Virtual Reality für die Pharmaindustrie Anlagen lieber erst mal simulieren

Bild: iStock, enot-poloskun
07.05.2018

Die Digitalisierung hat Entwicklungs- und Konstruktionsprozesse grundlegend verändert. Ein wichtiges Werkzeug hierbei ist Virtual Reality, das sich im gesamten Produktionszyklus anwenden lässt: von der ersten Vorstellung möglicher Lösungen über die konkrete Projektplanung und das Design Review bis hin zur Schulung des Bedienpersonals und Planung von Anlagenmodifikationen. Der Pharmamaschinenbauer Bausch+Ströbel zeigt, wie es geht.

Die Tatsache, dass die Maschinen von Bausch+Ströbel in der Regel speziell auf die Bedürfnisse des einzelnen Kunden zugeschnitten sind, macht es schwierig, den Kunden jedes Mal ein für sie passendes Modell in der Realität vorzuführen. Durch das neue Virtual Reality Center gibt es bei dem Hersteller von Abfüll- und Verpackungsmaschinen für die pharmazeutische Industrie jetzt jedoch einen Ausstellungsraum, in dem alle verfügbaren Anlagen gezeigt werden können.

Ein spezieller Beamer projiziert hier die jeweilige Anlage auf eine Leinwand. Der Betrachter kann mit einer 3D-Brille an verschiedene Bereiche der Maschine gehen und diese von oben und von unten betrachten; die Perspektive des Bildes wird dabei pausenlos neu für den jeweiligen Blickwinkel des Betrachters berechnet. Im Gegensatz zur Realität hat der Betrachter außerdem die Möglichkeit, Schnitte durch die Maschine zu zeigen oder durch die Maschine zu „fliegen“, sie quasi aus dem Blickwinkel eines zu befüllenden Vials zu betrachten. Diese Möglichkeiten können nicht nur in der ersten Entscheidungsphase, sondern während des gesamten Projektverlaufs genutzt werden. „Digital Engineering ermöglicht uns ein systematisches, interdisziplinäres und intelligentes Vorgehen in der Produktentwicklung“, so Tobias Hörner, bei Bausch+Ströbel mit verantwortlich für diesen Prozess.

Einsatz schon in der Planungsphase

Bereits zu Beginn der Konstruktionsphase lässt sich die geplante Anlage in Originalgröße darstellen. Auf Wunsch kann man sie auch gleich virtuell in den Raum stellen, für den sie vorgesehen ist, so dass etwa Versorgungsleitungen optimal eingebunden werden. Schon in dieser Phase ist es möglich, virtuelles Bedienpersonal an die Anlagen zu stellen. Mit diesen Erreichbarkeitsstudien lässt sich mit wenig Aufwand prüfen, ob die Bediener später in angenehmer Haltung ihrer Arbeit nachgehen können oder ob mit Handschuheingriffen alle wichtigen Teile der Maschine erreicht werden. Diesem Vorgehen liegen Ergonomiemodelle auf der Basis von statistischen Extremwerten zu Grunde. Die gefundenen Ergebnisse kann man durch eine subjektive Validierung unter Einsatz von physikalischen Handschuheingriffen absichern. Zusätzlich werden sämtliche Ergebnisse ausführlich dokumentiert. Virtual Reality ersetzt so die bislang hier eingesetzten Mockups aus Holz oder Pappe.

VR Design Review unterstützt ebenfalls das Überprüfen und Optimieren der Maschinenkonstruktion im letzten Drittel des Konstruktionsprozesses; die stereoskopische Darstellung macht die Durchführung einfacher und effizienter. Man kann nicht nur überprüfen, ob das erarbeitete Maschinendesign passt – mit wenig Aufwand lassen sich auch gleich notwendige Änderungen durchführen und dokumentieren. Außerdem ist in dieser Phase eine FMEA-Studie (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse) durch Virtual Reality möglich.

Zusätzlich lassen sich schon während des Produktentstehungsprozesses die Luft-Strömungsverhältnisse simulieren. Bei der herkömmlichen Methode, den so genannten Smoke Studies, werden erst an der bereits fertig gestellten Maschine die Luftströmungen mit eingebrachtem Nebel sichtbar gemacht und anhand von Spezialaufnahmen analysiert. Das Anpassen und Optimieren erfolgt dann an der realen Maschine.

