Interview über die Transformation zum Lösungsanbieter „Frühzeitig Kompetenz aufbauen“

Martin Buck, Vorstandsvorsitzender der ifm-Unternehmensgruppe, spricht über die Transformation von Unternehmen vom Komponentenhersteller zum Lösungsanbieter.

Bild: ifm electronics
28.04.2020

Vom Komponentenhersteller zum Lösungsanbieter: Diesen Weg schlagen viele Automatisierer ein. Doch ganz so einfach lässt sich der Schalter nicht umlegen, wenn nicht frühzeitig die Weichen dafür gestellt wurden. Wie im Zeitalter der Digitalisierung die Transformation erfolgreich gelingt, erklärt Martin Buck, Vorstandsvorsitzender der Ifm-Unternehmensgruppe, im Gespräch mit A&D.

Die letzten 45 Jahre war Ifm Komponentenhersteller von Sensoren und Systemen zur Automatisierung – und jetzt? Verkaufen Sie Sensoren, die verstehen, wie es der Maschine geht?

Wir haben eine Vielzahl von Sensoren für die zustandsorientierte Instandhaltung. Diese Sensoren stellen unter anderem über eine Vibrationsanalyse den Zustand der Maschine beziehungsweise den Antrieben in der Maschine fest. Entsprechend haben wir aber bereits Anfang der 2000er Jahre begonnen, „Intelligenz“ in die Sensoren einzubauen. Aktuell ermöglicht die verfügbare Rechenleistung im Sensor natürlich nochmals viel bessere Analysemöglichkeiten direkt an der Quelle. Was sich aber stark verändert hat über die vergangenen Jahre, ist die Resonanz vom Markt. Waren wir am Anfang die Treiber, die Überzeuger beim Kunden, dann ist es seit rund drei Jahren genau andersherum. Kunden fragen aktiv nach smarten Lösungen, die ihre Maschinen überwachen. Das zeigt uns wieder: Wir müssen uns stets frühzeitig mit Trendthemen beschäftigen und Kompetenz für unsere Kunden aufbauen – das zahlt sich immer wieder aus.

Bei Trendthemen kommt schnell Künstliche Intelligenz zur Sprache…

… und die KI ist für Ifm natürlich ein wichtiges Thema, in das wir wieder frühzeitig investieren – auch durch zugekaufte Beteiligungen. Ich persönlich glaube zwar, KI revolutioniert jetzt nicht die Welt von heute auf morgen, aber für einige Applikationen wird die Technologie sehr hilfreich sein.

Egal ob KI oder Intelligenz im Sensor – die Software nimmt immer eine entscheidendere Rolle ein. Wie gewährleisten Sie, dass Ihre Hardware nicht Commodity und austauschbar wird?

Auf der einen Seite wird es immer Produkte geben, die wenig Software beinhalten werden, beispielsweise einfache Positionssensorik. Andererseits wächst aber die Funktionalität der Sensoren. Nehmen wir exemplarisch einen Strömungssensor, der dann eben nicht nur eine Strömung ausgibt, sondern auch die Temperatur übermittelt. Selbst Positionssensoren haben das Potenzial, künftig neben dem reinen Positionssignal auch noch ein Abstandssignal zu übermitteln. Bei industriellen Kameras ist die Software bereits jetzt von entscheidender Bedeutung, um aus dem Bildmaterial die entscheidende Information zu ziehen. Ich habe aber keine Sorge, dass uns Innovationsmöglichkeiten am Sensor ausgehen. Gerade durch die Digitalisierung entsteht ein Kommunikationskanal zum Sensor, der sehr viel neues Innovationspotenzial am Sensor ermöglicht. Die entscheidende Frage in Zukunft ist aber weder Hardware oder Software, sondern ob die angebotene Lösung das Kundenproblem wirklich schnell und problemlos beseitigt.

Wenn wir dennoch über Software sprechen, dann haben gerade viele kleine Mittelständler Probleme, die entsprechende Kompetenz aufzubauen. Haben Sie schon sehr frühzeitig Ressourcen in Softwareentwicklungsabteilungen investiert?

