Smart Traffic & Mobility Güterlogistik unter der Erde

11.09.2013

Mit Gütern beladene Transportfahrzeuge fahren in einem Rohrleitungssystem lautlos unter der Stadt von einer Station zur nächsten und auch direkt zum Warenhaus. Eine Utopie ist das schon lange nicht mehr. Vielmehr lässt sich ein solches System nun auch wirtschaftlich darstellen.

In den Straßen gehören Smog, Schmutz, Lärm und Staus der Vergangenheit an. Lkw sind aus dem Stadtbild verschwunden. Stattdessen flitzen Caps (mit Gütern beladene Transportfahrzeuge ) in einem eigenen Fahrrohrleitungssystem unter der Stadt lautlos von einer Station zur nächsten.- Schön wäre das. Und es ist gar nicht so utopisch, wie es anmutet. Der weltweit wachsende Güterverkehr, die zunehmend überlasteten Verkehrswege und der Umwelt- und Gesundheitsschutz machen es notwendig, die Warenlogistik neu zu strukturieren. Ohne leistungsfähige Transport- und Logistikdienstleistungen kann unsere moderne, arbeitsteilige Wirtschaft nicht funktionieren. Insbesondere in den urbanen Ballungsgebieten [1], wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet, kann die traditionell gewachsene Verkehrsinfrastruktur den steigenden und veränderten Anforderungen an die Verkehrsleistung nicht gerecht werden. Neue Lösungen sind deshalb dringend erforderlich. Lösungen, die möglichst schnell bestehende Verkehrswege sowie die Natur und Umwelt von Schadstoffen entlasten und zugleich nachhaltig die Verkehrssituation verbessern [2].

Automatischer unterirdischer Gütertransport

Eine solche Lösung ist das Cargocap-System, die fünfte Transportalternative zu Straße, Schiene, Wasser und Luft. Cargocap ist als eigenständiges, leistungsfähiges und leicht erweiterbares System konzipiert, das betriebliche Rentabilitätsanforderungen erfüllt [3]. Es wurde in den Jahren 1998 bis 2002 im Rahmen eines vom Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten interdisziplinären Forschungsverbundes an der Ruhr-Universität Bochum konzipiert und aus technischer, ökonomischer, ökologischer und juristischer Sicht bewertet [4]. Seitdem erfolgte die technische Weiterentwicklung bis zur inzwischen erreichten Einsatzreife. Der unterirdische Gütertransport erfolgt autonom und vollautomatisch durch individuell elektrisch angetriebene, computergesteuerte Transportfahrzeuge (Caps), die 36km/h erreichen. Die Transportgeschwindigkeit wird im Fahrrohrleitungsnetz konstant eingehalten und bewirkt eine kürzere Transportzeit als Lkws sie im Ballungsraum mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 16km/h [10] erreichen. Der Laderaum eines Caps kann zwei Euro-Paletten nach CCG 1 (B x T = 80 x 120cm) aufnehmen, die zusammen maximal 1500kg wiegen dürfen. Da die Euro-Palette ein genormter und in der Praxis bewährter Lastträger ist, lässt sich Cargocap in traditionelle Verkehrssysteme und Logistikkonzepte einbinden. Durch das Beladen mit zwei Euro-Paletten pro Cap ist eine hohe Ladungs- und Verteilungsflexibilität der Waren gewährleistet. Die Höhe der Ladung auf den Paletten wurde mit 1,25m gewählt. Sie erlaubt - bei geeigneten Waren - den Transportraum in der Anschlusslogistik durch Aufeinandersetzen zweier beladener Paletten optimal auszunutzen. Die Ladung der Caps wird an den Stationen bei Direktanschluss unmittelbar dem Empfänger zur Verfügung gestellt oder durch eine Anschlusslogistik mit Lieferfahrzeugen in nächster Umgebung der Stationen verteilt. Nur an den Stationen gibt es eine Verbindung zur Oberfläche. Sie können mitten in Innenstädten, an der Rampe von Warenhäusern oder auch punktgenau am Fließband einer Fabrik liegen. Das entlastet die Straßen vom immer stärker wachsenden Güterverkehr und reduziert die damit verbundenen umweltrelevanten Probleme - und dies ohne Landschaft in Anspruch zu nehmen.