Strömungssimulation während der Konstruktion

Im Gegensatz dazu kann bei den CFD-Studien (Computational Fluid Dynamics) bereits in der Konstruktionsphase optimiert werden, was Zeit und Kosten spart. Und man geht nun sogar einen Schritt weiter: Selbst den Einfluss der Bediener auf die Luftströmung sowohl innerhalb als auch außerhalb des Arbeitsbereiches der Maschine lässt sich bereits in diesem Stadium prüfen. Dem voraus gehen umfangreiche Simulationen und Berechnungen mithilfe von numerischen Berechnungsmethoden. Erkenntnisse aus vorangegangenen Berechnungen beeinflussen das mechanische Design der Maschinen von Bausch+Ströbel kontinuierlich; die Ergebnisse werden für den jeweiligen Kunden genauestens dokumentiert.

Bedienpersonal am virtuellen Modell schulen

Doch Virtual Reality bietet noch mehr: Die geplante Anlage kann man nicht nur passiv betrachten, sondern mit Hilfe eines Controllers auch unter realen Bedingungen aktiv bedienen. Türen lassen sich öffnen, Teile können ein- und ausgebaut werden. Es ist sogar möglich, physikalische Komponenten wie etwa Handschuheingriffe in das Modell zu integrieren.

Diese Interaktion erlaubt es, das Bedienpersonal schon an der Anlage zu schulen, bevor diese tatsächlich in der Produktionshalle des Pharmaunternehmens steht. Hier können die Mitarbeiter zum Beispiel üben, wie sie die Maschine auf andere Packmittel umrüsten oder Reinigungs- oder Wartungsarbeiten durchführen können. Mit einer Aufzeichnung des Trainings steht es auch für künftige Schulungen zur Verfügung. Dies kommt einem schnellen und reibungslosen Produktionsbeginn entgegen. Außerdem kann man stereoskopische Trainings direkt beim Kunden durchführen – denn das Virtual Reality Center ist transportabel und passt leicht in ein normales Besprechungszimmer. Auch Bausch+Ströbel nutzt Virtual Reality, um die eigenen Mitarbeiter zu schulen, seien das Monteure, die die Montage neuer Maschinenkonzepte erlernen sollen, oder Konstrukteurinnen, die sich mit bestimmten Maschinentypen vertraut machen müssen.

Die Möglichkeiten von Virtual Reality sind damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. Man kann das System zum Beispiel auch im Bereich Service einsetzen oder dann, wenn geplant ist, eine bestehende Anlage zu modifizieren. Hier lassen sich zusammen mit dem Kunden direkt am Modell verschiedene Möglichkeiten durchsprechen – bis hin zur Diskussion, ob bei größeren geplanten Veränderungen an einer Anlage nicht doch eine Neuanschaffung wirtschaftlicher ist. Auch für Anlagen, die schon länger in Betrieb sind, nutzt das Unternehmen Virtual Reality, denn die Konstruktionsdaten jeder gelieferten Maschine wurden hinterlegt und können mit überschaubarem Aufwand für VR aufgearbeitet werden.

Bildergalerie

  • Mit Hilfe von virtuellem Bedienpersonal wird die Erreichbarkeit verschiedener Bedienelemente überprüft. Die Farben an den Gelenken zeigen an, wie belastend die jeweilige Haltung ist, wenn sie längere Zeit eingenommen werden muss.

    Mit Hilfe von virtuellem Bedienpersonal wird die Erreichbarkeit verschiedener Bedienelemente überprüft. Die Farben an den Gelenken zeigen an, wie belastend die jeweilige Haltung ist, wenn sie längere Zeit eingenommen werden muss.

    Bild: Bausch + Ströbel

  • Auch physikalische Komponenten wie dieser Handschuheingriff können in das Modell einbezogen werden.

    Auch physikalische Komponenten wie dieser Handschuheingriff können in das Modell einbezogen werden.

    Bild: Bausch + Ströbel

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