Hier haben wir tatsächlich schon sehr frühzeitig mit dem Aufbau von interner Software-Kompetenz begonnen. Diese bauen wir seit Anfang 2000 sukzessive aus – auch unterstützt durch einige Akquisitionen. So sind wir jetzt Spezialisten rund um Connectivity, Schnittstellen und Handling von Daten aller Art. Wir wissen also, wie die Sensorsignale verlustfrei und durchgängig über alle Ebenen und Protokolle bis hoch in die verbreiteten Cloud-Plattformen transportiert werden. Diese Software-Kompetenz bündeln wir in der eigenen Gesellschaft Ifm solutions. Hier geht es ausschließlich um Lösungen und Entwicklungsarbeit rund um Software. Ein entscheidend wichtiger Aspekt der Ifm solutions gmbh ist auch der Bereich Service, denn wenn Sie Software anbieten, dann müssen Sie agil und schnell Kundenwünsche umsetzen können, Updates bereitstellen und einfach anders denken als bei reinen Hardware-Produkten.

Sie erwähnten die verbreiteten Cloud-Plattformen. Haben Sie hier nicht die Sorge, nur einmal den Sensor zu verkaufen und die Plattformanbieter machen dann über die generierten Daten über Jahre Umsatz?

Ich glaube im Moment kann noch niemand genau beurteilen, wie sich künftig die Umsatzkanäle entwickeln werden. Die Plattformanbieter werden sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Aber ich denke, wir dürfen Anbieter von Cloud-
Infrastrukturen und Hersteller industrieller Lösungen wie Ifm nicht im Wettbewerb sehen, sondern sich ergänzend. Beispielsweise werden auch wir unseren Kunden eine Cloud anbieten, aber nicht „selbst gebastelt“, sondern auf Basis einer marktführenden Infrastruktur. Und ganz entscheidend: wir setzen dabei immer auf offene Schnittstellen, um den Kunden nicht in eine proprietäre Lösung zu zwängen. Schließlich sollen die Anwender immer die Cloud ihrer Wahl nutzen können. Und um nochmals auf Ihre Frage der Umsätze zurückzukommen. Es ist gar nicht sinnvoll, alle Daten aus der Produktion einfach platt in die Cloud hochzuladen – alleine schon aus Gründen mangelnder Bandbreiten und Kosten für die Cloud-Nutzung. Wir müssen also sehr früh anfangen, Daten zu interpretieren und nur wichtige Informationen zu aggregieren. Und genau diese Aggregation der Daten ist ein wichtiges Geschäft. Und darum glaube ich, dass es künftige eine partnerschaftliche Koexistenz geben wird zwischen Automatisierern und Infrastrukturanbietern.

Was sind für Sie derzeit die größten Hürden bei der Umsetzung der Digitalisierung – der Bandbreitenausbau und Fachkräftemangel?

Das sind auf jeden Fall schon mal zwei wichtige Themen! Der Fachkräftemangel begleitet viele Industrieunternehmen bereits seit Jahren, insbesondere die Suche nach Software-Spezialisten dauert oft sehr lange und bremst sicherlich einige Unternehmen bei ihren Digitalisierungsthemen aus. Breitband ist ein anderes Thema, das aus meiner Sicht ebenfalls sehr wichtig ist. Ich glaube, man muss die Breitbandinfrastruktur einfach zur Verfügung stellen, denn die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle werden automatisch kommen. Ich vergleiche es immer mit einer Straße: Ich kann nicht erwarten, dass Speditionen entstehen, bevor die Straßen da sind. Sobald aber die Infrastruktur vorhanden ist, werden sich auch die Unternehmen ansiedeln. Genauso sehe ich es mit der Breitbandinfrastruktur.

Sind Ihre Kunden der Maschinenbau-Branche überwiegend noch ganz am Anfang, was den Digitalisierungsgrad ihrer Maschinen betrifft?

Ganz am Anfang würde ich nicht sagen. Meiner Einschätzung nach ist die Branche bereits mit einer guten Geschwindigkeit unterwegs. Wenn ich jetzt alleine unser Geschäft nehme, so haben wir in der Zwischenzeit bald eine zweistellige Millionenzahl an IO-Link-Sensoren im Markt. Hinzu kommen noch unsere IO-Link Master, die heute im Feldeinsatz ihre volle Funktionalität oft noch gar nicht nutzen. Es entsteht also jetzt überall bei den Kunden die Infrastruktur und die Möglichkeit, vollumfänglich Daten aus den Maschinen einzusammeln. Und das ist schon mal eine wichtige Grundvoraussetzung für die Digitalisierung. Der nächste Schritt ist dann, mit den Daten die entsprechenden Auswertungen und Analysen zu machen. Auch hier müssen wir uns in Deutschland und Europa nicht verstecken und sind auf einem guten Weg.

