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Interview mit Plamen Kiradijev von IBM „Mir ist kein vergleichbares Projekt bekannt“

HARTING Technologiegruppe Phoenix Contact Deutschland GmbH

Die SmartFactoryKL in der Panorama-Aufnahme.

Bild: SmartFactoryKL
16.07.2018

Im Projekt SmartFactoryKL beteiligen sich Industrieunternehmen und Forschungseinrichtungen gemeinsam an einer Übungs- und Showcase-Factory für Industrie 4.0. IBM ist bereits seit 2014 Mitglied und bringt sich mit verschiedenen Technologien von der Data Collection bis hin zu Watson IoT ein. Im Gespräch mit A&D erklärt Plamen Kiradijev, Industrie 4.0 Chief Architect von IBM Deutschland, wie genau das Unternehmen an dem Projekt mitwirkt und was es mit IBMs Industrie-4.0-Architektur auf sich hat.

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A&D:

IBM beteiligt sich seit einigen Jahren an der SmartFactoryKL. Worum handelt es sich bei diesem Projekt?

Plamen Kiradijev:

Das ist eine Initiative, die Forschung und Industrie zusammenbringt. IBM ist dort seit 2014 Mitglied. Kernstück von SmartFactoryKL ist ein Industrie 4.0-Demonstrator, der als erstes Szenario seiner Art eine herstellerübergreifende Industrie 4.0-Produktionslinie repräsentiert. Dieser Demonstrator mit unterschiedlichen Modulen wird jedes Jahr – zu sehen auf der Hannover Messe – mit praktischen Use Cases weiter ausgebaut. Die einzelnen Module und Anwendungen des Demonstrators entwickeln wir gemeinsam weiter und bilden sie letztendlich in einer Implementierung ab.

Was ist Ihre Zielsetzung?

IBM betrachtet das als eine Übungs- und Showcase-Factory für Industrie 4.0. Mir ist kein anderes vergleichbares Projekt bekannt, das so umfassend und aktiv von so vielen Unternehmen und Menschen getragen, entwickelt und auch umgesetzt wird. Im Vergleich zu anderen ähnlichen Initiativen hat in der SmartFactoryKL jeder der 20 aktiven Teilnehmer eine konkrete Rolle und bringt seine eigenen Technologien mit ein.

Was genau stellen Sie in dieser Modellfabrik her?

Das ist ein recht simples Produkt. Hergestellt wird ein Visitenkartenhalter. In erster Linie geht es dabei um den Demonstrationseffekt.

Wie läuft die Fertigung ab beziehungsweise aus welchen Modulen besteht Sie?

Das erste Modul der Firma Pilz ist eine Art intelligentes Lager für die Werkstücke. Hier kommt ein Schlitten heraus, auf dem der Boden des Visitenkartenhalters aufliegt. Im nächsten Modul, es stammt von Festo, wird ein RFID-Chip angebracht, der die Produkt-Memory enthält. Dort wird unter anderem festgehalten, für wen der Halter hergestellt wird und welche Bestellnummer der Auftrag hat. Im Modul von Bosch Rexroth wird anschließend eine Halterungsfeder montiert. Danach kommt der Robotino, ein fahrerloses Transportsystem von Festo, zum Einsatz. Er befördert den Halter zum zweiten Teil der Linie. Dort wird im Modul von Harting die Grundplatte mit einem Deckel verpresst. Bei Phoenix Contact wiederum wird der RFID-Chip ausgelesen und auf Basis dessen per Laserbeschriftungssystem eine individuelle Gravur auf der Oberseite des Visitenkartenhalters angebracht. Sie zeigt die digitale Visitenkarte als QR-Code. Anschließend fährt der Robotino den Visitenkartenhalter zu den beiden Qualitätssicherungsmodulen: Das Wäge-Modul von Mettler Toledo ermittelt das aktuelle Gewicht des Halters und gleicht es mit dem Fertigungsstatus im Produktgedächtnis ab. Die Qualitätskontrolle der Firma Lapp wiederum überprüft das Endprodukt abschließend mit hochauflösenden Kameras und wirft den Halter danach aus.

Gab es beim Fertigungsprozess eine Neuerung?

Ja, wir haben einen kleinen, aber wichtigen Zwischenschritt eingebaut: Sollte im Laufe der Produktion ein Problem auftreten, dann fährt der Robotino den Visitenkartenhalter nun zu einem Handarbeitsplatz.

Wenn also irgendeine Störung auftritt, bringt der Roboter das Produkt zu einem Menschen, der das weiterbearbeiten kann?

