und den Sichtbedingungen ergeben sich Genauigkeiten im Submillimeterbereich. Die angegebene lokale Messgenauigkeit liegt zwar unter der mit herkömmlichen Methoden (zum Beispiel Dehnmessstreifen) erreichbaren; der Vorteil der IPCT liegt jedoch darin, dass man mit ihr die Deformation berührungslos und kontinuierlich über eine große Fläche messen kann. Weiterhin ergibt sich die Form und Lage der vermessenen Fläche im Raum als direktes Messergebnis und muss nicht, wie bei Dehnmessstreifen, aus den Messwerten aufwändig abgeleitet werden. Ist die 3D-Geometrie des zu untersuchenden Objektes bekannt, etwa CAD-Daten, kann die Genauigkeitsabschätzung über die gesamte Messfläche erfolgen.

Um die berührungslose Propellerdeformation im Freiflug durchführen zu können, wurde ein aufwändiges IPCT-Bildakquisitionssystem entworfen. Dieses Stereokamerasystem arbeitet autark und wird anstelle des so genannten Spinners auf der Propellerachse starr montiert, wodurch es zusammen mit dem Propeller rotiert.

Konstruktion des Kamerasystems

Die Stereokamera des Systems ist auf ein Blatt des Propellers ausgerichtet. Dieses Blatt ist mit einem stochastischen Muster versehen. Im Gegensatz zu einem im Flugzeugrumpf statisch platzierten IPCT-Messsystem erlaubt die hier dargestellte Lösung die Beobachtung des Blattes über den gesamten Umlauf. Das System musste komplett neu entworfen werden, da für eine Integration von Kameras auf der rotierenden Achse eines Flugzeugpropellers keine geeigneten Standardkomponenten verfügbar waren.

Das patentierte System besteht überwiegend aus speziell für diesen Zweck entwickelten Komponenten, wie einer doppelten (Stereo-)CMOS-Kamera, einem digitalen Phasenschieber, einer Bilderfassungskarte, einer Reflexlichtschranke, um den Nullwinkel des Propellers zu bestimmen, und einem Single-Board-Computer des Herstellers ADL Embedded Solutions (siehe Kasten). Dieses PCI/104-Express-Board basiert auf den Intel-Core-i7-Prozessor der zweiten Generation und ist mit WLAN, GPS und 2 GBit/s-LAN-Ports ausgestattet. Um einen vom Flugzeug autarken Betrieb zu ermöglichen, werden alle Bauteile von insgesamt vier aufladbaren LiFePO-Akkus (Lithium-Eisenphosphat) mit insgesamt 14,8 V und 3.500 mAh gespeist. Der Betrieb des Systems erfolgt durch eine eigens dafür entwickelte Steuersoftware und ist so ausgelegt, dass die Bilder während des Fluges vollkommen selbsttätig akquiriert werden. Allerdings kann ein mitfliegender Flugversuchsingenieur die Funktion permanent überwachen. Das auf dem realen, rotierenden Propeller montierte System unterliegt sehr starken Vibrationen (bis 20 g im Bereich von 20 bis 150 Hz). Zudem wird es bei einer Drehzahl von 2.700 U min-1 erheblichen zentrifugalen Kräften ausgesetzt. Um die Beschädigung der Elektronik zu vermeiden, haben die Entwickler die Platinen in einem Metallrahmen verankert.

Wirkungsweise des Systems

Durch die Laserlichtschranke, die auf einen Reflektor am Motorgehäuse des Flugzeuges zielt, wird pro Umlauf ein Trigger-Impuls erzeugt. Je nach Einstellung des Phasenschiebers wird dann entweder direkt zum Zeitpunkt des Trigger-Pulses oder mit einer voreingestellten Phasenverschiebung simultan ein Stereobildpaar aufgenommen. Die Phasenverschiebung kann man entweder auf einen festen Wert einstellen, sodass die Bildaufzeichnung unabhängig von der Propellerdrehzahl immer zur gleichen Phasenlage des Propellerblattes erfolgt. Oder die Phasenverschiebung ändert sich mit jedem Umlauf um ein voreingestelltes Inkrement, sodass über mehrere Umläufe ein gewisser Phasenwinkelbereich (auch bis zum vollen Umlauf) aufgezeichnet wird.

