Interview über Sudhaus-Technologien Neue Wege beim Bierbrauen einschlagen

Der Prozess des Bierbrauens ist technologisch nahezu ausgereizt. Doch an so mancher Stellschraube lässt sich noch drehen.

30.10.2020

Dr. Annette Schwill-Miedaner gibt in der Neuauflage ihres Buches „Prozesstechnik und Technologie in der Brauerei“ einen Überblick über den State of the Art im Sudhaus. Im Interview erklärt sie, welches Läuterverfahren für welchen Brauereityp am geeignetsten ist und wo im eigentlich ausgereizten Brauprozess weitere technologische Fortschritte möglich sind.

Das Abläutern mit Läuterbottich stellt die historisch älteste Methode der Würzegewinnung dar. Gibt es hier noch technologische Entwicklungen oder ist das System ausgereizt? Und wie sieht es beim Maischefilter aus?

Schwill-Miedaner:

Sowohl der Läuterbottich mit bis zu 14 Suden als auch der Maischefilter mit bis zu 16 Suden pro Tag sind hochentwickelte Trennsysteme, deren Potenzial nahezu ausgeschöpft ist. Im Vergleich zum Maischefilterbetrieb hat der Läuterbottich mit seinem Durchmesser von bis zu 15 m einen hohen Flächenbedarf. Der Vorteil liegt in seiner Flexibilität, denn er kann mit 15 Prozent über- beziehungsweise 50 Prozent unterschüttet werden. Allerdings können maximal circa 40 Prozent Rohfruchtanteil verarbeitet werden. Verbesserungen beider Trennsysteme sind nur noch in geringem Ausmaß zu erwarten. Derzeitige Untersuchungen zur Beschleunigung des Würzeablaufs – denn dies ist der augenblickliche Engpass im Sudhaus – beschäftigen sich mit dem Verhalten von Feinpartikeln während der Abläuterung über Läuterbottich. Beim Maischefilter stellt die gleichmäßige Auslaugung der Kammern nach wie vor eine Herausforderung dar. Der Vorteil des Maischefilters im Vergleich zum Läuterbottich liegt in der Verarbeitung von Rohfrucht von bis zu 100 Prozent und der Herstellung von High-Gravity-Würzen (Vorderwürze ≤ 25 °P). Mittlerweile kommen alternativ zum Kammerfilter mit seiner Anschwänzwassermenge von ≥ 3,2 l/kg Membranfilter mit einer geringeren Anschwänzwassermenge von ≤ 2,8 l/kg zum Einsatz. Eine Weiterentwicklung ist in zu- beziehungsweise abschaltbaren Trennsätzen für variierende Schüttungen (± 15 Prozent) zu sehen. Im Kostenvergleich zum Läuterbottichbetrieb müssen noch der höhere Reinigungsaufwand und Verschleißteile wie Filtertücher und Pressmembranen mit einberechnet werden.

Welche Brauereien sollten sich eher für den Einsatz eines Maischefilters entscheiden? Welche eher für einen Läuterbottich?

Dies ist zum einen eine Philosophiefrage der jeweiligen Brauerei. Zum anderen wird sich eine Sortimentsbrauerei mit stark variierenden Schüttungen beziehungsweise Chargengrößen für einen Läuterbottich entscheiden, eine Brauerei mit hoher Sudfolge und einheitlicher Sorte (extraktstarker Hauptsorte) eher für den Maischefilter, natürlich auch dann, wenn viel Rohfrucht verarbeitet wird.

Gibt es hinsichtlich der Bierqualität zwischen den Systemen entscheidende Unterschiede? Muss man die Parameter beim Maischen, beim Kochen oder im Gärkeller entsprechend anpassen?

Allein die Schrotzusammensetzung muss auf das Läuterverfahren abgestimmt sein: Der Läuterbottich benötigt ein relativ grobes Schrot (Walzenmühle), der Dünnschichtfilter hingegen ein Pulverschrot (Prallmühle). Der Rohstoff wird also der Technik angepasst. Darüber hinaus ergeben sich keine Verarbeitungsunterschiede in den nachgelagerten Prozessschritten. Mit beiden Trennsystemen können hochwertige Würzen gewonnen werden, wobei sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass eine zu weitgehende Klarheit der Läuterwürze auch nachteilige Effekte auf den Gärverlauf nach sich ziehen kann.

Das jüngste System zur Würzegewinnung mit kaskadenförmig angeordneten Drehscheibenfiltern, die vielbeachtete Nessie, an deren Entwicklung Sie beteiligt waren, bringt enormen Zeitgewinn beim Läutern. Wie funktioniert das System?

