Markteintritt as a Service Risikoarmer Einstieg in den Vertrieb von Strom und Gas

Nun interessieren sich vermehrt auch kleinere Mineralölhändler für den Vertrieb von Strom und Gas.

Bild: iStock, dkidpix
30.06.2020

Umsatzrückgänge im Stammgeschäft veranlassen immer mehr Mineralölhändler, sich im Vertrieb von Strom und Gas zu engagieren. Einen risikoarmen Einstieg der Neulinge in diesen Markt, mit seinen komplexen Prozessen, ermöglichen kompetente Backoffice-Dienstleister.

Dass die Stadtwerke Schwäbisch Hall Newcomern im Strom- und Gasmarkt als Steigbügelhalter beim Markteintritt dienen und sie bei der Geschäftsausübung unterstützen, ist aus heutigem Blickwinkel kaum überraschend. Erstaunlich ist eher, dass der kommunale Versorger dies schon seit mehr als 20 Jahren tut – quasi seit Beginn der Energiemarktliberalisierung. Und zwar so erfolgreich, dass er das Geschäft mit den Marktservices in einer separaten Sparte angesiedelt hat. Bundesweit werden unter Marke Sherpa-X rund 70 Strom- und Gasversorger mit über 400.000 Endkunden unter anderem im After-Sales-Bereich unterstützt. Zu den Kunden in diesem Segment – überwiegend kleine Versorger und Grünstromanbieter – zählt auch ein Dutzend Mineralölhändler.

Aktuell steht diese Klientel bei den Hallern besonderes im Fokus vertrieblicher Aktivitäten. „Nachdem die Bundesregierung in ihren Eckpunkten für das Klimaschutzprogramm 2030 den Abschied vom Öl als Heizenergieträger anstrebt, interessieren sich vermehrt auch kleinere Mineralölhändler für den Vertrieb von Strom und Gas – und somit auch für unsere Dienstleistungen“, erläutert Matthias Knödler, Bereichsleiter Energiewirtschaft bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall.

Hohe Hürden beim Markteintritt

Warum das Interesse an diesen Marktservices generell groß ist, erklärt sich aus den spezifischen Anforderungen und Prozessen im Strom- und Gasmarkt. Den Marktteilnehmern wird einiges abverlangt. Der formale Akt der Anmeldung ist dabei noch der einfachste Schritt. Der neu gegründete Energievertrieb muss bei der Bundesnetzagentur die Lieferantenanzeige gemäß § 5 Energiewirtschaftsgesetz abgeben und dabei unter anderem seine personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit darlegen. Die Bundesbehörde stellt dafür auf ihrer Homepage ein entsprechendes Formular bereit. Ferner benötigt der neue Versorger auch einen Erlaubnisschein vom Hauptzollamt, der ihn als Wiederverkäufer von Energie vom Entrichten der Stromsteuer freistellt. „Bei der Erfüllung dieser administrativen Pflichten unterstützen wir unsere Kunden mit einer Checkliste und beratend“, so Knödler.

Bedeutend anspruchsvoller sind die operativen Anforderungen an den Strom- und Gasvertrieb. Alle Marktteilnehmer müssen die vom Gesetzgeber verordneten Standardmarktprozesse beherrschen und anwenden können – lückenlos und schon bei der Belieferung des ersten gewonnenen Kunden. Aufgaben und Prozesse wie Lieferantenwechsel, Lastprofilmanagement, Prognose, Netznutzungsmanagement, Bilanzkreismanagement, Mehr-/Mindermengenabrechnung und Endkundenabrechnung sind nicht nur per se komplex, sondern unterliegen auch immer wieder der Umgestaltung. Die über das Datenaustauschformat EDIFACT organisierte Marktkommunikation beispielsweise verändert sich im Halbjahresrhythmus durch Prozessaktualisierungen der Bundesnetzagentur. „Das können marginale Anpassungen sein, aber auch gravierende Änderungen wie jüngst durch die Einführung der Marktkommunikation 2020“, erläutert Matthias Knödler. „Diese umfassende Systemwelt für den Eigenbedarf selbst einzurichten und zu betreiben, ist unter den Gesichtspunkten Ökonomie, Ressourcen und Know-how nicht sinnvoll.“ Die Haller bieten die einschlägigen Prozessdienstleistungen als Cloud-Service aus dem eigenen Rechenzentrum an, so dass sich die Kunden um Themen wie Systemadministration nicht zu kümmern brauchen.

