Embedded-Systeme & Mikrocontroller Original oder Fälschung?

09.09.2013

Wer sich die Mona Lisa leisten könnte, würde sicher auch ein weiteres Vermögen investieren, um sich ihre Echtheit bestätigen zu lassen. Bei elektronischen Bauteilen kommen Fälschungen deutlich häufiger vor - und es wird immer schwieriger, das zu erkennen.

Die Abkündigung von Bauteilen ist längst ebenso selbstverständlich wie lästig. Und es ist oft alles andere als einfach, adäquaten Ersatz zu finden. Eine vermeintlich einfache Lösung ist die weltweite Suche nach dem benötigten Bauteil. Aber auch wenn man fündig wird, ist das Ergebnis oft nicht zufriedenstellend: Die Gefahr, an gefälschte Bauteile zu geraten, ist groß. Und sie wird umso grösser, je besser die Fälschungen werden. War früher meist ein einfacher Blick auf das Bauteil ausreichend, reichen heute sogar umfangreiche Tests nicht mehr aus, um richtig und falsch zu unterscheiden. Auf Einladung der E&E haben fünf Experten über Lösungen zur Fälschungsproblematik diskutiert

Hohe Dunkelziffer

Gefühlt nimmt die Zahl gefälschter Bauteile stetig zu - allerdings tun sich die Experten schwer, dieses Gefühl mit Zahlen zu untermauern. „Wir sammeln Informationen zu den konkreten Fällen und konnten im letzten Jahr 1.200 Bauteilefälschungsfälle vermerken“, erklärt Dr. Jörg Berkemeyer, Business Development Manager Electronic Part Solutions bei IHS. „Die Dunkelziffer ist natürlich sehr groß, dies sind nur die Fälle, die anonym gemeldet und dann auch von Testlaboren geprüft wurden.“ Die Quellen für diese Zahlen kommen aber ausschließlich aus dem amerikanischen Raum, wie Jörg Berkemeyer erläutert, beispielsweise von der ERAI. Das liegt vor allem daran, dass es in den USA entsprechende Gesetze gibt, die die Bauteilefälschung verhindern soll. Etwas vergleichbares gibt es in Europa nicht. „In der EU haben wir 28 Länder mit unterschiedlicher Gesetzgebung. Darüber gibt es zwar noch die EU, aber es ist nicht leicht“, erklärt Konrad Bechler, Security Consultant im Bereich Security & Investigations bei Infineon. „Es gibt zwar eine sogenannte Application For Action, mit der man die Zollbehörden aktivieren kann, es ist aber aufwändiger als in den USA.“ Eine weitere Zahl aus den USA belegt die Problematik: „Bei der ERAI werden BOMs (Bill of material) hochgeladen. Zwischen 0,5 und 5 Prozent dieser BOMs enthielten Bauteile, die bereits durch einen Fälschungsfall aufgefallen waren,“ erklärt Jörg Berkemeyer.

Fälschung oder Manipulation?

