Interview über Antriebslösungen für fahrerlose Transportsysteme „Wir bieten völlig neue Freiheitsgrade“

Johannes Moosmann, Geschäftsbereichsleiter Industrielle Antriebstechnik bei Ebm-Papst, im Gespräch mit der A&D.

Bild: ebm-papst
24.02.2021

Fahrerlose Transportsysteme gelten in der Intralogistik als die zukunftsweisende Lösung für schnellen und flexiblen Warenfluss. Die Anforderungen an die Antriebstechnik sind hoch, neue und innovative Lösungen werden benötigt. Warum Ebm-Papst als idealer Partner für Hersteller von fahrerlosen Transportsystemen prädestiniert ist, erläutert Johannes Moosmann, Geschäftsbereichsleiter Industrielle Antriebstechnik, im Gespräch mit A&D.

Obwohl Ebm-papst seit den Gründungsjahren in den 40ern eine hohe Expertise im Bereich von Antrieben aufweist, herrscht noch immer die Außenwahrnehmung „die machen Lüfter“. Ärgert Sie das manchmal?

Ärgern ist der komplett falsche Ausdruck. Ich freue mich sogar, dass wir so einen guten und im Markt bekannten Namen haben. Wir sind ja gerade über die Lüftungstechnik als exzellenter Partner unserer Kunden bekannt. Und dieses Vertrauen sowie die Bekanntheit für hochqualitative Produkte öffnen uns natürlich auch die Türen bei Kunden, denen unser Lösungsangebot an Antriebstechnik noch weniger bekannt ist. Doch den Fuß in die Türe bekommen wir nur dann, wenn die Produkte überzeugen – und das tun sie!

Die Zielmärkte für Antriebstechnik sind sehr vielschichtig. Wie finden Sie hier eine Fokussierung und welche erachten Sie als besonders wichtig?

Durch unser umfangreiches, modulares Antriebssystem eignet sich unsere Antriebstechnik grundsätzlich natürlich für fast alle Märkte. Allerdings fokussieren wir uns in der Produktentwicklung und -auslegung auf die Zielmärkte Automatisierungstechnik, Intralogistik, Medizintechnik sowie Access Control – also Schranken, Zutrittssysteme, Aufzugstüren oder Türantriebe. Zuverlässige und robuste Antriebssysteme mit höchster Präzision sind hier immer das A und O.

In welche Branchen sehen Sie die höchsten Wachstumspotenziale?

Schon seit einigen Jahren sehen wir in der Intralogistik hohe Wachstumspotenziale. Jeder von uns hat schon fast täglich ein Paket vor der Tür stehen. Doch das funktioniert nur, wenn die Ware schnell und zuverlässig versandfertig gemacht wird. Das erfordert eine hochautomatisierte Intralogistik, die nicht nur zahlreiche Antriebssysteme benötigt, sondern neue und effizientere Lösungen verlangt. Die Intralogistik gehen wir deshalb auch strategisch als Wachstumsmarkt an. Wir betreten hier allerdings kein Neuland, sondern setzen unsere Antriebstechnik schon seit über zehn Jahren in zahlreichen Intralogistiklösungen ein. Insbesondere die Kleinantriebe von Ebm-Papst sind in gemeinsamen Projekten und Partnerschaften mit großen Intralogistik-Playern erfolgreich 
im Einsatz.

Dennoch entwickeln Sie derzeit mit dem Fahr-Lenk-System für fahrerlose Transportsysteme eine völlig neue Lösung. Wie kam es dazu?