Genau, das war die Idee. So lassen sich bestimmte Ereignisse gut kompensieren – zum Beispiel der Ausfall eines Moduls. Damit haben wir die Verfügbarkeit deutlich gesteigert und die komplette Fertigung ist ziemlich stabil geworden. Denn vor zwei Jahren, als alle Bearbeitungsschritte noch in einer Reihe stattfanden, war die Produktion abhängig von jedem einzelnen Modul. Wenn eines davon nicht funktionierte, konnten wir nichts mehr produzieren.

Reagiert die Fertigungslinie also auch flexibel auf Ausfälle einzelner Module?

In der Smart Factory ist auf jeden Fall eine unabhängige, sogenannte Island Production vorgesehen. Unser Ansatz dabei ist, dass eine bestimmte Fehlersituation in einer der Unterreihen sofort ein Signal auslöst und der Robotino von den anderen Maschinen die Anweisung bekommt, wohin er stattdessen fahren soll.

Welche Technologien hat IBM konkret zur SmartFactoryKL beigesteuert - gerade mit Blick auf die Data-Analytics-Fähigkeiten?

Unser Ziel war es, tatsächlich die gesamte Palette an Möglichkeiten und Technologien im Showcase zu zeigen. Daher haben wir, angefangen von der Data Collection über den IBM Integration Bus als Integration Layer, IBM Cloud mit den Watson IoT-Plattformservices, der Datenvisualisierung mit Open-Source-Mitteln wie Node.js, über die analytische Plattform mit Watson Studio bis hin zum Dialog über den Watson Assistant, verschiedene relevante Technologien eingebracht. Zusätzlich haben wir die Integration auch von fremden Services umgesetzt. Unter anderem greifen wir auf die Übersetzungsleistungen von DeepL zurück. Denn wir haben den Dialog nur in Deutsch trainiert. Wenn jemand aber in Englisch fragt, wird das dann mit Hilfe von DeepL übersetzt.

Wie schwierig war es, die Maschinen unterschiedlicher Hersteller miteinander zu vernetzen?

Das war relativ einfach, weil wir in der SmartFactoryKL mit OPC UA bereits ein einheitliches Protokoll vorgefunden haben. Es existiert auch ein gemeinsames Datenmodell, das jedes Modul in seinem OPC UA-Baum implementiert. Selbstverständlich gibt es noch Ausnahmen. Der Robotino von Festo ist zum Beispiel nur über TCP/IP verbunden. Zudem gibt es noch andere, MQTT-sprechende Maschinen. Das ist aber für uns Integrationsspezialisten kein Thema. Wenn wir das nicht integrieren können, wer dann? (lacht)

Und die Integration in ihre Cloud-Dienste?

Die Cloud-Anbindung war noch einfacher, nachdem die Daten über den Integration Layer vorhanden waren. Wir mussten also nur an dieser Stelle die sichere Verbindung über MQTT mit den IBM Cloud-Instanzen von SmartFactoryKL selbst und von Mettler Toledo herstellen. Genauso auch mit den weiteren Cloud-Providern aus dem realisierten Multi-Cloud-Szenario – SAP, Siemens und Phoenix Contact. Zusätzlich kommunizieren die Clouds über Standard-Service-Schnittstellen untereinander und stellen dem SmartFactoryKL Digital-Twin Informationen zur Verfügung.

Ist das nicht sehr idealtypisch gedacht?

Selbstverständlich ist das eine vereinfachte Darstellung. In der Realität nutzen viele Unternehmen natürlich noch ältere Maschinen, die weder MQTT noch OPC UA noch TCP/IP sprechen. Manche kommunizieren noch über serielle Schnittstellen. Deshalb sagen die produzierenden Unternehmen auch sehr oft: Was neu ist, verbinde ich über das Standardprotokoll OPC UA oder über MQTT. Vor den älteren Maschinen aber, die nicht über einen Standard kommunizieren, platziere ich ein IoT-Gateway, das mir die Daten entsprechend in die Standards übersetzt.

IBM hat eine umfangreiche Industrie-4.0-Architektur konzipiert, auf der die SmartFactoryKL ja basiert. Dort nimmt der Plant Service Bus zwischen Edge- und Plant-Ebenen eine zentrale Stelle ein. Worum handelt es sich hierbei?