Ein Problem mit dem Begriff „Fälschung“ hat Hardy Zeiss, geschäftsführender Gesellschafter von Pegasus Components, einem Dienstleister für Bauteilebeschaffung. „Aus meiner Sicht wird der Begriff �??Fälschung‘ viel zu leichtfertig verwendet“, beschreibt er die Problematik. „Wir haben den Begriff der Manipulation kreiert. Es gibt nämlich auch viel Elektroschrott, aus dem die Teile ausgebaut und dann wieder verkauft werden. Das sind gebrauchte Teile und damit manipuliert, aber keine Fälschung. Eine Fälschung setzt immer einen Vorsatz voraus.“ Diesen Unterschied sieht auch Konrad Bechler: „Wenn ich einen gebrauchten Mercedes verkaufe, ist das Thema klar. Wenn ich den Kilometerzähler manipuliere und ihn als neu verkaufe, ist das etwas ganz anderes. Dahinter steht die Absicht, zu betrügen.“ Auf der einen Seite gibt es also die Problematik gefälschter und manipulierter Bauteile. Auf der anderen Seite muss es ja aber auch immer Abnehmer für diese Ware geben. Und die gehen aus Sicht von Hardy Zeiss sehr leichtfertig mit dem Thema um. „Es gibt Kunden, die gar nicht merken, dass sie manipulierte Ware erhalten haben. Das wundert mich dann bei ISO 9001-zertifizierten Unternehmen schon sehr. Aber es zeigt, dass die Ware im Unternehmen gar nicht mehr geprüft wird.“ Das ist aber auch gar nicht so einfach, wie Ulrich Ermel, Leiter des Geschäftsbereichs Embedded bei der TQ-Group und Vorsitzender der Component Obsolescence Group (COG), ausführt. „Die Frage ist immer, wie man prüft, vor allem wie man bei einer laufenden Produktion prüfen kann. Wir haben beispielsweise schon festgestellt, dass bei Rollenware die ersten und letzten 1.000 Komponenten in Ordnung sind und dazwischen kommt irgendetwas. Wir müssten da jedes einzelne Bauteil prüfen und das ist schlicht und einfach nicht möglich.“ Denn das Problem bei gefälschten Bauteilen besteht nicht zuletzt darin, dass die Fälschunge immer besser werden. „Wenn Sie eine einfache Wareneingangsprüfung und vielleicht noch ein Mikroskop haben, können Sie Fälschungen heutzutage vielfach gar nicht mehr erkennen,“ fasst Daniel Tamanini, Director Analytics und Long-term Conservation beim Testhaus HTV das Problem zusammen. „Das sind dann Parameter, die erst im elektrischen Test auffallen.“

