Wie Kälte Elektronik schädigt Ice statt Fire

Bild: iStock, Cappan
30.08.2018

Bei thermischem Verhalten oder thermischer Simulation von Leiterplatten denkt jeder sofort an die Überhitzung von Bauteilen und Lötstellen. Der Einfluss von Kälte spielt für die meisten Entwickler hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Aber auch sehr niedrige Temperaturen können Elektronik schädigen.

Jahrzehntelang konnten sich Elektronik-Designer darauf konzentrieren, dass ihre Schaltungen bei Raumtemperatur funktionieren. In den letzten Jahren hat sich der Einsatzort von Elektronik jedoch deutlich verändert. DSL-Verteiler, Mobilfunkmasten, Smartphones oder Car-Entertainment – immer komplexere Elektronik kommt draußen zum Einsatz. Es handelt sich dabei nicht um Spezialelektronik für den Außeneinsatz und der Preis spielt eine wesentliche Rolle. Durch die bessere Leitfähigkeit der Metalle werden die elektrischen Verluste bei niedrigen Temperaturen geringer. Der Sättigungsstrom bei CMOS-Schaltkreisen verbessert sich, die ICs schalten schneller und lassen sich mit höheren Taktfrequenzen betreiben. Die minimale Temperatur, bei der CMOS-Schaltkreise getestet wurden, liegt bei ungefähr
-230 °C – bipolar nur bei -195 °C -, also 40 K über dem absoluten Nullpunkt. Für sich betrachtet, ist das CMOS-Silizium somit für solche Temperaturen geeignet. Allerdings verschiebt sich die Schaltspannung nach oben und es muss mit höheren Spannungspegeln gearbeitet werden. Das führt zu einem höheren Zerstörungsrisiko und zu Problemen bei steileren Flanken.

Lernen von der Raumfahrt

Der größte Betriebstemperaturbereich, in dem Elektronik funktionieren muss, findet sich in der Raumfahrt. Die Elektronik bei Satelliten wird mit Schaum und Folien isoliert und anschließend mit Heizungen und Kühlungen auf einen kontrollierten Bereich geregelt, in dem auch konventionelle Elektronikbauteile funktionieren. Vielleicht noch gravierender als kalte oder warme Temperaturen ist der Temperaturwechsel, wenn Satelliten von der Sonneneinstrahlung in den Erdschatten fliegen oder Sonden in die Atmosphäre eintreten. Bei Temperaturschwankungen in den Bauteilen führen die unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten der verwendeten Materialien dazu, dass sich die Leiterplatte, Leitungen und Durchkontaktierungen, Verbindungen von Bonddrähten, Silizium-Dies und die Balls des Packages unterschiedlich schnell ausdehnen. Durch den mechanischen Stress brechen Verbindungen auf und werden hochohmig. Zudem kann das Silizium im IC-Inneren brechen oder Risse bekommen.

Neben der Luft- und Raumfahrt sind auch andere Branchen von niedrigen Umgebungstemperaturen betroffen. Ex-
trem gekühlte Magnete für die Computertomographie und hochsensible, analoge Schaltungen, die bei tiefen Temperaturen betrieben werden, gehören zu den Herausforderungen der Medizinelektronik. Auch die Steuerelektronik im Innenraum und Motorraum von Fahrzeugen ist einem weiten Temperaturspektrum ausgesetzt. Automobilelektronik ist für tausende Temperaturzyklen von -40 bis 200 °C ausgelegt und soll anschließend noch zuverlässig funktionieren. Mittlerweile kommt dort allerdings auch vermehrt Konsumelektronik zum Einsatz, wie Tablets, Smartphones oder mobile Navigationsgeräte. Sie bleiben oft auch über Nacht beziehungsweise im Winter im Fahrzeug.