Unterirdischer Fahrweg

Der Fahrweg des Cargocap-Systems besteht aus Rohrleitungen mit einem Innendurchmesser von lediglich zwei Metern - das entspricht in etwa der Rohrgröße für das Sammeln und Ableiten von Abwasser (Kanalisation). In bebauten Gebieten werden die Fahrrohrleitungen soweit wie möglich unter öffentlichem Straßenraum verlegt. Dafür in Frage kommen Räume neben, unter oder über vorhandenen Ver- und Entsorgungsleitungen, Strom- und Telekommunikationskabeln, U-Bahn- oder Straßentunneln und anderen Tiefbauwerken. In der Regel wird die Tiefenlage sechs bis acht Meter betragen. Das Verlegen der Fahrrohrleitungen erfolgt in diesem Fall grabenlos (unterirdisch) nach dem Prinzip des Rohrvortriebs [5]. Dabei werden von einem Startschacht aus mit Hilfe einer Hauptpressstation und im Rohrstrang positionierter Zwischenpressstationen vorgefertigte Vortriebsrohre durch den Baugrund bis in einen Zielschacht vorgetrieben. Der anstehende Boden oder Fels wird an der Ortsbrust mechanisch abgebaut und durch den vorgetriebenen Rohrstrang über Tage gefördert. Eine steuerbare Schildmaschine, die dem ersten Rohr vorgeschaltet ist, ermöglicht den genauen Vortrieb in gerader oder gekrümmter Linienführung (Abbildung siehe Seite 147).Dieses in den vergangenen zwei Jahrzehnten perfektionierte, umweltschonende Bauverfahren gehört zu den Standardverfahren des Kanalbaus. Es bietet die Möglichkeit für die technische Realisierung von Cargocap durch unsere Generation. Es wird unter anderem auch von der Emscher Genossenschaft (Essen) für den Bau des Abwasserkanals Emscher eingesetzt - eine rund 50km lange, zum Teil doppelröhrige Abwasserleitung quer durch das Ruhrgebiet. Der Platzbedarf an der Oberfläche während der Bauarbeiten ist gering. Die Anwohner sowie der Verkehr werden nicht gestört. Schäden an angrenzenden Bauwerken, Bäumen, Bewuchs und Leitungen werden vermieden; Grundwasser muss nicht abgesenkt werden. Eine Übersicht der Baukosten der Fahrrohrleitung im Vergleich mit einer zweispurigen Autobahnerweiterung sowie einem Verkehrstunnel im städtischen Bereich ist in der Tabelle aufgeführt.

Cargocap wirtschaftlich bewertet

Bereits in mehreren Studien und Gutachten ist das neuartige Verkehrssystem Cargocap auf seine Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit hin analysiert worden [4, 6, 7, 8]. Die jüngste und umfassendste Untersuchung stellt eine im Jahre 2009 erarbeitete Marktpotenzial-Analyse dar, in der ein interdisziplinäres Projektteam aus Wirtschaftswissenschaftlern, Wirtschaftsprüfern, Juristen, Bauingenieuren und Maschinenbauern die wesentlichen Fragen bezüglich einer Umsetzung des neuartigen Transportsystems in die Realität untersucht hat [2]. Das Projektteam untersuchte beispielhaft eine Ruhrgebietsstrecke zwischen Dortmund und Duisburg mit einer Länge von etwa 85km, mit 24 Stationen und 2 parallel geführten Richtungs-Fahrrohrleitungen. Dabei galt es festzustellen, unter welchen Bedingungen diese Beispielstrecke wirtschaftlich betrieben und eine private Investition in diese neue Infrastruktur erwartet werden kann. Die Investitionskosten inklusive Fördertechnik und Caps kommen auf 782 Millionen Euro. Die vollständige Inbetriebnahme könnte bereits nach sechs bis acht Jahren erfolgen. Als Kriterium diente eine Transportzielmenge, die die Break-Even-Größe darstellt, die mindestens erreicht werden muss, um die Renditeforderungen der Kapitalgeber erfüllen zu können. Um wirtschaftlich zu arbeiten, müsste der Analyse zufolge das System etwa 15 Prozent der systemaffinen Stückgüter des Jahres 2007 entlang der betrachteten Strecke übernehmen. Bei dieser Transportmenge ist das Fahrrohrleitungsnetz erst zu zehn Prozent ausgelastet und in der Lage, weitere Güter zu akquirieren, wodurch die Wirtschaftlichkeit ebenso steigt wie bei einer zunehmenden Netzwerkbildung der Fahrrohrleitungen. Betriebswirtschaftlich unberücksichtigt blieben in der Marktpotenzial-Analyse [2] sämtliche externen Kosten, bei denen Cargocap gegenüber dem Straßenverkehr günstiger abschneidet. Dazu gehören Folgekosten hervorgerufen zum Beispiel durch Staus, Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung, Klimaveränderung, Natur- und Landschaftsverbrauch. Diese sind typisch für den oberirdischen Straßengüterverkehr, fallen bei dem unterirdischen Transport-System indes nicht an.