Quelle unbekannt

Das Schwierige an der Problematik ist, dass sich die Quelle gefälschter Bauteile selten präzise identifizieren lässt. So spricht Hardy Zeiss zwar von „mafiösen Strukturen“ und nennt China als eine der Hauptquellen, eine engere Eingrenzung ist allerdings meistens nicht möglich. „Das sind Leute, die mit einfachen Möglichkeiten schnelles Geld machen wollen“ schätzt Konrad Bechler die Situation ein. Aber auch andere Marktteilnehmer sind aus Sicht von Hardy Zeiss nicht völlig unschuldig. Das sind zum einen Kunden, die den Preisdruck immer weiter erhöhen, aber auch Hersteller, die nicht so achtsam mit ihrer Ware umgehen, wie sie es vielleicht tun sollten. Das führt natürlich zwangsläufig zu der Frage, wer für gefälschte Bauteile haftet. Während die Situation in den USA relativ eindeutig ist, sieht es in Europa schon wieder ganz anders aus. „In den USA haftet die gesamte Lieferkette“, erklärt Jörg Berkemeyer. „Selbst der Endabnehmer ist mit in der Haftung drin. Allerdings sind es meistens nicht die Geldstrafen, die den Unternehmen wehtun, sondern Produktionsausfälle und Reputationsverlust. Das sind die wichtigsten Argumente, um gegen Bauteilfälschung vorzugehen.“ In Europa stellt sich die Frage, welches Recht überhaupt zur Anwendung kommt. „Man kann sicher nicht sagen, dass immer nur der Lieferant haftet. Wenn ich als Kunde gewisse Versäumnisse habe, werde ich unter Umständen auch zur Rechenschaft gezogen“, erläutert Hardy Zeiss. „Es gibt schon eine Verpflichtung zur Wareneingangsprüfung und das vergessen viele Kunden. In vielen Unternehmen wurden Wareneingangsprüfungen wegrationalisiert. Das kann rechtlich durchaus problematisch werden.“ Aus Sicht von Ulrich Ermel ist das große Problem aber nicht die Gesetzeslage an sich, sondern deren Auslegung: „Wenn man die aktuelle Rechtssprechung verfolgt, gewinnt man mitunter schon der Eindruck, dass sich die Juristerei an dieser Stelle im absoluten Blindflug befindet. Da bei den meisten Staatsanwälten und Richtern wenig oder gar kein Wissen über diese spezielle Materie vorhanden ist, kann es vor Gericht für ein Unternehmen auch dann gefährlich werden, wenn es sich eigentlich richtig verhalten hat. Dafür werden Händler, die bewußt oder billigend gefälschte Bauteile in Umlauf bringe, im Gegenzug leider viel zu selten zur Verantwortung gezogen“. Als eine Methode zur Absicherung nennt Jörg Berkemeyer die Möglichkeit, nur mit zertifizierten Unternehmen zusammenzuarbeiten. Allerdings sieht er hier noch Mängel bei entsprechenden Zertifikaten. Eine Qualifizierung und Zertifizierung der gesamten Lieferkette gehört zu den wenigen Möglichkeiten, sich gegen Fälschungen abzusichern. Denn erkennen lassen sich die meisten Fälschungen inzwischen nicht mehr. „Die Fälschungen werden immer besser“, erklärt Daniel Tamanini. „Wenn wir Ware testen, markieren wir die Punkte, die uns visuell auffallen. Dann haben wir die gleiche Ware vielleicht vier Wochen später wieder im Haus und genau diese Punkte sind nachgearbeitet worden.“ Die Möglichkeiten des Käufers sind begrenzt, wenn er nicht einen sehr hohen Aufwand treiben kann und will. „Ein Testhaus prüft je nach Bauteil zwischen 30 und 40 Merkmale. Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was ein Hersteller über sein Bauteil aussagen kann“, so Daniel Tamanini. „Das fängt mit der Verpackung an und geht über das Gehäuse bis auf Die-Level. Damit filtern Sie schon ein breites Spektrum an Fälschungen heraus, aber alles hat seine Grenzen.“ Produkte herstellerseitig wirklich einhunderprozentig fälschungssicher machen zu wollen, sieht Daniel Tamanini als Kampf gegen Windmühlen. „Es ist genau wie damals mit den CDs und dem Kopierschutz. Das hat eine Weile funktioniert und dann musste man wieder nachlegen, weil der neueste Brenner die CD dann doch wieder kopieren konnte. Ein Ende wird man da nie erreichen.“ „Das ist ein Wettbewerb zwischen Herstellern und Fälschern“, ergänzt Ulrich Ermel. Aber er sieht auch durchaus die Möglichkeit, dem Problem mit technischen Mitteln Herr zu werden, zumindest in der offiziellen Supply Chain. „Es gibt inzwischen gute Sicherheits-ICs von Infineon, wo einzelne Komponenten intern bereits mit einem Code versehen werden. Wenn man die Möglichkeit hat, direkt mit dem Hersteller in Kontakt zu treten und diese Nummern bekommt, könnte man in der offiziellen Supply Chain noch mehr Sicherheit gewinnen.“ Konrad Bechler ist davon überzeugt, dass eigentlich nur die Prüfung jedes einzelnen Bauteils absolute Sicherheit bringt. „Ich muss wirklich das Personal aufbauen und jedes einzelne Bauteil in die Hand nehmen und prüfen. Aber ich denke, das gibt die Industrie heute nicht mehr her.“

Den Markt trockenlegen

Problematisch aus Sicht der Experten ist auch, dass viele Unternehmen nicht zugeben, gefälschte Bauteile gekauft zu haben. „Wir haben schon oft von Kunden gehört, dass sie woanders gekauft und Fälschungen erworben haben, erklärt Hardy Zeiss. „Aber die werden das nie öffentlich zugeben.“ Daher seien alle offiziellen Zahlen vermutlich nur die Spitze des Eisbergs, zumal viele Meldungen von Händlern und nicht aus dem OEM-Bereich kämen. Jörg Berkemeyer weist auf die Anonymität der Meldung bei der ERAI hin. „Ich glaube, das ist der einzige Weg, um den Markt auszutrocknen: Man muss Transparenz schaffen über die Teilnehmer im Markt, die Probleme bereiten“, führt er aus. Das Austrocknen des Marktes ist aus Sicht von Ulrich Ermel auch deshalb ein großes Problem, weil selbst als möglicherweise oder tatsächlich gefälscht identifizierte Bauteile nicht automatisch vom Markt verschwinden. „Wenn man sich im Einkaufsprozess vielleicht nicht sicher ist, lässt man die Bauteile testen. Das Ergebnis ist möglicherweise nicht eindeutig und man entschließt sich, die Ware nicht zu kaufen,“ führt er aus. „Und dann geht sie zurück an den Händler und geht wieder zurück in den freien Markt. Um den Markt wirklich auszutrocknen, müsste man in solchen Fällen die Ware eigentlich kaufen und wegschmeißen.“ Dass das in der Praxis nicht passiert, überrascht aufgrund der Kosten wenig - auch wenn Jörg Berkemeyer anregt, ein entsprechendes Verhalten vertraglich festzulegen.