Gefrorenes Elektrolyt

Der Elektrolyt in einem Kondensator friert bei unter -20 °C langsam ein und wird hochohmig. Der ESR bei Elek-
trolyt-Kondensatoren nimmt bei Temperaturen, die deutlich unter dem Gefrierpunkt liegen, stark zu. Gleichzeitig steigt der Verlustfaktor (tan δ) von Elektrolyt-Kondensatoren und durch diese Verluste werden elektromagnetische Wellen gedämpft.

In IPS- und TFT-Bildschirmen sind kälteanfällige Flüssigkeitskristalle verbaut, die bei niedrigen Temperaturen einfrieren können. Sie reagieren dann nur träge beziehungsweise gar nicht mehr auf Berührungen. Im Vergleich dazu arbeiten in AMOLED-Displays Dioden, die widerstandsfähiger gegenüber Kälte sind. Damit ein eingefrorenes Display wieder benutzt werden kann, muss es langsam und schonend aufgewärmt werden. Das Einfrieren ist nur dann schädlich, wenn es beim Temperaturwechsel zu Spannungen im Glas kommt und es springt.
Bei Kälte driften Clock-Oszillatoren verstärkt und Analog-Digital-Konverter können unter Umständen auch versetzte Ergebnisse liefern. Widerstände sind innerhalb des spezifizierten Temperaturbereichs konstant. Außerhalb dürfen sie maßgeblich abweichen. Präzisionswiderstände gleichen temperaturabhängige Längenausdehnungen mit Änderung der temperaturabhängigen Leitfähigkeit im Betriebsbereich aus. Dieser Abgleich funktioniert jedoch nur über eine begrenzte Temperaturspreizung. Digitale Schaltungen werden bei Kälte schneller, was zu Timing-Fehlern und Hold-Time-Verletzungen führt.

Die Hinweise der Elektronik-Hersteller für die Lagerung von Geräten mit Akkus besagt, dass eine Lagerung im Kühlschrank möglich ist, um die Selbst-
entladung zu bremsen. Die Lagerung sollte wegen der Kondensationsproblematik unbedingt in einem luftdichten Beutel erfolgen, beispielsweise einem Gefrierbeutel. Beschlägt ein Display von innen, ist das kritisch. In diesem Fall sollte man das Gerät ausschalten und den Akku herausnehmen. Anschließend lässt man das geöffnete Gerät an einen trockenen, warmen Ort für mehrere Stunden oder Tage austrocknen, bevor es wieder in Betrieb genommen wird. Abrupte Kalt-Warm-Wechsel bergen das große Risiko der Kondensation. Feuchte, warme Luft schlägt sich dabei im kalten Gehäuse und auf dem kalten Bauteil nieder. Die Nässe im Gerät kann Schaden an den Akku-Kontakten anrichten, oder das Wasser verursacht Kurzschlüsse und Korrosion. Dementsprechend müssen die Kriechstrecken auf den Leiterplatten für mit Wasser bedampfte Oberflächen berücksichtigt und entsprechende Abstände eingehalten werden.

Dringt Feuchtigkeit in die Leiterplatte ein und gefriert, kommt es durch die Anomalie des Wassers und der Volumenvergrößerung beim Gefrieren zu Ausdehnungen und der Erweiterung von Haarrissen. Über mehrere Temperaturzyklen kann gefrierendes Wasser Leiterplatten zum Platzen bringen. Das Aufquellen der Leiterplatte und die dabei entstehenden Hohlräume verändern das elektrische Verhalten für Antennen und High-Speed-Signale. In den entstandenen Hohlräumen kann es auch zu kristallinen Ablagerungen innerhalb der Leiterplatte an den Anoden kommen, sogenannten Conductive Anodic Filaments (CAF). Plötzliche Ausfälle im Langzeitbetrieb sind die Folge davon. Deshalb werden Leiterplatten, die Kälte und Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, häufig in geschlossene Gehäuse, etwa mit der Schutzklasse IP54, verbaut. Luftdichte Gehäuse, die gegen Kälte helfen, sind bei höheren Betriebstemperaturen wiederum problematisch, da eine Wärmeabfuhr ohne Lüftung erschwert wird. Mit thermoelektrischen Co-Simulationen von Elektronik und Gehäuse bei verschiedenen Umgebungstemperaturen lässt sich das multiphysikalische Verhalten abbilden.