Infrastrukturprojekt juristisch bewertet

Der Durchbruch guter Ideen scheitert in Deutschland häufig aus rechtlichen Gründen. Bei Cargocap handelt es sich um ein Infrastrukturprojekt mit vergleichsweise geringem juristischem Konflikt-Potenzial. Da es sich weder um ein Straßen-, noch um ein Eisenbahnprojekt oder eine Energieleitung und auch nicht um eine Pipeline handelt, greift keines der bestehenden fachgesetzlichen Planfeststellungserfordernisse. Das bedeutet, dass weder die aufwendigen Verfahrensfolgen noch die anspruchsvollen materiellen Kriterien des Fachplanungsrechts zu beachten sind. Vielmehr ist lediglich der allgemeine raum- beziehungsweise bauplanungs- und bauordnungs- sowie umweltrechtliche Rahmen einzuhalten; mit Grundstückseigentümern oder den zuständigen Straßenbaulastträgern müssen Nutzungsvereinbarungen getroffen werden. Damit ist das Infrastrukturprojekt auch aus juristischer Sicht einfach umzusetzen [2, 9].

Leitungsnetz für Güter

Heute ist es für Haushalte, Gewerbe- und Industrieunternehmen selbstverständlich, an Leitungsnetze für Strom, Wasser, Gas, Fernwärme und Abwasser angeschlossen zu sein. Cargocap bietet die Chance, mittels unterirdischer Fahrrohrleitungen nicht nur Stadtzentren miteinander zu verbinden, sondern netzwerkartig Ballungsräume und Großstädte bis zum Fließband einer Fabrik oder zum Regal eines Warenhauses für den Gütertransport zu erschließen.

Literatur

[1] NN: Tore zur Welt, LOG 4/2008

[2] Stein, D. et al. (2009): CargoCap - Automatischer Gütertransport im Untergrund - Markt-Potenzialanalyse am Beispiel einer Ruhrgebietstrecke, Bochum

[3] Stein, D.; Schößer, B.: CargoCap - Eine Vision wird Realität; Tunnel (2002), H. 3

[4] Stein, D. et al. (2002a): Transport- und Versorgungssysteme unter der Erde, Abschlussbericht des interdisziplinären Verbundprojektes IV A 5 - 201 001 98 des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW

[5] Stein, D. (2003): Grabenloser Leitungsbau, Ernst & Sohn, Berlin

[6] Kersting, M. (2002): Subterrestrische Gütertransporte in Ballungsgebieten - Ökonomische Rahmenbedingungen und Potenziale, (Rufis-Studien Nr. 4/2002), Hagen, ISL-Verlag

[7] Kersting, M.; Klemmer, P; Stein, D. (2004): CargoCap - wirtschaftliche Transportalternative im Ballungsraum; Internationales Verkehrswesen (56), Nr. 11

[8] Gutachten der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG), Berlin, dem Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung GmbH (ZLU) und des Ruhr-Forschungsinstitutes für Innovations- und Strukturpolitik e.V. (Rufis); (2005)

[9] Pielow, Joh.-Christian (2009): CargoCap-Marktpotenzialanalyse - Juristische Bewertung der anvisierten Pilotstrecke („Ruhrgebietstrasse“)

[10] ILV - Institut für Logistik und Verkehrsmanagement GmbH, Ottobrunn, Das Münchner Modell herausgegeben von Claus C. Berg - Ottobrunn: ILV, 1999 (Schriftenreihe Verkehr und Logistik: Bd. 1), Seite 63

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