Traceability scheitert an der Praxis

Eine weitere Maßnahme gegen gefälschte Bauteile könnte Traceability sein, die laut Ulrich Ermel von Kunden auch immer stärker eingefordert wird. „Wir haben seit der Einführung von SAP eine Traceability auf Chargen-Ebene. So können wir nachverfolgen, wer uns die Ware verkauft hat und wann sie bei uns eingegangen ist“, erläutert er. „Wenn wir jetzt einen Überbestand mit Chargen-Nummer verkaufen würden, ist die Frage: Wie geht der Käufer damit um?“ �?hnlich sieht auch Hardy Zeiss das Problem: „Kunden kaufen ein Bauteil aus verschiedenen Quellen und wissen das hinter nicht mehr. Da scheitert die Traceability an der Praxis“, beschreibt er seine Erfahrungen. „Sobald die Ware aus dem Überbestand kommt, ist die Traceability meistens hin.“ Ein anderes Problem greift Konrad Bechler auf: Die Lagerung von Überbestand. „Es gibt Fälle, da werden die gelieferten Packungen aufgerissen, die Reels herausgeholt und in Robotersystemen verstaut. In der Regel verarbeiten die die Bauteile in zwei bis drei Tagen, da ist das kein Problem“, so seine Erfahrung. „Aber wenn die vielleicht nach ein oder zwei Jahren verkauft werden und nicht richtig gelagert wurden, ist die Traceability zwar möglicherweise noch gegeben, die Qualität aber vielleicht nicht mehr.“

Obsolescence-Strategie

Daher gibt es aus Sicht von Konrad Bechler auch nur die Möglichkeit, direkt beim Hersteller oder authorisierten Distributor zu kaufen, um garantiert zuverlässige Bauteile zu bekommen. Eine richtige Obsolescens-Strategie ist für Jörg Berkemeyer essentiell, um dem Problem der gefälschten Bauteile zu entgehen. „Die Zweitstrategie sollte sein, nur mit zertifizierten oder zuverlässigen Lieferanten zu arbeiten, wenn man tatsächlich auf den freien Markt geht.“ Hardy Zeiss gibt zu bedenken, dass am freien Mark nicht nur gekauft wird, wenn Bauteile nicht mehr verfügbar sind. „Kunden kaufen am freien Markt, um einen Preisvorteil zu haben“, erklärt er. „Wieder andere Kunden wollen bei zwei oder drei Lieferanten kaufen, um eine hohe Versorgungssicherheit zu haben. Trotz der Fälschungsproblematik gibt es noch genug Kunden, die diesen Weg gehen. Das hat nicht zuletzt auch etwas mit der zunehmenden Dominanz der großen Distributoren zu tun.“ In einem Punkt sind sich alle Beteiligten absolut einig: Das beste Mittel gegen gefälschte Bauteile ist es, Aufmerksamkeit für die Problematik zu schaffen. „Eine entsprechende Bewusstseinsförderung ist der erste Schritt, mit dem man schon viel verhindern kann“, so Hardy Zeiss. „Man muss sich vor allem einmal bewusst machen, wo Überall Halbleiter eingebaut werden“, ergänzt Konrad Bechler. „Halbleiter sind Überall - und wenn die Dinger mal nicht funktionieren, kann das schnell wehtun.

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