Wie unterstützen Sie derzeit Ihre Kunden, Mehrwert aus den Daten zu generieren?

Hier haben wir mit dem Smartobserver eine entsprechend Software-Lösung, die alle Daten einliest und Basisanalysen durchführt. Die Software zeigt live die aktuellen Prozesswerte sowie deren Werteverlauf. Zur Umsetzung einer Alarm-Eskalations-Strategie lassen sich Alarme für präventive Wartungsaufgaben einstellen. In einer Cockpit-Anzeige hat der Anwender dann komfortabel alle Daten im Blick. Auch eine Analyse durch Korrelation mehrerer Prozesswerte ist möglich. Der Maschinenbetreiber oder Servicetechniker kann somit sehr einfach eine präventive Wartung seiner Maschinen durchführen. Wichtig ist dabei wieder: Unsere Software-Lösung basiert auf offenen Schnittstellen und standardisierten Protokollen. Wir können damit unsere Kunden sehr einfach und komfortabel unterstützen, Mehrwert aus den Daten zu generieren. Genauso einfach können Kunden aber jede andere Visualisierungs- oder Analyselösung von Drittanbietern einsetzen.

Haben sich durch Industrie 4.0 schon erste Ihrer Geschäftsmodelle geändert?

Was sich schon drastisch geändert hat, ist, dass wir plötzlich nicht mehr nur Komponentenlieferant sind, sondern eben auch Software verkaufen. Und Software unterscheidet sich stark von den Komponenten: wir müssen Lizenzen managen, Wartungsverträge abschließen sowie einen 24/7 Support bereitstellen. Wenn man als klassischer Komponentenlieferant denkt, so gibt es einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem das Produkt fertig und fehlerfrei sein muss; dann wird es Jahre und oft Jahrzehnte unverändert verkauft. Software tickt ja ganz anders. Hier gibt es regelmäßig Updates und Patches, selbst wenn die Software längst im produktiven Einsatz ist. Anwendern kann man neue Features anbieten, mit Vorabversionen bei interessierten Kunden schon Feedback einsammeln und es lassen sich ganz neue Monetarisierungsmodelle entwickeln. Das ganze Geschäft mit Software ist ein deutlicher Wechsel im Vergleich zu unseren bisherigen Geschäftsmodellen.

… und denken Sie auch über Modelle nach, statt Sensoren nur die qualifizierten Daten, die sie liefern, zu verkaufen?

Ja klar, sowas sind mögliche Modelle, die man dann basierend auf einer offenen und skalierbaren Infrastruktur, basierend auf IO-Link und standardisierten Schnittstellen, in Zukunft verstärkt machen kann und auch machen wird.

Wenn wir auf Ihr Kerngeschäft mit Sensorlösungen schauen: Welche ihrer adressierten Branchen sind Sorgenkinder, welche erfreuen Sie?

Ein Sorgenkind ist natürlich ganz klar alles, was mit der Automobilindustrie zusammenhängt. Hier herrscht nach wie vor eine große Verunsicherung bei den Kunden, auf welche Technologie man als nächstes setzen soll. Der Diesel ist in Verruf geraden, Benziner haben einen höheren CO2-Ausstoß und bei Elektrofahrzeugen bremst der meist höhere Anschaffungspreis, die Reichweite und Ladeinfrastruktur die Kauflust aus. Unsere Sensoren benötigt man natürlich in allen Fabrikstraßen, egal welcher Antrieb im Fahrzeug steckt. Wir spüren aber die Auswirkung durch den reduzierten Bedarf an Werkzeugmaschinen – denn werden weniger Verbrennungsmotoren gebaut, braucht man auch weniger Werkzeugmaschinen. Ein sehr spannendes und zukunftsträchtiges Geschäft sind dafür fahrerlose Transportsysteme sowie generell der Bereich Logistik und alles rund um Robotik. Gerade das Feld der Bereichsüberwachung, das wir mit unseren neuen 3D-Kameras adressieren, wird uns hier neue Wachstumsfelder eröffnen.

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