Wir sind zusammen mit unseren Kunden aus der Intralogistik ständig in Neuentwicklungen involviert. Dabei hören wir sehr genau zu, welche Probleme auftauchen und welche Anforderungen und Wünsche es gibt. Und aus dieser Kombination zwischen dem Marktbedarf und unseren Kernkompetenzen der Antriebstechnik heraus haben wir eine neue Lösung in Entwicklung, die bei fahrerlosen Transportsystemen für völlig neue Freiheitsgrade und erhebliche Effizienzsteigerungen sorgt. Bei unserem künftigen Fahr-Lenk-System kombinieren wir unsere ganze Kompetenz aus Getrieben, kompakten Motoren, Regelungstechnik und ergänzen die Lösung um Netzwerkfähigkeit und funktionale Sicherheit. Wir ermöglichen hier den Schritt weg von spurgeführten Ansätzen hin zu vollkommen frei navigierenden Lösungen. Das stellt höchste Anforderungen an deren Antriebe. Und ein großer Vorteil wird hier bereits durch die kompakte Bauform unserer Antriebe ausgespielt. Wir können bei unserem Fahr-Lenk-System auf kleinstem Raum eine hohe Leistungsdichte umsetzen. Hersteller von fahrerlosen Transportsystemen wollen keinen Platz für die Antriebstechnik verschenken, wie wir aus zahlreichen Gesprächen er­fahren haben. Von daher sind kompakte Einheiten gefragt – und wir setzen das um!

Sie erwähnten bereits, das Fahr-Lenk-System bündelt die bisherigen Kompetenzen von Motoren, Getriebe und Regelelektronik. Doch es steckt ja noch mehr in der Lösung. Mussten Sie Ihren Entwicklungsbereich aufstocken?

Mussten wir, ja! Und das sehen wir als lohnende Investition in die Zukunft unserer Antriebstechnik. Denn neben den von Ihnen erwähnten Kernkompetenzen kommen die Bereiche funktionale Sicherheit und Connectivity neu hinzu. Davon profitiert nicht nur unser Fahr-Lenk-System, sondern natürlich die gesamte Antriebstechnik. Wir investieren dabei aber nicht nur personell, sondern auch in Partnerschaften. Denn bei immer komplexer werdenden Lösungen, gerade auch im Zuge der Digitalisierung, wäre es ein fataler Fehler, alles alleine im eigenen Haus machen zu wollen. Kooperationen und Partnerschaften sind für uns gerade im Zielmarkt der fahrerlosen Transportsysteme essenziell – denn das Fahr-Lenk-System ist ja nur eine Komponente. Hinzu kommt beispielsweise die Fahrzeugsteuerung des fahrerlosen Transportsystems, oder das übergeordnete Flottenmanagement zur Navigation aller Transportsysteme. Die Zusammenarbeit mit Partnern kann somit auf Komponentenebene stattfinden, aber auch auf Systemebene. Fahrerlose Transportsysteme bieten technologisch gesehen also einen breiten Fächer an verschiedenen Möglichkeiten. Unser Fokus liegt immer in der Kooperation, um Endkunden dann ein auf seine Umgebung optimal zugeschnittenes System anbieten zu können.

Welche Rolle spielt beim Fahr-Lenk-System eigentlich die Digitalisierung?

Wir sehen uns bei Ebm-Papst als Enabler für die Digitalisierung! Wir stellen mit unseren Lösungen viele Daten bereit, denn ein Motor kann als Sensor gesehen werden, der sehr viele Zustände erfasst. Wenn zum Beispiel bei einem fahrerlosen Transportsystem das Drehmoment steigt, kann sich ein Verschleiß am Radmodul ankündigen. Insofern ermöglichen unsere Lösungen hier ein Condition Monitoring, damit rechtzeitig vor einem Ausfall ein Radmodulwechsel stattfinden kann. Und Antriebe sind nicht nur in fahrerlosen Transportsystemen, sie stellen die Grundlage vielfältigster Automatisierungslösungen dar. Somit unterstützen unsere Daten übergeordnete Systeme, die dann Mehrwerte aus der Digitalisierung generieren.

Positioniert sich Ebm-Papst im neuen Zielmarkt der fahrerlosen Transportsysteme also primär als Entwicklungspartner – und nicht nur als Supplier, der Produkte liefert?