Die aufgezeichneten Kamerabilder werden mittels zweier Gigabit-Ethernet-Schnittstellen an den Single-Board-Computer übermittelt und dort in Echtzeit zusammen mit den aktuellen GPS-Daten (Zeit, Position) auf eine SSD-Festplatte abgespeichert. Mittels der WLAN-Verbindung lassen sich die aufgezeichneten Bilder während des Fluges in der Kabine begutachten und gegebenenfalls die Bilderfassungsparameter ändern. Die gesamten erfassten Bilddaten kann man nach dem Test entweder via WLAN, USB-Verbindung oder über Austausch der SSD-Festplatte entnehmen und der IPCT-Auswertung zuführen.

Systemtests und Messvorbereitung

Das komplette System haben die Entwickler zunächst im DLR-Labor einem Vibrations- und Rotationtest unterzogen. Der erste mechanische Bodentest wurde auf dem Flughafen in Rzeszów Polen durchgeführt. Neben einem ersten Montagetest fanden dabei die Erprobung verschiedener Punktmuster und ein erster Bodentestlauf mit rotierendem Propeller statt. Zusätzlich zum intensiven Erproben der Kamerahardware hat das Projektteam das die für die IPCT-Messung erforderlichen Muster generiert. Für die finale Musterauslegung nutzte es ein auf CATIA V5 basierendes Digitales-Mock-up (DMU), in welchem die späteren Kamera-
bilder mit Hilfe von 3D-CAD-Modellen der Apparatur simuliert werden können.

Um eine für die IPCT-Auswertung optimale gleichmäßige Punkt- und Markergröße zu erhalten, musste man das Muster entsprechend zur Blattspitze hin progressiv auslegen. Weiterhin werden Punkte und Marker entsprechend gedehnt. Dadurch erscheinen die Punkte aus der flachen Perspektive der beiden Kameras als rund und gleich groß. Ergebnis: Die Kameraauflösung war optimal zu nutzen, und die Genauigkeit auf der ganzen Blattoberfläche wurde maximiert. Ein weiterer Schritt der Vorbereitung ist die Montage der Kamera am Propeller (Typ AV-723) und das Auswuchten des gesamten Messaufbaues. Im Anschluss wurden die Kameraoptiken eingestellt und erste Testbilder aufgenommen. Diese stimmen mit den in der DMU simulierten Bildern überein und demonstrieren damit die einwandfreie Funktionsweise der DMU.

Flugversuch und Ergebnisse

Den fertig vorbereiteten Propeller haben die Entwickler zusammen mit der rotierenden Kamera am Flugzeug befestigt und das System für den Flugversuch konfiguriert. Hierzu bietet die neu entwickelte rotierende Kamera zusätzlich zur „Remote Desktop Bedienung“ via WLAN alternative Anschlussmöglichkeiten für Monitor, Tastatur und Maus. Nach der Montage der Kamera am Flugzeug und einem ersten Funktionstest wurde die für die Messtechnik IPCT erforderliche Kamera kalibriert Diese dient dazu, den Bezug zwischen Weltkoordinaten (den wirklichen 3D-Koordinaten des Rotorblattes) und Kamerasensorkoordinaten (Zeile und Reihe in den jeweiligen Kamerabildern) herzustellen. Im Rahmen der Kalibrierung werden durch Aufzeichnen einer so genannten Kalibrierplatte mit bekanntem Schachbrettmuster unter verschiedenen Winkeln die Lage und Position der beiden Kameras, der Abbildungsmaßstab sowie die Linsenverzeichnung ermittelt.

Nachdem das System fertig konfiguriert und kalibriert war, konnte man die Akkus einbauen und den eigentlichen Flugversuch starten. Insgesamt wurden bei der Flugversuchskampagne vier Flüge durchgeführt. Im Rahmen jedes der circa 30-minütigen Flüge wurden verschiedene Manöver mit unterschiedlichen Propellereinstellungen geflogen. Insgesamt konnte man circa 400 GByte an Bilddaten aufzeichnen. Die Bildaufzeichnung erfolgte sowohl mit fest eingestelltem als auch mit kontinuierlich verändertem Phasenwinkel.

Auswertung

Die aufgezeichneten Bilder hat das Team nach dem Flugversuch mit einer in Matlab erstellten IPCT-Software ausgewertet. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich nun auch einfach rotierende optische Präzisionsmessgeräte ähnlicher Bauart für die Anwendung am Hubschrauberrotor oder auch an den Rotoren von Windenergieanlagen realisieren.

Bildergalerie

  • Schematischer Ablauf einer IPCT-Auswertung von Stereobildern

    Schematischer Ablauf einer IPCT-Auswertung von Stereobildern

    Bild: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

  • Skizze des rotierenden Stereokamerasystems

    Skizze des rotierenden Stereokamerasystems

    Bild: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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