Anlagenbau & Betrieb "Industrielle Wertschöpfungsketten erhalten!"

27.01.2014

Helmut Knauthe, Sprecher der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau und Chief Technology Officer von ThyssenKrupp Industrial Solutions, über die Wachstumschancen der Branche, die aktuelle Energiepolitik und die Auswirkungen des Gasbooms in den USA.

Anfang 2013 rechneten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau mit einem Auftragswachstum im einstelligen Prozentbereich. Sind Sie im Rückblick zufrieden, Herr Knauthe?

Helmut Knauthe:

Die Einschätzung scheint sich zumindest zu bestätigen – in den ersten drei Quartalen gab es ein Orderplus von gut sechs Prozent. Allerdings war die Entwicklung in den einzelnen Teilbranchen sehr unterschiedlich. Während der Chemieanlagenbau auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken kann und auch der Kraftwerksbau mit dem aktuellen Bestellniveau zufrieden ist, kommt die Nachfrage nach Hütten- und Walzwerken nach wie vor nicht in Gang. Überkapazitäten und die schwache Stahl­konjunktur sind die wesentlichen Grün­de für die zurückhaltende Auftragsvergabe.

Wie sieht Ihre Prognose aus?

Für 2014 rechnet der Großanlagenbau mit einer Seitwärtsbewegung im Auftragseingang. Die USA, große Schwellenländer wie Russland und die Türkei sowie Südostasien, Osteuropa und der Mittlere Osten treiben den Bestelleingang. Hingegen geht die Branche von einer anhaltend schwachen Nachfrage aus Westeuropa und einer nachlassenden Dynamik in China und Indien aus. Der Beschäftigungsaufbau im Großanlagenbau findet derzeit überwiegend an den Auslandsstandorten statt. In Deutschland wäre bereits der Erhalt der aktuell rund 60.000 Arbeitsplätze als Erfolg zu werten.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der deutschen Energiepolitik?

Die deutsche Energiepolitik, die zu einem massiven Ausbau von Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung geführt hat, stellt die Betreiber fossiler Kraftwerke vor Probleme. Aufgrund des gesetzlich legitimierten Vorrangs für „grünen“ Strom verfehlen zum Beispiel Gaskraftwerke heutzutage immer häufiger die Gewinnschwelle. Als Folge wurden bestehende Anlagen bereits vom Netz genommen oder neue direkt nach der Inbetriebnahme wieder heruntergefahren. Notwendige Investitionen in flexible, fossil befeuerte Kraftwerke unterbleiben. Sowohl die Kraftwerksbetreiber als auch die energieintensiven Industrien brauchen endlich Planungssicherheit. Daher sollte das EEG so schnell wie möglich und europarechtlich abgesichert reformiert werden. Die steigenden Stromkosten und die Diskussion über die Beendigung von Ausnahmeregelungen für energieintensive Industrien haben bereits für erhebliche Verunsicherungen auf Seiten der Betreiber gesorgt. Investitionen – etwa in der chemischen Industrie oder der Metall­erzeugung – unterbleiben oder werden im Ausland getätigt. Der aktuell sehr schwache inländische Auftragseingang im Großanlagenbau ist die Folge. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die industriellen Wertschöpfungsketten in Deutschland erhalten bleiben und gestärkt werden. Sie sind ein Hauptgrund dafür, dass Deutschland deutlich besser als andere Länder durch die Wirtschaftskrise gekommen ist.

Die IEA sagt voraus, dass die USA sich zum größten Erdölproduzenten entwickeln werden. Welchen Einfluss hat das auf den Anlagenbau?

Die Rahmenbedingungen auf den Energiemärkten verändern sich derzeit grundlegend. Wesentlicher Treiber dieses Wandels ist die Förderung der Schiefergasvorkommen in den USA. Dieser „Angebotsschock“ hat dort zu drastisch sinkenden Öl- und Gaspreisen geführt, die – vom Mittleren Osten abgesehen – die niedrigsten weltweit sind. Das hat spürbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Machbarkeit von Industrieanlagen und damit auf die Standortwahl. Im Mittleren Osten spürt der Anlagenbau eine latente Verunsicherung der Investoren und befürchtet sinkende Auftragseingänge in Folge einer Rückverlagerung von Projekten in die USA. Dort herrscht Goldgräberstimmung: Stillgelegte Kapazitäten wer­den reaktiviert, neue Großprojekte geplant. Für deutsche Anlagenbauer ergeben sich daraus vielfältige Chancen. Der Auf- und Ausbau von Vertriebs- und Planungskapazitäten sowie die Suche nach Kooperationspartnern sind Herausforderungen, denen sich die Branche stellen muss. Ob alle Projekte letztlich wie geplant realisiert werden, bleibt angesichts begrenzter Ressourcen sowie steigender Investitionskosten in den USA abzuwarten.

Welche Segmente des Großanlagenbaus werden davon in erster Linie beeinflusst?

Von dem dortigen Gasboom profitieren verschiedene Segmente. Die USA bauen ihre Energieversorgung um und setzen dabei – anders als Deutschland – vor allem auf heimisches Erdgas. Von den bis 2035 geplanten neuen Kapazitäten sollen mindestens 60 Prozent Erdgaskraftwerke werden. Aber auch der Hütten- und Walzwerksbau und die Hersteller von Rohranlagen profitieren von den niedrigen Energiepreisen und der steigenden Nachfrage nach Rohren für die Gasförderung. In der Pipeline des Chemieanlagenbaus befinden sich Vorhaben zum Bau von Methanol-, Ammoniak- und Düngemittelanlagen sowie von LNG-Exportterminals. Deutsche Anlagenbauer verfügen über erhebliches Know-how in diesen Bereichen und sind bereits vielfältig involviert, zum Beispiel bei der Schiefergasproduktion und -verwertung oder beim Bau des ersten LNG-Exportterminals in Louisiana. Auch wird ein deutscher Anlagenbauer mehrere große Düngemittelanlagen im Mittleren Westen errichten. Noch vor wenigen Jahren wären solche Aufträge undenkbar gewesen. Die gesunkenen Energiepreise in den USA haben die Spielregeln auf dem globalen Anlagenbaumarkt jedoch radikal geändert und Großinvestitionen in den Vereinigten Staaten wieder attraktiv gemacht..

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