Garantie erlischt

Manche Smartphones schalten sich bei extremer Kälte ab, um den Akku vor Schaden zu schützen. Einige Smartphones dürfen beispielsweise nur bei 0 bis 35 °C genutzt werden. Für die Lagerung ist ein Temperaturbereich von -20 bis
45 °C zugelassen. Bevor ein zu kaltes, kommerzielles Elektrogerät wie Navi, Smartphone oder Digitalkamera geladen oder betrieben wird, sollte daher eine halbe Stunde gewartet werden. Verbraucher riskieren unter Umständen auch ihre Garantie, wenn das Gerät bei eisigen Temperaturen genutzt wird. Wasserschäden, die zum Beispiel durch Kondenswasser entstehen, sind von der Garantie ausgeschlossen und lassen sich durch chemische Messstreifen im Gerät feststellen. Für extrem niedrige Temperaturbereiche sollte eine Isolation durch Vakuum oder eine aktive Feuchtigkeitskontrolle zum Herabsetzen des Kondensationspunktes verwendet werden. Allerdings haben Schutzlacke gegen Feuchtigkeit nur eine begrenzte Lebensdauer. Generell gilt: Wenn Bauteile unterhalb der minimalen Temperatur betrieben werden, erlischt für den Kunden die Garantie, beziehungsweise alle Simulationsmodelle verlieren ihre Gültigkeit.

Das Einschalten bei extrem niedrigen Temperaturen kann in der Elek-
tronik eine lokale, schnelle Erwärmung hervorrufen, die wiederum zu mechanischen Spannungen führt. Diese Spannungen durch unterschiedliche Ausdehnungskoeffizienten und hohen Temperaturdifferenten können Gehäuse zum Aufplatzen oder Lötstellen und Microvias bei HDI-Technologie zum Abreißen bringen.

Heizung für die Leiterplatte

Werden sie unterhalb der spezifizierten Temperatur betrieben, lassen strombegrenzende Bauteile wie PTC oder PPTC viel mehr Strom durch. Diese hohen Ströme können andere Bauteile zerstören. Bei der Simulation solcher Schaltungen ist deshalb darauf zu achten, dass die PSpice-Modelle an die niedrigen Temperaturbereiche angepasst werden, da Bauteilhersteller häufig nur PSpice-Modelle für den kommerziellen Temperaturbereich liefern.

Zur Kühlung von Leiterplatten dienen Lüfter und Kühlkörper. Für viele unbekannt sind Heizungen für Leiterplatten. Diese Heizungen schalten sich ein, wenn eine minimale Temperatur erreicht ist. Auf einer Innenlage fließt dann ein höherer Ruhestrom und die ohmschen Verluste bewirken eine gleichmäßige Erwärmung der Leiterplatte von innen. Die Feuchtigkeit verschwindet, und es kommt nicht zu Kurzschlüssen oder mechanischem Stress durch gefrierendes Wasser. Solche Induktionsschleifen lassen sich in PCB-Layout-Tools wie Cadence Allegro dimensionieren und die Erwärmung mit Sigrity simulieren.

Bildergalerie

  • Der Verlustfaktor (tan δ) eines Aluminium-Elektrolyt-Kondensators steigt bei geringen Temperaturen stark an.

    Der Verlustfaktor (tan δ) eines Aluminium-Elektrolyt-Kondensators steigt bei geringen Temperaturen stark an.

  • Bei Leiterplatten kann es zu starken Temperaturspreizungen kommen.

    Bei Leiterplatten kann es zu starken Temperaturspreizungen kommen.

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