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Mercedes-Benz auf automatisierter Testfahrt in den USA Letzte Etappe des Intelligent World Drive

Die amerikanischen Verkehrsregeln für Schulbusse sind eine besondere Herausforderung für autonome Fahrzeuge.

16.01.2018

Im Fokus stand insbesondere die Erkennung von Schulbussen, Fahrbahnmarkierungen und Geschwindigkeitsschildern: Die automatisierten Testfahrten im Großraum Los Angeles und Las Vegas konzentrierten sich auf die Bewertung des Fahrverhaltens im dichten Stadtverkehr und auf Highways.

Auf der letzten Etappe des Mercedes-Benz Intelligent World Drive in Kalifornien und Nevada sammelte das Erprobungsfahrzeug, das auf der Serien-Limousine der S‑Klasse basiert, wertvolle, USA-spezifische Informationen für die Weiterentwicklung von Fahrassistenzsystemen. Ziel des Intelligent World Drive auf fünf Kontinenten war es, einen weltweiten Einblick in die realen Verkehrsverhältnisse zu gewinnen, um zukünftige, höher automatisierte Fahrsysteme an länderspezifische Verkehrs- und Nutzergewohnheiten anzupassen.

Stillstand, wenn der Schulbus hält

Schulbusse sind in den USA ganz besondere Verkehrsteilnehmer. Sobald sie anhalten und die Warnlichter einschalten, muss der Verkehr in unmittelbarer Umgebung stillstehen. Kein Fahrzeug darf vorbeifahren, auch nicht in der Gegenrichtung. Automatisierte und autonome Fahrzeuge müssen die Schulbusse von allen anderen Fahrzeugen unterscheiden können und erkennen, wenn sie anhalten, um Kinder ein- und aussteigen zu lassen.

Ebenso anspruchsvoll für Kamera- und Radarsysteme ist die Erkennung der separaten Carpool-Fahrspuren, die nur Fahrgemeinschaften ab mindestens zwei Personen nutzen dürfen. Die sogenannten HOV Lanes (High-Occupancy Vehicle Lane) befinden sich auf mehrspurigen Interstates und Freeways in städtischen Bereichen. Für die Sensorik und die Algorithmen von automatisierten und autonomen Fahrzeugen ist es schwierig, sie als spezielle Fahrspuren zu erkennen und von normalen Spuren oder Ausfahrten zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass sie nicht auf einer bestimmten Fahrspur zu finden sind, sondern links, rechts oder in der Mitte sein können. Auch ihre Markierung ist nicht einheitlich. HOV Lanes können sowohl durch zwei gelbe, durchgezogene Linien als auch durch Metallplanken von den anderen Spuren getrennt sein oder sie sind mit aufgemalten Rauten markiert. Zukünftige, autonome Fahrzeuge müssen darüber hinaus die Anzahl ihrer Passagiere kennen und wissen, ob sie die Carpool-Spur nutzen dürfen. Denn in Ballungsgebieten gibt es auch HOV Lanes, die nur für Fahrgemeinschaften ab drei (z. B. Los Angeles) oder sogar ab vier Personen (z. B. New York) erlaubt sind.

Erhöhte Kunststoffpunkte zur Spurmarkierung

Eine weitere, große Herausforderung für die Sensorik und die Algorithmen von automatisierten und autonomen Fahrzeugen stellen die sogenannten Botts‘ Dots dar. Diese Punkte aus Kunststoff oder Keramik werden in vielen US‑Bundesstaaten auf Highways anstelle der üblichen Linien zur Fahrspurmarkierung eingesetzt. Automatisierte Systeme wie der Aktive Spurhalte-Assistent und der Aktive Lenk-Assistent müssen sie zweifelsfrei erkennen, um verlässlich zu funktionieren. Im Hinblick auf zukünftiges vollautomatisiertes Fahren plant Kalifornien als erster Bundesstaat, alle Spurmarkierungen zu vereinheitlichen und die schätzungsweise rund 20 Millionen Botts‘ Dots sukzessive abzuschaffen.

Auch die US-Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder sind einzigartig. Sie haben eine völlig andere Form und Größe als in Europa, Australien, Asien und Kanada. Selbst innerhalb der USA kann das Design dieser Schilder variieren.

Erprobung des Digital Light

Zusätzlich zu den landesspezifischen Besonderheiten testete Mercedes-Benz in Kalifornien und Nevada einen Scheinwerfer-Prototypen der Digital Light Technologie. Das blendfreie Dauerfernlicht in HD-Qualität verfügt über Chips mit mehr als einer Million Mikrospiegeln und damit Pixel pro Scheinwerfer. Damit erzielt es eine ideale Lichtverteilung in jeder Fahrsituation – ohne andere Verkehrsteilnehmer zu blenden. Zudem ermöglicht dieses revolutionäre Beleuchtungssystem Funktionen, die noch Anfang 2015 im Forschungsfahrzeug F 015 Luxury in Motion als Zukunftsvision vorgestellt wurden. Es kann unter anderem Lichtsymbole oder Objekte auf die Straße projizieren, um mit der Umgebung zu kommunizieren.

