Torsten Wenzel, Proxia, über MES-Systeme „Wir müssen zwangsläufig in Richtung Cloud denken“

Die Cloud wird für Proxia zukünftig immer wichtiger.

Bild: Proxia
07.11.2018

Immer mehr Maschinen werden vernetzt. Das bringt gerade bei der Produktionsüberwachung enorme Datenmengen mit sich. Cloud-Systeme können helfen, sie zu bewältigen, doch das Misstrauen ist immer noch groß. Darüber und über die Zukunft von MES-Software haben wir mit Torsten Wenzel, Vorstand Sales und Technik bei Proxia, gesprochen.

Herr Wenzel, MES aus Ihrer Unternehmensgruppe gibt es jetzt schon seit nahezu dreißig Jahren. Bitte erzählen Sie uns doch etwas über die Geschichte Ihres Unternehmens und wo Proxia herkommt.

Es gibt uns schon eine lange Zeit, aber ursprünglich nicht unter dem Namen Proxia. Jedoch liegt unsere Keimzelle am Standort Ebersberg, die Firma Coscom, welche 1978 gegründet worden ist und dieses Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Wir waren viele Jahre eine Abteilung der Coscom, welche sich innerhalb des Unternehmens auf MES-Software spezialisiert hat. Unsere erste Lösung im Bereich DNC (Distributed Numerical Control) haben wir 1985, die erste BDE-Lösung 1989 auf den Markt gebracht. Wenn man diese Anwendung als eine der Grundlagen für ein modernes MES-System sehen will, dann beschäftigen wir uns jetzt seit etwa 30 Jahren mit MES-Software. Im Jahre 2011 wurden wir aus Coscom ausgegründet und sind seitdem unter dem Namen Proxia Software als eigenständiges Unternehmen am Markt aktiv.

Inwiefern heben Sie sich mit Ihrer Proxia-MES-Lösung von anderen MES-Anbietern ab?

Uns unterscheidet sicherlich, dass wir sämtliche Software selbst entwickeln und keine Module zukaufen. Außerdem bieten wir wie erwähnt eine zusätzliche Lösung für die Wartung und Instandhaltung (TPM) an, die nicht originär dem Bereich MES zuzuordnen wäre. Das ist für uns ein wichtiger Bestandteil, weil wir uns als „Datensammler, Datenaufbereiter und Datenauswerter“ sehen. Denn wenn man schon Informationen an einer Maschine aufnimmt, sollte man sie nicht nur für die reine Produktionsanalyse verwenden, sondern sie gleich weiter aufbereiten – zum Beispiel für Predictive Maintenance. Deshalb haben wir hier uns vor einiger Zeit entschieden, ein TPM-Modul zu entwickeln.

Ihre Kunden können sich also ein MES-System nach Bedarf zusammenstellen?

Richtig. Die Proxia-MES-Software ist modular aufgebaut und bildet kein monolithisches System. Der Kunde soll in der Lage sein, für jeden Anwendungsbereich die beste Software zu nutzen.

Sie bieten auch die Möglichkeit eines Cloud MES an. Ist das eine neue Funktionalität oder gibt es das schon länger?

Das bieten wir in der Tat schon länger an. Wir haben bereits erste Kunden, welche Cloud-Lösungen mit Proxia umsetzen. Unser Ziel auf der Hannover-Messe 2018 war es vor allem, potenziellen Kunden zu zeigen, was möglich ist und wie schnell und einfach sich Cloud-Lösungen heutzutage umsetzen und implementieren lassen.

Welchen Show Case haben Sie in diesem Zusammenhang erstmals gezeigt?

Wir haben auf der Messe einen Elektromotor aufgebaut, der – abgesehen davon, dass man eine Spannung abnehmen konnte – über keine weitere Sensorik verfügt hat. Diesen Motor haben wir via OPC-UA vernetzt und ergänzende Informationen zu Temperatur, Schwingungen und Rotation, quasi in Echtzeit, in die Proxia-Cloud übertragen. Den Interessenten auf dem Stand haben wir dann via QR-Code die Möglichkeit gegeben, sich auf dem Smartphone die Daten in Echtzeit anzusehen. Es bedurfte keiner Anmeldung in unserem System. Wir haben außerdem nur die Daten, die wir zur Verfügung stellen wollten, den Interessenten zugänglich gemacht.

Wieso sollte ein Unternehmen überhaupt auf eine Cloud-MES-Lösung setzen? Welche Vorteile bringt das?

Es gibt verschiedene Vorteile, welche sicher im Einzelfall unterschiedlich bewertet werden können. Jedoch kann man aus meiner Sicht die Reduktion von firmeninternen Aufwendungen für Betrieb und Infrastruktur einer Lösung anführen, ebenso wie die an sich unlimitierte Erweiterung von Speicherkapazität für die Aufzeichnung von immer mehr Informationen über den Produktionsprozess. Auch die aktuelle Entwicklung kommt uns hier sicherlich mit Themen, wie z.B. der Implementierung von OPC-UA als einheitlichem Kommunikationsprotokoll sehr entgegen. Wir können immer mehr und immer granularer Daten aufnehmen und Prozessen zuordnen. Mit der Masse steigt allerdings letztlich auch der Bedarf an Speichermöglichkeiten.

Kommt Ihr Cloud-MES eher on-premises zum Einsatz oder hosten Sie es bei Clouddienstleistern?

