Kommentar Ist KI der neue Allheilsbringer?

Prof. Dr. Birgit Vogel-Heuser leitet als Ordinaria den Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme der TU München. Sie forscht an der Entwicklung und Systemevolution verteilter, intelligenter, eingebetteter Systeme in mechatronischen Produkten und Produktionsanlagen.

Bild: TU München
15.10.2019

Künstliche Intelligenzen sind der nächste Schritt im Rahmen der Industrie 4.0. Sie bergen das Potenzial, die Produktion von morgen umzukrempeln. Auch für die Prozessindustrie werden große Versprechungen gemacht. Doch wo stehen wir konkret und ist KI der neue Allheilsbringer?

Prof. Dr. Birgit Vogel-Heuser war mit diesem Beitrag im P&A-Kompendium 2019 als eine von 100 Macherinnen und Machern der Prozessindustrie vertreten. Alle Beiträge des P&A-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen .

Geht es nur noch darum, die KIs ins Feld zu bringen? Mitnichten – bevor es soweit ist, müssen wir noch einige Herausforderungen überwinden. Und selbst dann werden wir weiterhin menschliche Experten benötigen.

Die KI kann den Menschen im Alltag aber unterstützen und uns zum Teil repetitive Aufgaben abnehmen. Doch welche Herausforderungen sind noch konkret zu bewältigen? Am Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme (AIS) der TU München arbeiten wir genau an diesen Herausforderungen aus der Praxis.

Isolierte Datensilos aufbrechen

So ist zum Beispiel der Zugriff auf Daten derzeit noch mit hohem Aufwand verbunden. Vor allem in der Prozessindustrie sprechen wir oft von 30 Jahre alten Anlagen. Eine Vielzahl an Systemen verwaltet hier isolierte Datensilos. So liegen die Prozessdaten in einer Datenbank, während Qualitätswerte aus dem Labor, Wartungsberichte oder aber auch die Planungsdokumente an anderen Orten und in anderen Formaten gespeichert sind.

Die Inbetriebnahme neuer Sensorik für zusätzliche Diagnosen ist durch die Geschlossenheit der Systeme derzeit extrem teuer – und die bestehende Instrumentierung für den Betrieb der Anlage ausgelegt, nicht für die Überwachung. KI kann uns hier nur bedingt helfen, zuerst müssen wir die Daten verfügbar machen und die Silos verknüpfen.

Projekt für eine modulare Systemarchitektur

Wir am AIS stellen uns gemeinsam mit Partnern die Frage, wie wir die Vernetzung vereinfachen und die Daten auch über den gesamten Lebenszyklus hinweg nutzbar machen können. So haben wir beispielsweise im Projekt SIDAP eine modulare Systemarchitektur entwickelt, die die Daten der Feldebene mit der Intelligenz aus der Cloud verbinden kann – und das auch für Bestandsanlagen.

Derzeit arbeiten wir an einer Notation, welche es erlaubt, die verfügbaren Systeme und die Verknüpfung der Daten zu modellieren. Basierend hierauf, werden dann die notwendigen Kommunikationskanäle automatisch konfiguriert.

Wie geht es nach dem Datensammeln weiter?

Doch sobald man die Daten beisammen hat, stellt sich die nächste Frage: Was suchen wir konkret in den Daten? Welche Fragestellung sollen diese beantworten? Reicht die Datenmenge und deren Qualität dafür überhaupt aus?

Diese Fragestellungen werden derzeit oft vernachlässigt – jeder sieht die Daten als einen Schatz, der nur darauf wartet, gehoben zu werden. Leider ist dies oftmals nicht der Fall. Ohne Expertenwissen sehen wir in den Daten nichts – oder nur bereits Bekanntes.

Auch hier arbeiten wir, um den Einsatz von KI überhaupt erst zu ermöglichen. Wie helfe ich, die Qualität der Daten einzuschätzen? Welche Methoden eigenen sich für eine kontinuierliche Echtzeitüberwachung?

Nachvollziehbare Ergebnisse sind notwendig

Zuletzt ist einer der größten Punkte, der bei der Aufregung um KI oft vernachlässigt oder ganz vergessen wird, die Nachvollziehbarkeit und das Vertrauen in die Ergebnisse. Was nützt mir die beste KI, wenn der Anlagenfahrer das System nach kurzer Zeit nicht mehr beachtet, weil er die Ergebnisse nicht nachvollziehen kann?

Nur wenn wir es schaffen, die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen und die Transparenz in der Entscheidungsfindung erhöhen können, schaffen wir die notwendige Akzeptanz.

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