Das ist ein Integrationslayer im Shopfloor der Fabrik, auf dem unter anderem auch die SmartFactoryKL basiert. Dort werden drei IBM-Produkte miteinander kombiniert. Das ist zunächst einmal eine service-orientierte Integrations-Software, die wir, basierend auf IBM Integration Bus, für den Einsatz in dezentralen Fabriken einsetzen. Außerdem nutzen wir mit Operational Decision Manager ein weiteres Produkt, das es auch einem Nicht-IT-Fachmann erlaubt, das Verhalten der Shopfloor-Logik mit Hilfe von Regeln zu bestimmen. Die dritte Komponente - IBM MessageSight – erlaubt es Millionen MQTT Messages pro Sekunde auszutauschen. Es ist dieselbe Technologie auf der Shopfloor-Ebene, die in unserer IBM Cloud zum Einsatz kommt. Der Plant Service Bus ist also eine Shopfloor-Integrationslösung, die sowohl technologisch als auch preislich für den Einsatz in den Dutzenden von Produktionsstätten eines produzierenden Unternehmens geeignet ist.

Findet in diesem Layer auch die Filterung der Daten statt? Ist hier der Schnittpunkt zwischen den Maschinen und nachgelagerten Systemen, die die Informationen Anschluss analysieren?

Ganz genau. Das ist, wenn Sie so wollen, ganz im Sinne der Bemühungen im Rahmen von Industrial Data Space, dass der Anwender – das heißt der Produktionsverantwortliche – als Datenowner seine Datenhoheit voll ausüben kann. Sie können das gut in unserer Grafik sehen: In der Mitte ist der Integration Layer und nach rechts hin werden die Daten von der Plant-Ebene in den SmartFactoryKL eigenen Bereich der IBM IoT-Cloud weitergeleitet. Dort werden sie, unter anderem mit Hilfe intelligenter Watson-Services wie Sprach- oder Visual-Recognition, analysiert. Bestimmte Daten, beispielsweise die Informationen aus der Waage, gehen zusätzlich an die analytische Plattform von Mettler Toledo. Die Daten aus den anderen Modulen bzw. Prozess-, Bestell- oder Kundendaten, werden hingegen nicht an Mettler Toledo weitergegeben. Hier legt der SmartFactoryKL-Verantwortliche als Datenowner fest, wer welche Daten bekommt.

Wie hat IBM diese Industrie-4.0-Architektur entwickelt?

Die Architektur ist letztlich das Ergebnis aller Beobachtungen, die wir in den letzten Jahren gesammelt und weltweit mit unseren Kollegen diskutiert haben. Seit Anfang letzten Jahres ist sie unser Blueprint für Industrie-4.0-Projekte und kann unseren Kunden zugleich als Basis für ihre eigenen Architekturen dienen.

Was wollen Sie in den nächsten Versionen des Demonstrators einbringen?

Unser Ziel wird es sein, den Robotino letztlich mit Sprachbefehlen zu steuern. Ich denke, es wäre für den Nutzer ganz hilfreich, wenn er einfach sagen könnte: „Robotino, gehe bitte zu Phoenix Contact.“ Und dann bewegt sich der Robotino selbstständig dorthin.

IBM spricht in diesem Kontext immer wieder von Cognitive Factory. Was genau bedeutet das?

Ich kann mit der Anlage direkt kommunizieren und umgekehrt assistiert sie mir, meine Arbeit besser zu verrichten: Ich kann sie fragen „Wie geht es dir?“, wie die Parameter lauten, wo die Orders sind. Natürlich können diese Informationen auch über verschiedene Dashboards angezeigt werden. Aber warum sollte es nicht auch möglich sein, dass ein Produktionsleiter einfach durch die Anlage geht und sich mit den Maschinen unterhält. Das ist viel direkter, viel einfacher und viel näher am Menschen. Letztlich ist es die Überführung der Erfahrungen aus dem Smart Home- oder Entertainment-Bereich auf den Shopfloor und den Maschinenpark.

Und worin liegt der Vorteil einer solchen Bedienung?

Was zählt, ist, dass der Mensch effektiver und produktiver ist, dass er nichts verpasst und jederzeit gut informiert ist. Er erhält Warnungen per Sprache und nicht in Form von kryptischen Codes oder Signalen, die irgendwo leuchten und die leicht zu übersehen sind. Zudem wollen wir mit diesem Ansatz zeigen, was technologisch heute bereits möglich ist.

Tipp: Den genauen Ablauf der Fertigung und die Aufgaben der einzelnen Module können Sie im Blog von IBM und auf der Homepage der SmartFactoryKL nachlesen.

Bildergalerie

  • Plamen Kiradijev ist Industrie 4.0 Chief Architect bei IBM Deutschland.

    Plamen Kiradijev ist Industrie 4.0 Chief Architect bei IBM Deutschland.

    Bild: IBM

  • Bild: IBM

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