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Nachteile von AR-Brillen Hemmt Augmented Reality die Innovation?

AR: Effizienztreiber oder Innovationshemmer? Eine internationale Studie legt beides nahe.

Bild: iStock, gorodenkoff
06.05.2022

Beschäftigte in der Industrie produzieren schneller, wenn sie über Augmented-Reality-Brillen angeleitet werden. Eine neue Studie zeigt aber: Mitarbeiter, die AR-Brillen tragen, verinnerlichen ihre Aufgaben wesentlich schlechter als solche, die analog eingearbeitet werden. Das kann sich negativ auf Produktionsprozesse und die Weiterentwicklung von Unternehmen auswirken.

Immer mehr Unternehmen setzen in der Produktion auf Augmented Reality, weil sie sich eine höhere Produktivität und die Verbesserung von Produktionsabläufen erhoffen. AR-Brillen leiten die Beschäftigten beispielsweise beim Zusammenbau eines Elektrogeräts an, indem sie Einzelteile erkennen und den nächsten Montageschritt anzeigen. Bislang war jedoch wenig darüber bekannt, ob sich die Investition der Unternehmen in AR-Geräte lohnt und welche Stärken und Schwächen die Technologie im Bereich der Produktion hat.

Um diese Lücke zu schließen, hat ein Forschungsteam der Technischen Universität München, der University of Wisconsin-Madison und des Landeskrankenhauses Mainz mit Feldversuchen in einem Technologieunternehmen untersucht, wie schnell Beschäftigte neue Aufgaben mit und ohne AR-Unterstützung ausführen, ob die Komplexität der Aufgaben dabei eine Rolle spielt und wie der AR-Einsatz die Fähigkeit der Nutzer beeinflusst, Prozessoptimierungen vorzuschlagen. 50 Probanden wurden in zwei neue, unterschiedlich schwierige Aufgaben bei der Produktion von Elektronikgeräten eingewiesen. Die Hälfte erhielt die Anleitung auf Papier, die andere Gruppe über eine AR-Brille. Anschließend mussten beide Gruppen die Aufgaben zuerst mit und dann ohne Anleitung bewältigen.

In einem zweiten Schritt waren alle Teilnehmenden aufgefordert, Verbesserungsvorschläge zu machen, um die Produktionsprozesse zu optimieren. Anschließend wurden diese Vorschläge von Experten des Unternehmens bewertet.

AR-Brillen führen zu kleinerem Lerneffekt

Die Studie zeigt, dass sich die Produktivität durch den Einsatz von Augmented Reality deutlich steigern lässt. Beschäftigte, die die schwierige Aufgabe mit AR-Brillen meisterten, benötigten dafür im Vergleich zur Kontrollgruppe fast 44 Prozent weniger Zeit. Bei der einfachen Aufgabe betrug der Zeitunterschied immer noch gut 15 Prozent.

Allerdings zeigte sich auch, dass die Probanden der AR-Gruppe die Aufgabe offenbar weniger durchdrungen hatten als ihre analog angeleiteten Kolleginnen und Kollegen. Bei der Wiederholung der komplexen Aufgabe ohne Hilfsmittel waren sie langsamer und brauchten 23 Prozent mehr Zeit als die andere Gruppe.

„Wer sich zu sehr auf die Technik verlässt, verarbeitet die Informationen nicht so tiefgreifend und erzielt geringere Lerneffekte“, sagt Studienleiter David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TU München. „Das ist bei Augmented-Reality-Geräten ganz ähnlich wie bei Navigationsgeräten im Auto. Wer mit Navi durch eine fremde Stadt fährt, kann sich dort ohne dieses Gerät beim nächsten Mal kaum orientieren.“

Wer auf Innovation setzt, profitiert weniger von AR

Der zweite Teil der Analyse zeigt, dass sich der Einsatz von Augmented-Reality-Brillen entsprechend negativ auf das Innovationspotenzial auswirkt. Die Beschäftigten, die mit Papieranleitungen produzierten, machten anschließend deutlich hilfreichere Verbesserungsvorschläge als die AR-Gruppe. „Die Ergebnisse legen nahe, dass das Augmented-Reality-Gerät als Krücke diente, aber bei den Menschen zu keinem tieferen Verständnis der Aufgabe führte und sie infolgedessen auch wenig zur Prozessoptimierung beitragen konnten“, erklärt Wuttke.

Den größten Nutzen aus der AR-Technologie, so schlussfolgern die Forschenden, ziehen derzeit Branchen mit einer hohen Taktfrequenz in der Produktion, in der die Prozessoptimierung abgeschlossen ist oder keine große Rolle spielt. Firmen, die auf eine ständige Weiterentwicklung ihrer Produkte setzen, profitieren dagegen weniger von AR. „Für diese Branchen könnten eine hybride Form oder eine intelligente Gestaltung der Augmented Reality die Lösung sein“, sagt Wuttke. „Beispielsweise könnten die Anwendungen so programmiert werden, dass sie gezielte Fragen stellen – oder dass die Anleitungen sogar absichtlich unperfekt sind, um zum Nachdenken anzuregen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass ein Teil der Beschäftigten mit AR-Brillen für eine hohe Produktivität sorgt, während ein anderer Teil analog angeleitet produziert und so weiter an besseren Produktionsabläufen arbeitet.“

Wie diese Ansätze tatsächlich in der Produktion funktionieren, wollen die Forschenden weiter untersuchen. Wuttke betont: „Augmented Reality kann Unternehmen enorm voranbringen – wenn man weiß, was man mit der Technologie bewirkt.“

Bildergalerie

  • Forschen an der TU München im Bereich Supply Chain Management (von links): Mrunal Mohadikar, Prof. Dr. David Wuttke, Begimai Marlenova und Sairam Sriraman.

    Forschen an der TU München im Bereich Supply Chain Management (von links): Mrunal Mohadikar, Prof. Dr. David Wuttke, Begimai Marlenova und Sairam Sriraman.

    Bild: TU München

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