Vom Energieversorger zum Kundenkümmerer „Künftig werden wir nicht mehr kWh oder Bandbreite verkaufen, sondern Lösungen“

Dr. Marie-Luise Wolff ist seit 1. Juli 2013 Vorstandsvorsitzende von Entega und seit Juni 2018 Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Nach dem Studium der Anglistik und Musikwissenschaft in Deutschland, England und den USA sowie der Promotion an der Universität zu Köln begann sie ihre Industrie-Laufbahn 1987 bei der Bayer.

Bild: Patrick Wamsganz
14.09.2020

„Durch die Energiewende sind wir noch breiter als bisher aufgestellt. Und das ist gut so“, sagt die Entega-Chefin. Dabei hat sie einerseits die größtmögliche Kundenzufriedenheit im Blick und andererseits die klare Vision, zum Lösungsanbieter aus einer Hand zu werden.

Dr. Marie-Luise Wolff ist mit diesem Beitrag im Energy 4.0-Kompendium 2020 als eine von 50 Machern der Energiebranche vertreten. Alle Beiträge des Energy 4.0-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen.

Als Präsidentin des größten Energiewirtschaftsverbands BDEW ist die Entega-Chefin Dr. Marie-Luise Wolff stets nah dran an der Politik. Dabei fällt ihr energiepolitisches Zwischenfazit durchwachsen aus: „Die Nuklearkatastrophe von Fukushima hat 2011 hierzulande ganz forciert zu einer Energiewende geführt, eine Mobilitäts- oder Verkehrswende haben wir allerdings bisher nicht ernsthaft begonnen.“

Als fiktive Energieministerin weiß sie genau an welchen Schrauben sie drehen würde. Neben der Senkung der staatlichen Belastungen auf den Strompreis sieht Wolff auch Handlungsbedarf beim Ausbau der Windkraft. Hier ist ihr insbesondere ein Dorn im Auge, dass Schutzbereiche von 15 km um Bodennavigationsanlagen für Flugzeuge Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von fast fünf GW verhindern. Sie empfiehlt, sich zumindest an internationale Standards zu halten und den Mindestabstand auf 10 km zu senken. Auch ihr dritter Verbesserungsvorschlag hat die Erneuerbaren im Blick. Damit die EEG-Kosten nicht aus dem Ruder laufen, würde sie mit Beginn der Herbstausschreibungen neue Anlagen künftig über eine symmetrische Marktprämie fördern. Mehrerlöse, die über den Förderanspruch aus dem EEG hinausgehen, müssten damit im Fall steigender Börsenstrompreise an das EEG-Konto abgeführt werden.

Konkreter Bedarf

Auch als Entega-Chefin kennt sie die Herausforderungen: „Digitalisierung und Dekarbonisierung des Energiesystems beschäftigten uns rund um die Uhr“, sagt sie. Den konkreten Bedarf macht Wolff an drei Punkten fest. Neben einer Weiterentwicklung aller energiewirtschaftlich-technischen und digitalen Kompetenzen im Unternehmen, sieht sie die Notwendigkeit einer neuen Art des Kundendialogs. Dieser ist nicht von Commodity- und Preisdiskussionen geprägt, sondern von umfangreichen Lösungsangeboten für ein modernes Leben. Und schließlich nennt die Entega-Chefin das Erfordernis, das Silodenken in den verschiedenen Sektoren zu beenden, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens.

Vision für Entega

Letzteres hat unter anderem Auswirkungen auf den Vertrieb. Die Vision für Entega lautet hier: der Lösungsanbieter aus einer Hand. So bietet man bereits heute die „Zuhause Flat“ an, ein Tarif, der Ökostrom, Telefonie und schnelles Internet als Flatrate verbindet. Im Neubaubereich geht man noch weiter. Hier erproben die Darmstädter ein Bündelangebot bestehend aus Glasfaser-, TV-, Photovoltaik-(Pacht)- und Reststrom-Flatrate. „Dabei wird sichergestellt, dass der Kunde immer Energie hat und sein Überschussstrom vermarktet wird“, erläutert Wolff. Die Stoßrichtung bringt sie so auf den Punkt: „Künftig werden wir in erster Linie nicht mehr Kilowattstunden oder Bandbreite verkaufen, sondern Lösungen, die unseren Kunden Komplexität abnehmen und damit das Leben erleichtern.“ Als Führungskraft geht es ihr vor allem darum, Innovationen aufzuspüren. Hier legt Wolff großen Wert auf den Dialog, „auf Hierarchien, die nicht an Status, sondern an Kompetenz gebunden sind, auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Entscheidungen weitgehend eigenständig im Team treffen“. Dabei steht für sie fest: „Wir müssen unsere Leute gut ausbilden und gut bezahlen. Überarbeitete, ausgebeutete Beschäftigte werden nicht an Innovationen denken.“

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