Das Trennsystem Nessie vereint eine vierstufige Separation mit zwischengeschalteter Extraktion im Gegenstrom. Jedes Filtermodul hat ein Radpaar (Durchmesser: 1 m), welches mit einem gesinterten Edelstahlgewebe von 70 µm bespannt ist. Die Maische durchfließt die sich in Strömungsrichtung drehenden Filter. Bei einer Einstellung von 4 U/min hat ein Partikel eine Verweilzeit von nur drei Minuten zum Durchlauf. Die Fest-Flüssig-Trennung erfolgt im unteren Segment der Radpaare ohne Anstauen. Das gesamte System ist gekapselt und steht unter Wasserdampfatmosphäre. Während die filtrierte Würze kontinuierlich abgeleitet wird, werden die Treber zum nächsten Modul gefördert. Die Drehbewegung der Radpaare verhindert den Aufbau einer Filterschicht und führt zu einem Selbstreinigungseffekt der Siebe. Zur Auswaschung der Treber wird das Anschwänzwasser (2,5 bis 3,5 l/kg) zwischen den zwei letzten Modulen aufgebracht. Anschließend werden die resultierenden Würzeströme von Rad 4 in den Verbindungsschacht von Modul 2 und 3 beziehungsweise von Rad 3 in den Übergang von Rad 1 und 2 zur Gegenstromextraktion zurückgeführt. In den Übergängen werden die Treber und das Fluid mittels eines Stauelements, welches eine turbulente Strömung erzeugt, homogenisiert. Die Abmaischzeit entspricht der Läuterzeit. Die Belegungszeit im Sudhaus insgesamt fällt im Vergleich zum Läuterbottichbetrieb um circa 30 Prozent niedriger aus.

Muss man hierbei besondere Anpassungen im Brauprozess vornehmen?

Das neue Trennverfahren Nessie führte zu der Entwicklung des komplett neuen Sudhauskonzepts Omnium: Das Maischefiltrationssystem separiert, wie bereits beschrieben, vier parallele Würzeströme, die in der Summe mehr Partikel (Grieße) und Trübungsbestandteile enthalten. Deshalb wird nach dem Kochen ein Vorderwürzeauszug zu einem Prozent (aus der separierten Würze von Modul 1 bei circa 72 °C entnommen und im Puffergefäß zwischengelagert) bei circa 83 bis 90 °C zum Abbau der durch den Stärkeaufschluss entstandenen Dextrine zudosiert. Danach erfolgt in kurzer Zeit eine Inaktivierung der vorhandenen Enzyme. Da die mit der Kochung einhergehende Eiweißausfällung normalerweise zu hohen Bitterstoffverlusten führt, werden die Würzeströme aus Rad 3 und 4 zur externen, gesteigerten Hopfenisomerisierung einem konischen, beheizbaren Edelstahlgefäß mit Rührwerk zugeführt. Die so isomerisierte Würze kann an unterschiedlichen Stellen im Sudhaus oder als sterile Hopfengabe im Kaltbereich zugegeben werden. Zum Absetzen und Abtrennen des Heißtrubs kommen wie im konventionellen Sudhaus ein Whirlpool, eine Zentrifuge oder ein Setzbottich beziehungsweise eine Kombination aus Setzbottich und Zentrifuge zum Einsatz. Mit einer kontrollierten Trubeinstellung bleibt ein Teil des erhöhten Gehalts an Zink und langkettigen, ungesättigten Fettsäuren der Nessie-Würze erhalten, sodass sich aufgrund der optimierten Nährstoffversorgung für den Hefestoffwechsel eine verkürzte Gärzeit auf circa fünf Tage ergibt. Bedingt durch den niedrigeren Gerbstoffgehalt der Biere können die Stabilisierungsmaßnahmen angepasst also verringert werden. Zusätzlich wird der technologische Spielraum dadurch vergrößert, dass Schrotzusammensetzung (Mühlentyp), Malzqualität (Jahrgangsschwankungen) und Art des Rohstoffs (Rohfrucht) vom Trennsystem entkoppelt sind. Sogar spezielle Getreidearten wie Buchweizen, Roggen und Hafer können verarbeitet werden, was in Zukunft bei sich ändernden Umweltbedingungen eine Rolle spielen kann. Schüttung und Vorderwürzekonzentration (bis circa 32 °P) sind beliebig einstellbar.

Für welche Brauereien könnte sich der Einsatz von Nessie als besonders vorteilhaft darstellen?

Grundsätzlich kann jede Brauerei mit dem Trennsystem Nessie arbeiten. Gerade bei baulichen Engpässen (Platzmangel, Gebäudestatik) und bei knapper Sudfolge (Zeitersparnis) liegen die Vorteile auf der Hand. Hinzu kommt die Möglichkeit der Verarbeitung problematischer Rohstoffe wie Hafer oder alter Getreidesorten.

An welcher Stelle im Brauprozess sind weitere technologische Fortschritte zu erwarten?

Am Beispiel des Sudhauskonzepts Omnium ist deutlich geworden, dass neue technologische Wege eingeschlagen werden können. Zwangsläufig ergeben sich aus den vielfältigen gewonnenen Ergebnissen unerwartete Fragen zu bereits bestehender Lehrmeinung, die zum Beispiel den Wirkungsbereich der Enzyme und die Bedeutung der langkettigen, ungesättigten Fettsäuren und Gerbstoffe auf den gesamten Brauprozess betreffen. Durch den Einfluss auf die stoffliche Zusammensetzung der Würze sind neue Stellschrauben verfügbar, die sich im ganzen Kaltbereich, von der Gärung angefangen über die Stabilisierung bis zum fertigen Produkt, auswirken werden. Kurzum: Es gibt zahlreiche Fragen und vielleicht neue Antworten.

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