Die Lösungen, die wir bislang installiert haben, gehen in der Tat eher in die erstere Richtung. Wir haben Kunden, die eine unternehmenseigene Cloud besitzen, in der unsere Software installiert ist. Wir könnten unsere Software aber auch in einer externen Cloud hosten, doch hier ist in der Tat noch Überzeugungsarbeit bei den Kunden und Interessenten zu leisten.

Sie setzten im Moment also noch nicht auf ein Software-as-a-Service-Modell?

Aktuell bieten wir verschiedene SaaS-Möglichkeiten für unsere Kunden an, welche jedoch nicht auf einer Cloudlösung basieren. Aber unabhängig davon verfolgen wir diese Thematik natürlich konsequent in unserer Entwicklungs-Roadmap neben anderen Themen weiter.

Warum überhaupt?

Eine Softwareinstallation mit einer Planung, BDE und MDE treibt Investitionen inklusive der begleitenden Dienstleistungen schnell in die Höhe. Doch letztlich interessieren den Kunden immer seltener der Kauf und die Pflege der Software, sondern letztlich die Daten und Potentiale, welche mit Hilfe der Software erhoben und aufbereitet werden. Verschiedene andere Lösungen leben diesen Gedanken bereits, ich denke hier nur an die Modelle von Anbietern von Gabelstaplern, welche im Rahmen eines Flottenmanagements nach Transportkilometern mit ihren Kunden abrechnen. Data on demand und SaaS sind die Ansätze, auf die wir uns konzentrieren müssen. Das bezieht sich jetzt nicht nur auf Proxia, sondern auf die ganze Branche.

Ist die Steuerung der Produktion, vielleicht sogar aus der Cloud heraus, eigentlich ein Thema für Sie?

Produktionssteuerung und MES ist immer wieder ein Thema, welches sehr intensiv auch in Projekten diskutiert wird. Wir überwachen die Produktion und die begleitenden Prozesse, greifen aber nicht oder nur in sehr definiertem Rahmen steuernd ein. Das sollte aus meiner Sicht auf der Seite der Automatisierer bleiben.

Die Steuerung soll also in der Shop-Floor-Ebene bleiben?

Innerhalb der Automatisierungspyramide gibt es eine klare Zuordnung von Funktionen und Aufgaben an die Teilbereiche. Wir können Informationen zur Entscheidung bei Eingriffen in Prozesse bereitstellen, ich würde aber die Thematik nur bedingt und in sehr engen Grenzen auf seitens der Anbieter eines MES sehen.

Die Frage zielte auch ein bisschen darauf ab, dass die Grenzen der klassischen Automatisierungspyramide mehr zu verschwimmen scheinen. Wie sehen Sie das?

Es gibt, das bemerken wir natürlich auch, immer mehr Maschinenhersteller und ERP-Anbieter, welche Funktionen der MES-Ebene in ihre Lösungen implementieren wollen. Zudem verändert sich der Anbietermarkt derzeit durch Übernahmen oder Partnerschaften rapide. Dies hat aber aktuell aus unserer Sicht nur bedingten Einfluss auf die funktionale Abgrenzung der Aufgaben innerhalb der Automatisierungspyramide. Auch wir implementieren immer wieder Aufgabenbereiche, welche auf den ersten Blick eventuell nicht mit MES in Verbindung gebracht werden, wie unser eingangs erwähntes TPM Modul. Damit breiten wir uns natürlich in andere Bereiche des Unternehmens aus, allerdings unter Beachtung der Prozesszuständigkeit in den jeweiligen Segmenten. Und genau hier liegt für mich ein Vorteil dieser Abgrenzung. Kunden und Interessenten werden in die Lage versetzt, sich innerhalb ihres Bedarfes für die jeweils beste Lösung entscheiden zu können, da Rollen und Aufgaben klar definiert sind. Somit ist es nicht zwingend, ein ERP-System mit angeschlossenem MES zu erwerben, wenn ein Spezialanbieter ggf. eine optimalere Lösung im Portfolio hat. Zudem ist dies für gelebte Kooperation zwischen Systemen. Wir sollten aufhören in Grenzen zu denken, sondern den Mehrwert für den Kunden ins Zentrum unserer Überlegungen stellen.

Wir haben jetzt schon viel über Vernetzung und die Möglichkeiten von Cloud-Lösungen gesprochen. Doch wie schätzen Sie den Stand der Digitalisierung ein?

Viele unserer Interessenten aus dem Mittelstand haben leider schlicht nicht die personellen Möglichkeiten, Personal für Digitalisierungsprojekte abzustellen. Das ist aus meiner Sicht eine große Herausforderung. Den Projekten wird häufig nicht die Bedeutung zugemessen, die sie eigentlich haben müssten. Schnell wird aus dem Ansatz „Wir erfassen ein paar Maschinendaten“ ein komplexes MES-Projekt mit ungenauer Definition und Zielsetzung. An dieser Stelle stehen wir unseren Kunden beratend über unsere jahrzehntelange Projekterfahrung zur Seite. Allerdings brauchen auch wir einen Sparringspartner auf der Kundenseite. Viele Studien sind bereits zum Stand der Digitalisierung veröffentlicht und täglich kommen neue hinzu. Aus meiner Sicht ist es wichtig, auf initial überschaubare Projekte mit klarem Auftrag und Ziel zu setzen. Digitalisierung im Unternehmen ist kein Sprint einzelner, sondern eher ein gemeinsamer Staffellauf verschiedener Bereiche.

Bildergalerie

  • Torsten Wenzel ist Vorstand Sales und Technik bei Proxia.

    Torsten Wenzel ist Vorstand Sales und Technik bei Proxia.

    Bild: Proxia/ Fotostudio Carokaa

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel