Inline-Prüfsystem für Oberflächen Mit Tröpfchen Schmutz erkennen

Bild: iStock, peterkai
16.11.2018

Ein neues System zur Inline-Prüfung namens bonNDTinspect ermöglicht eine zuverlässige Beurteilung von Oberflächen, die in nachfolgenden Prozessschritten geklebt, lackiert oder anderweitig behandelt werden sollen. Dazu werden kleinste Wassertröpfchen auf das Prüf­objekt gesprüht und das entstehende Muster analysiert. Voraussetzung hierfür ist außerdem eine leistungsfähige Bildverarbeitung.

„Unser System bonNDTinspect zur Inline-Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Materialoberflächen eignet sich unter anderem dazu, die Klebebereitschaft oder Lackierfähigkeit von Oberflächen zu prüfen“, erläutert Célian Cherrier. Der Applikationsingenieur von Automation W+R betreut die Entwicklung des kürzlich in Vorserie gegangenen Systems als Projektleiter bereits seit den ersten Schritten vor rund 2 Jahren. Die grundlegende Idee beschreibt er am Beispiel des Klebens: „Um ein gutes Klebeergebnis zu erreichen, ist es unerlässlich, den Zustand der Fügeteiloberflächen vor dem Verkleben zu überwachen und die Oberflächenvorbehandlung zu kontrollieren, um Verschmutzungen zum Beispiel durch Trennmittel oder Fingerabdrücke zu erkennen. Oberflächen müssen gewisse Kriterien erfüllen, um eine sichere Klebeverbindung zu ermöglichen.“

Für derartige Überprüfungen zur Bestimmung der Benetzungseigenschaften von Oberflächen existieren bereits verschiedene Verfahren – etwa Prüftinten, der so genannte
Water-Break-Test oder Kontaktwinkelmessungen. Im Vergleich zu diesen herkömmlichen Verfahren zeichnet sich bonNDTinspect jedoch durch eine Reihe von Vorteilen aus. So erlaubt das System zum ersten Mal schnelle, großflächige und automatisierte Messungen an unterschiedlichen Oberflächen wie Kunststoff, Metall oder Faserverbundwerkstoffen. Das System von Automation W+R ist darüber hinaus im Gegensatz zu anderen Verfahren objektiv und arbeitet vollautomatisiert mit einer Bildverarbeitungssoftware. Zudem ermöglicht es eine sofortige Verarbeitung des geprüften Bauteils direkt im Anschluss an die Prüfung und kann somit nahtlos in Produktionsprozesse implementiert werden.

Feinste Tröpfchen zur Oberflächenprüfung

Das Verfahren basiert auf einem Patent des Fraunhofer­Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) zur Auswertung der Benetzbarkeit von Oberflächen. Automation W+R hat die exklusive Lizenz zur Nutzung dieses Patents. Die Funktionsweise von bonNDTinspect erklärt Célian Cherrier so: „Ein Ultraschallzerstäuber erzeugt ein definiertes Wasseraerosol aus Reinstwasser, das mit einer Breite von circa zehn Zentimetern auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird. Die Probe wird dabei zum Beispiel über einen Linearantrieb mit üblicherweise rund 100 mm/s unter dem Zerstäuber hindurch bewegt, um einen gleichmäßigen Auftrag des Aerosols zu gewährleisten.“

Die erforderliche relative Bewegung zwischen Probe und Zerstäuber lässt sich laut Cherrier je nach den vorliegenden Einsatzbedingungen auch über einen Roboter realisieren, der bonNDTinspect über das zu prüfende Bauteil führt. „Pro Quadratzentimeter entstehen auf diese Weise 1000 bis 2000 Tröpfchen mit einem durchschnittlichen Durchmesser von 100 µm.“ In Abhängigkeit von der Oberflächenenergie der zu prüfenden Oberfläche bildet sich bei diesem Vorgang ein charakteristisches Tropfenmuster, das automatisch von einem Kamera­system erfasst und mittels Bildverarbeitung sekundenschnell ausgewertet wird. Ob eine Oberfläche die Kriterien der nachfolgenden Prozessschritte erfüllt, lässt sich dann anhand der Tropfenverteilung erkennen. Durch die Angabe von Sollwerten ist es somit möglich, die Wirksamkeit einer Vorbehandlung wie beispielsweise einer vorangegangenen Reinigung oder Oberflächenaktivierung auszuwerten oder Verschmutzungen auf der Oberfläche zu erfassen.

Solche Kontaminationen können beispielsweise durch Trennmittelreste, Öle, Fette oder sogar einfach nur durch Fingerabdrücke entstehen und dafür sorgen, dass Klebungen nach einer gewissen Zeit versagen oder Lackierungen vorzeitig abblättern. Mögliche Folgen sind visuelle oder funktionale Defekte des Endprodukts, beispielsweise Lackblasen an Fahrzeugen oder nicht haftende Bedruckungen, die gerade bei Etiketten für Medikamente in der Pharmaindustrie auf keinen Fall auftreten dürfen. Im Extremfall kann ein Klebefehler sogar Personen gefährden.