Messungen im realen Verkehr

Die Testfahrten im Rahmen des Intelligent World Drive in den USA bauen auf den umfassenden Erfahrungen aus vorangegangenen automatisierten Erprobungsfahrten in den USA und anderen Teilen der Welt auf. Das TechCenter in Long Beach von Mercedes-Benz Research & Development North America (MBRDNA) fährt seit Jahren mit eigenen Erprobungsträgern tausende Testkilometer allein zur Feldabsicherung von Fahrerassistenzsystemen auf US‑Straßen. In großen Metropolen wie Los Angeles, Miami, Atlanta, Washington DC, New York, Seattle und im kanadischen Vancouver wurden die Leistungsfähigkeit der Fahrerassistenzsysteme bewertet und für ihre kontinuierliche Weiterentwicklung zahlreiche Messungen insbesondere in Realverkehrssituationen durchgeführt.

MBRDNA mit Hauptsitz im kalifornischen Sunnyvale ist seit 1995 ein integraler und wesentlicher Bestandteil des globalen Forschungs- und Entwicklungs-Netzwerks der Daimler AG. Hier sind die Schlüsselbereiche Autonomous Driving, Advanced Interaction Design, Digital User Experience, Machine Learning, Connected Car sowie Customer Research angesiedelt. Hinzu kommen fünf Kompetenz-Labs: die TechCenter für Antriebstechnologien, Elektromobilität und Testing in Long Beach (Kalifornien) und Redford (Michigan), das Advanced Vehicle Design Studio in Carlsbad (Kalifornien), die Bereiche Erprobung und regulatorische Angelegenheiten in Ann Arbor (Michigan) sowie Cloud Computing in Seattle (Washington). Mit insgesamt rund 500 Entwicklern, Technikern, Ingenieuren und Designern arbeitet Mercedes-Benz Research & Development North America an der nächsten Generation intelligenter Fahrzeuge.

Intelligent World Drive – fünf Kontinente in fünf Monaten

Der Intelligent World Drive startete im September 2017 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. In fünf Monaten stellte sich das Erprobungsfahrzeug auf Basis der S‑Klasse Serien-Limousine automatisiert einer Vielzahl komplexer Verkehrssituationen auf fünf Kontinenten und lotete dabei die Grenzen der aktuellen Fahrassistenzsysteme aus. Ziel war es, globale Einblicke in reale Verkehrsbedingungen zu gewinnen und wertvolle länderspezifische Informationen für die Weiterentwicklung der Technologien zu sammeln.

Die erste Testfahrt fand im September in Deutschland statt. Der Fokus lag auf der Beurteilung des spezifischen Fahrverhaltens auf Autobahnen und in Stau-Situationen. Auf der zweiten Etappe im Oktober bewältigte die automatisierte S‑Klasse den extrem dichten Verkehrsfluss in der chinesischen Millionenmetropole Shanghai und sammelte Informationen über Merkmale wie spurabhängige Geschwindigkeitsbegrenzungen und Spurmarkierungen mit mehreren Bedeutungen. Im November stellte sich die S‑Klasse automatisiert den Besonderheiten des Straßenverkehrs in Australien. Die Testfahrten von Sydney nach Melbourne und im dortigen Stadtverkehr konzentrierten sich auf die Validierung des aktuellen, digitalen Kartenmaterials von Here Maps und der Erkennung von landesspezifischen Verkehrsschildern wie den elektronischen Geschwindigkeitsanzeigen mit variablen Tempolimits und dem weltweit einzigartigen „Hook Turn“-Schild zum Rechtsabbiegen über Straßenbahngleise in Melbourne. Der Fokus der vierten Etappe im Dezember in Südafrika lag auf der Fußgängererkennung in vielen ungewohnten Situationen im dichten Stadtverkehr und auf Landstraßen sowie auf der Validierung des digitalen Kartenmaterials von Here Maps.

Auf dem Weg zum autonomen Fahren

Autonomes Fahren ist eines der vier strategischen Zukunftsfelder, die unter dem Akronym CASE integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie der Daimler AG sind. CASE steht für Vernetzung (Connected), autonomes Fahren (Autonomous), flexible Nutzung (Shared & Services) und elektrische Antriebe (Electric). Ziel ist es, durch intelligente Verzahnung aller vier CASE-Themen eine intuitive Mobilität für die Kunden zu gestalten.

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