Gebündelte Energielogistik

Der Energieeinkauf – und hier insbesondere der kurzfristige Ausgleich zwischen Absatz und Einkauf (Bilanzkreismanagement) – ist ein anderes Beispiel für die Vorteile der Kooperation. Abgesehen davon, dass dafür Branchenkenntnis und Know-how erforderlich und die einschlägigen Prozesse ohne professionelle IT kaum zu bewältigen sind, fehlte es auf sich allein gestellten Newcomern an Nachfragemacht. Selbst ein mittelständisches Unternehmen wie die Stadtwerke Schwäbisch Hall erledigt den kurzfristigen Energieausgleich nicht allein, sondern über die SüdWestStrom. Die Haller hatten das Kooperationsunternehmen zusammen mit 29 anderen Stadtwerken aus Baden-Württemberg und Bayern 1999 gegründet, um sich für den Wettbewerb zu rüsten. Von dieser Kooperation können auch die Dienstleistungskunden der Stadtwerke Schwäbisch Hall profitieren. „Wir sind aber nicht böse, wenn jemand das Bilanzkreismanagement oder langfristige Beschaffungen über einen Dritten durchführt“, betont Knödler. „Wir unterstützen unsere Kunden dabei, für ihren Bedarf optimal einzukaufen.“

Im Prinzip biete man eine Arbeitsteilung an, so der Prokurist. „Das Ölunternehmen organisiert unter eigener Flagge Marketing und Vertrieb und übergibt die Kundendaten an uns. Wir übernehmen als externer Dienstleister im Hintergrund den kompletten Rest, vom Bilanzkreismanagement bis zum Billing. Die Abrechnung wird mit dem Logo des jeweiligen Mineralölhändlers verschickt, der somit face to the customer bleibt.“

Da die neuen Energielieferanten diese Leistungen transaktionsbasiert als Process as a Service in Anspruch nehmen können, sei das Markteinstiegsrisiko für sie minimal. „Die Dienstleistung wächst im Hintergrund mit steigender Kundenzahl einfach mit. Je nach Bedarf kann der Grad der Unterstützung flexibel und individuell gestaltet werden.“ Das gelte auch, wenn Kunden bestimmte Aufgaben selbst in die Hand nehmen möchten. Über ihre Mehrheitsbeteiligung Somentec Software könne man den Kunden mit XAP eine eigene Branchenlösung zur Verfügung stellen. Diese könne vor Ort beim Lieferanten betrieben oder – in der schlanken Variante – als Software as a Service aus dem Haller Rechenzentrum genutzt werden.

Chancen des Energiemarkts nutzen

Doch warum machen die Stadtwerke Schwäbisch Hall sich selbst und anderen Stadtwerken Konkurrenz, indem sie neue Marktteilnehmer unterstützen. „Wenn wir es nicht machen, tut es jemand anderes“, lautet die pragmatische Antwort von Ronald Pfitzer, Geschäftsführer des Versorgers. „Wir können die Marktentwicklung und den Wettbewerb weder aufhalten noch verhindern, Anbieter gibt es genug. Also nutzen wir die Chancen des Energiemarktes und ziehen einen Teil der Wertschöpfung auf unsere Seite. Vor allem Netzbetreiber sind meist froh, dass wir ihr Partner sind. Bei uns haben sie die Gewähr, dass die Zusammenarbeit fair, professionell und auf Augenhöhe abläuft.“

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