Bei Bränden schneller evakuieren Können intelligente Gebäude Leben retten?

So kann ein digitales System die Ausschilderung von Fluchtwegen, je nach Ort der Brandquelle, anpassen.

Bild: iStock, Prompilove
07.01.2021

So soll ein digitales System die Ausschilderung von Fluchtwegen je nach Ort der Brandquelle optimieren, um mehr Leben zu retten.

Der Feueralarm schrillt! Jetzt heißt es, sich möglichst schnell vor dem Brand in Sicherheit zu bringen. Doch das ist oft leichter gesagt als getan, denn die Auszeichnung von Flucht- und Rettungswegen in großen Gebäuden funktioniert nicht immer optimal. Deshalb stellt sich Tim Wächter in seinem Promotionsprojekt am ›Institut für intelligente Gebäude‹ der Frage, wie sich die Fluchtwegelenkung im Brandfall verbessern lässt und damit Menschenleben rettet.

Mängel an aktuellen Fluchtwegschildern

Gegenwärtig sind Fluchtwegschilder und -pläne die Instrumente der Fluchtwegelenkung. Sie sind darauf fokussiert, den jeweils kürzesten Weg nach draußen oder in einen sicheren Bereich anzuzeigen. Leider tun sie das auch dann, wenn dieser Weg direkt zur Brandquelle führt oder blockiert ist.

Außerdem müssen Fluchtwegpläne zunächst einmal wahrgenommen, studiert und verinnerlicht werden, um einen positiven Effekt zu haben. Allerdings kann dieser schnell verpuffen, wenn der bei einem Brand entstehende Stress jede Erinnerung an den richtigen Fluchtweg verschwinden lässt. Es bleiben die Fluchtwegschilder, die aber auch nicht weiterhelfen, wenn sie von dichtem Rauch verdeckt werden.

Lösung Dynamische Fluchtwegelenkung

Müssen diese Mängel tatsächlich in Kauf genommen werden? „Nein, nach dem heutigen Stand der Technik sicherlich nicht", lautet darauf die Antwort von Tim Wächter. Er promoviert und forscht am Institut für intelligente Gebäude (InfinteG) der Fachhochschule Bielefeld, das 2016 gegründet wurde, im Bereich „Dynamische Fluchtwegelenkung". Mit seiner Arbeit, die komplett vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wird, möchte er dazu beitragen, die Mankos einer statischen Fluchtwegelenkung so weit wie möglich zu beheben.

Die grundlegende Idee ist es, ein autonomes System zur Fluchtwegesteuerung zu kreieren, das auf architektonische Informationen (zum Beispiel Längen und Breiten von Fluren und Treppenhäusern) und aktuelle sensorische Informationen (zum Beispiel Temperatur, Kohlenstoffdioxid-Gehalt und Lichtintensität) zugreifen kann, diese verarbeitet und möglichst schnell errechnet, welcher Fluchtweg der beste ist.

„Da ein solches Gebäudeevakuierungssystem die Brandquellen selbst genau lokalisieren kann, wird es stets Fluchtwege vorgeben, die um die Gefahrenstelle herumführen", erklärt der studierte Informatiker. „Angezeigt werden könnten die Fluchtwege mithilfe von gut sichtbaren LED-Streifen im Boden oder an der Wand, deren wandernde Lichtpunkte in die Fluchtrichtung weisen."

Noch differenziertere Entscheidungen

Das wäre schon ein enormer Fortschritt, doch Tim Wächter und Professor Dr.-Ing. Martin Hoffmann, der ihn bei seinem Forschungsprojekt betreut, möchten noch weitere wichtige Parameter berücksichtigen und in den Algorithmus, der ein solch intelligentes System steuert, einfließen lassen.

„Die Bewertung der baulichen Gegebenheiten eines Ganges anhand von Brandschutzkriterien ist sehr wichtig, um die Fluchtbedingungen möglichst differenziert analysieren zu können. Zum Beispiel können Stufen oder eine schlechte Beleuchtung einen Fluchtweg deutlich beeinträchtigen. Deshalb haben wir zusammen mit BauingenieurInnen hier am Campus Minden einen 56 Fragen umfassenden Katalog erstellt, der vielfältige Aspekte des Brandschutzes beinhaltet. Je größer der bei ihrer Bewertung entstehende Evaluationswert ist, desto besser ist die Qualität eines Fluchtweges", erläutert der 28-jährige Wächter sein Vorgehen.

Mit einem ersten Prototyp zur Simulation dynamischer Brandstellen konnte er bereits Erfolg versprechende Ergebnisse erzielen: Weil das System die Brandstellen erkannte und bei der gleichen Fluchtweglänge den Weg mit dem besseren Evaluationswert wählte, schnitt es etwa zehn Prozent besser ab als das statische System.

Weitere mögliche Verbesserungen

Anhand dieser Evaluationswerte lässt sich die dynamische Fluchtwegelenkung voraussichtlich noch weiter verbessern, denn häufig eignen sich längere Wege sogar besser zur Flucht aus einem Gebäude als manch kürzere. Außerdem beschäftigt sich Tim Wächter in seinem Mitte 2021 endenden Projekt mit der Erkennung und flexiblen Reaktion auf temporäre Hindernisse in Gängen, wie zum Beispiel Essenswagen in Krankenhäusern, da diese die eigentlich angenommene Kapazität eines Ganges für flüchtende Personen deutlich herabsetzen.

Damit die dynamische Fluchtwegelenkung auch den Anforderungen der Praxis standhält und dort irgendwann zum Einsatz kommt, möchte er im weiteren Verlauf seiner Forschung auch verstärkt mit entsprechenden ExpertInnen wie etwa BrandschutzmeisterInnen zusammenarbeiten. „Dieser zirkuläre Transfer ist für beide Seiten wichtig, denn nur so kann eine zunächst theoretisch entwickelte Idee zu einem großen gesellschaftlichen Gewinn werden – und tatsächlich Leben retten."

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