Wir sehen uns in diesem Fall zu hundert Prozent als Entwicklungspartner. Das ist durch unsere Ingenieur-Power aber schon immer ein Credo bei Ebm-Papst. Wir waren noch nie ein Unternehmen, das sich rein auf den Verkauf von Produkten fokussiert, egal ob in der Lüftungstechnik oder bei Antrieben. Wir definieren mit unseren Kunden stets klare Schnittstellen und erreichen mit einem gemeinsamen Engineering bestmögliche Lösungen. Und bei einem wie schon erwähnt sehr vielschichtigen Gebiet wie den fahrerlosen Transportsystemen führt nur eine gemeinsame Entwicklungskompetenz zum Erfolg der Gesamtlösung.

Ein weiteres Credo von Ebm-Papst ist Qualität. Bremst das gerade bei neuen Lösungen wie dem Fahr-Lenk-System die Entwicklungsgeschwindigkeit auch etwas aus?

Wir als Ebm-Papst stehen für Qualität, wir haben immer den Anspruch beste Qualität zu liefern und hören auch nie auf, uns und unsere Produkte weiter zu optimieren. Und auch agile Entwicklungsmethoden, die gerade auch beim Fahr-Lenk-System notwendig sind, dürfen nicht zu Lasten von Qualität gehen – denn das schlägt sonst irgendwann böse zurück. Natürlich haben wir bei der Musterentwicklung gewisse Freiheitsgrade, um Entwicklungspartner schneller beliefern zu können. Hier haben wir aber eine sehr offene Kommunikation zu unseren Partnern, dass ein Sample qualitativ bereits hochwertig ist, aber eben noch nicht zu Ende entwickelt wurde. Von daher bremst uns der eigene Qualitätsanspruch in der Entwicklungsgeschwindigkeit überhaupt nicht aus. Am Ende des Tages zählt aber: Wenn wir ein Serienprodukt ausliefern, dann muss es dem Qualitätsanspruch von Ebm-Papst entsprechen.

Wann planen Sie eigentlich den Markteintritt des Fahr-Lenk-Systems?

Mitte 2021 starten wir mit der Kommunikation unserer neuen Lösung. Die Serienverfügbarkeit für das Fahr-Lenk-System ist dann im Herbst 2022 geplant.

Warum sollten Hersteller von fahrerlosen Transportsysteme schon jetzt das Fahr-Lenk-System von Ebm-Papst in ihre Entwicklung einplanen?

Wir haben mit dem neuen Fahr-Lenk-System eine Lösung am Start, die sich optimal für fahrerlose Transportsysteme eignet. Die einzelnen Vorteile bezüglich Dynamik, Flächenbeweglichkeit, funktionale Sicherheit und Connectivity auf kleinstem Raum suchen ihresgleichen. Doch ein fahrerloses Transportsystem besteht aus unterschiedlichen Komponenten, die unterschiedlichen Schnittstellen zu unserem Fahr-Lenk-System müssen exakt abgestimmt und gemeinsam getestet werden um die Funktionalität vom gesamten Transportsystem darstellen zu können. Und hier agieren wir nicht als Produktlieferant, sondern immer auch als Entwicklungspartner. Wir können schnell und flexibel mit dem Kunden zusammen genau aufeinander abgestimmte Lösungen applizieren – hier heben wir uns ganz klar von unserem Wettbewerb ab.

Bildergalerie

  • Das Fahr-Lenk-System von Ebm-Papst ist eine vollständige Einheit aus Motor, Getriebe, omnidirektionaler Lenkung, Sensorik und allen erforderlichen Anschlüssen.

    Das Fahr-Lenk-System von Ebm-Papst ist eine vollständige Einheit aus Motor, Getriebe, omnidirektionaler Lenkung, Sensorik und allen erforderlichen Anschlüssen.

    Bild: ebm-papst

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