Anspruchsvolle Bildverarbeitung

Die Herausforderungen an das eingesetzte Bildverarbeitungssystem sind bei diesem Prüfverfahren groß. Zum einen entstehen aufgrund des Ablaufs über 30.000 Tröpfchen pro Sekunde, die schnell erkannt und ausgewertet werden müssen. Denn durch die Verwendung von Reinstwasser trocknet die ausgewertete Fläche innerhalb kürzester Zeit rückstandslos ab. Das ist auch notwendig, um die weitere Verarbeitung ohne Zeitverzug zu ermöglichen. Zum anderen ist das System inlinefähig und muss im Extremfall im Dauerbetrieb 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche laufen. Angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen griff Automation W+R auf seinen bewährten Bildverarbeitungspartner Stemmer Imaging zurück, mit dem das Unternehmen schon seit über 20 Jahren zusammenarbeitet. „Bei der Realisierung dieser Prüfanlage hat uns Stemmer Imaging nach einer vorangegangenen Besprechung der spezifischen Anforderungen einen Vorschlag für die Bildverarbeitungskomponenten gemacht, die diese Vorgaben erfüllen“, beschreibt Cherrier rückblickend.

Die Aufnahme der Tropfenmuster übernimmt in der aktuellsten Version des Prüfsystems eine monochrome GigE-Zeilenkamera des Typs Linea von Teledyne Dalsa mit 2k-­Pixel-Auflösung, die zusammen mit einer telezentrischen Optik von Sill Optics für Bilder mit hoher Schärfentiefe sorgt. Die erforderliche Lichtstärke konnte durch Standardbeleuchtungen nicht erzielt werden, so dass Automation W+R dafür selbst eine spezielle Dome-Beleuchtung entwickelte. Die Auswertung der Bilder erfolgt über Common Vision Blox von Stemmer Imaging und eine darauf aufsetzende Bildverarbeitungssoftware von Automation W+R auf einem Industrie-PC von Beckhoff, der zudem die SPS-Funktionalität für die Anlage zur Verfügung stellt. Das gesamte Prüfsystem besteht aus einem PC mit Monitor und der Auswertesoftware, dem Prüfkopf mit Ultraschallzerstäuber sowie einem Schaltschrank zur Steuerung. Eine Schnittstelle erlaubt die Anbindung an eine externe SPS und somit an die übergeordnete Anlage.

Erster Anwender des Systems waren die Klebespezialisten des Fraunhofer IFAM, die zur Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Oberflächen nach Atmosphärendruckplasmaaktivierung einen bonNDTinspect-Prototypen am Standort Bremen eingesetzt hatten. Mit durchschlagendem Erfolg, wie Christian Tornow, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM, berichtet: „Ein automatisiertes, berührungsloses System für diese Aufgabe war bisher nicht verfügbar.

Mit bonNDTinspect lassen sich Oberflächenzustände im Klebprozess nun automatisiert und sicher unterscheiden. Sowohl Kontaminationen wie Fingerabrücke oder Trennmittelreste als auch unzureichende Aktivierungen konnten wir damit sicher erkennen. Dies ist gerade in der Klebtechnik außerordentlich wichtig, um optimal vorbereitete Oberflächen für nachfolgende Prozesse zu gewährleisten.“

Gesamtsystem aus einer Hand

Dr. Richard Söhnchen, geschäftsführender Gesellschafter von Automation W+R, sieht das neue System nicht nur zur Inline-Prüfung der Klebebereitschaft von Oberflächen und im Bereich der Lackierung oder bei der Beschichtung von elektronischen Bauelementen geeignet: „Dies sind nur die naheliegenden Aufgabenstellungen für diese spannende Technologie, die wir mit unserer Neuentwicklung adressieren. Es gibt jedoch noch zahlreiche weitere Anwendungen für dieses Verfahren, zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt oder in der Medizintechnik. Wir sind uns sicher, dass wir damit noch für sehr viele andere Märkte interessante Möglichkeiten zur Verfügung stellen können, an die wir heute noch gar nicht denken.“

Söhnchen nennt noch einen wichtigen Punkt, der die Möglichkeiten seines Unternehmens verdeutlicht: „Automation W+R ist Teil der Autision Group. Wir wollen dem Roboter Augen geben. In der Autision Group kombinieren wir Robotik, Messtechnik und Oberflächenprüfung. Für jede dieser Kompetenzen gibt es unter der Autision Group eine separate Firma mit speziellen Kompetenzen: Automation W+R für die Oberflächenprüfung, Bollautomation als Roboterintegrator, Descam für optische Messtechnik. Aufgrund dieser Konstellation können wir unseren Kunden anwendungsgerechte Komplettlösungen aus einer Hand anbieten und dabei auch die Integration in bestehende Anlagen sowie die Anbindung an eventuell erforderliche Robotik realisieren”, unterstreicht der Geschäftsführer. „Falls Anpassungen des Bildverarbeitungssystems nötig sind haben wir mit Stemmer Imaging den richtigen Partner an der Seite, um auch hier flexibel auf die Kundenwünsche einzugehen.“

Bildergalerie

  • Ein Ultraschallzerstäuber (links im Bild) erzeugt ein definiertes Wasseraerosol, das auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird.

    Ein Ultraschallzerstäuber (links im Bild) erzeugt ein definiertes Wasseraerosol, das auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird.

    Bild: Fraunhofer IFAM

  • Das entstandene Tropfenmuster wird mittels Bildverarbeitung ausgewertet. Hier hat das Prüfsystem einen Fingerabdruck erkannt.

    Das entstandene Tropfenmuster wird mittels Bildverarbeitung ausgewertet. Hier hat das Prüfsystem einen Fingerabdruck erkannt.

    Bild: Automation W+R

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