Biologische Rohstoffquelle Funktionsweise von Algenabbau entschlüsselt

Forschern ist es erstmals gelungen, den kompletten Abbauweg eines wichtigen Polysaccharids zu verstehen.

Bild: DFG
11.07.2019

Algen könnten in Zukunft zum wichtigen Rohstoff werden – wenn man ihre Chemie versteht. Ein internationales Forschungsteam hat nun entschlüsselt, wie Algen-Biomasse zerlegt wird.

Algen sind die Basis des Ökosystems im Meer. Sie speichern mehr Kohlenstoff als alle Landpflanzen zusammen. Die Kohlenhydrate der Algen werden von Bakterien abgebaut, dadurch werden sie zur wichtigen Energiequelle für die gesamte marine Nahrungskette. Was bei diesem Abbau von Algen-Biomasse chemisch genau passiert, war bisher allerdings unbekannt. Nun ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, den kompletten Abbauweg eines wichtigen Polysaccharids zu analysieren und zu verstehen.

Eine ganze Palette von Enzymen ist dafür notwendig, ihre biochemische Funktion konnte nun erstmals aufgeklärt werden. Mit diesem Wissen wird es nun möglich, Algen als Rohstoffquelle zu nutzen: Sie lassen sich für Fermentationen einsetzen, für die Herstellung wertvoller Arten von Zucker oder in Zukunft sogar auch für spezielle Bio-Kunststoffe. Das übergeordnete Ziel ist eine umweltschonende Kreislaufwirtschaft, in der nachwachsende Rohstoffe möglichst vielfältig genutzt werden.

Überraschungen bei der Molekülzerlegung

Den meisten Menschen fallen Algen normalerweise eher unangenehm auf – etwa dann, wenn sie in Küstennähe massenhaft wuchern. In Zukunft könnten Algenteppiche jedoch als willkommener Ausgangsstoff für die Industrie angesehen werden. „Um Algen zu nutzen, muss man die großen Moleküle, die sie produzieren, in verwertbare Einzelteile zerlegen“, erklärt Christian Stanetty vom Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien. „Das ist ein hochkomplizierter Vorgang – aber zum Glück haben wir die Natur als Vorbild: Bestimmten Bakterien gelingt das nämlich ganz ausgezeichnet.“

Das internationale Forschungsteam analysierte, wie das Meeresbakterium Formosa agariphila das Polysaccharid Ulvan abbaut, welches von der Alge Ulva produziert wird. Dieser Abbauprozess ist ein kleines chemisches Kunststück: In mehreren Schritten und unter Einsatz von zwölf verschiedenen Enzymen wird das Ausgangsmolekül in immer kleinere Puzzleteile zerlegt. „Unsere Aufgabe an der TU Wien war es, mithilfe von Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) sowie Massenspektrometrie zu klären, wie diese Puzzleteile genau aussehen“, sagt Stanetty.

Dabei hätte es einige Überraschungen gegeben, manche der Zerlegungsprodukte hätten anders ausgesehen als erwartet. „Das zeigte uns dann, dass die Bakterien beim Abbau des Zuckers andere chemische Pfade einschlagen als gedacht.“

Auf diese Weise ließ sich auch herausfinden, welche Enzyme die Bakterien in welchem Schritt nutzen. „Damit verstehen wir nicht nur, wie diese Mikroorganismen Zugang zu dieser Nahrungsquelle erhalten. Die nun verfügbare Toolbox einer ganzen Palette an neuen Biokatalysatoren eröffnet jetzt die Möglichkeit, dieses komplexe marine Polysaccharid gezielt als Rohstoffquelle für Fermentationen zu verwenden“, sagt Prof. Uwe Bornscheuer von der Universität Greifswald.

Ziel: Kreislaufwirtschaft biogener Rohstoffe

Der Einsatz von Algen zur Synthese von Kohlenwasserstoffen ist völlig CO2-neutral. Wenn es gelingt, auf diese Weise Produkte zu erzeugen, die bisher auf Basis fossiler Rohstoffe produziert werden, wäre das ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz. „Das ist absolut realistisch“, glaubt Prof. Marko Mihovilovic von der TU Wien. Vorerst werde man eher einfache Produkte nutzen, etwa spezielle Arten von Zucker, beschreibt der Professor. „Aber je besser wir die Chemie dahinter verstehen, desto besser wird es gelingen, diese Algen auch als Ausgangsstoffe komplizierter Synthesen zu nutzen, bis hin zu Bioplastik.“

Besonders wichtig für den Erfolg war die interdisziplinäre Zusammenarbeit: "Wissenschaftlich derart komplexe Fragestellungen kann man nur gemeinsam beantworten", betont Marko Mihovilovic. "Schon lange arbeiten wir mit unseren Partnern aus Deutschland sehr erfolgreich zusammen. Das werden wir auch in Zukunft fortsetzen – so gelingen wesentliche Schritte vorwärts, hin zu einer nachhaltigen Chemie, die eine echte, ökologisch sinnvolle Kreislaufwirtschaft ermöglicht."

Zum Projekt

Das Forschungsprojekt wurde von der Universität Greifswald geleitet; beteiligt waren außerdem die TU Wien, das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, die Universität Bremen, das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften Marum und die Biologische Station Roscoff aus Frankreich.

Die Forschungsarbeit erschien im Original in der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology.

Bildergalerie

  • Christian Stanetty, TU Wien: „Unsere Aufgabe an der TU Wien war es, mithilfe von Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) sowie Massenspektrometrie zu klären, wie diese Puzzleteile genau aussehen.“

    Christian Stanetty, TU Wien: „Unsere Aufgabe an der TU Wien war es, mithilfe von Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) sowie Massenspektrometrie zu klären, wie diese Puzzleteile genau aussehen.“

    Bild: Clemens Cziegler, TU Wien

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