Gebäudeflächen nutzen Erste hydroaktive Gebäudefassade

HydroSkin-Prüfstand am adaptiven Hochhaus auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart mit ersten hydroaktiven Fassadenprototypen und umfangreicher Messtechnik.

Bild: Sven Cichowicz / Universität Stuttgart
25.10.2022

Die Glasfassade eines Hochhauses kann so heiß werden, dass man darauf Spiegeleier braten kann – ein wesentlicher Faktor für die Überhitzung unserer Städte. Andererseits produzieren Hochwasserereignisse wie sintflutartige Monsunregen jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Eine Lösung für beide Probleme wurde nun bei der Universität Stuttgart vorgestellt.

Das Luftbild der Metropole Singapur, aufgenommen mit einer Wärmebildkamera, zeigt viele orange-rote Flecke und nur einen grün-blauen. Die roten Zonen repräsentieren bebaute Gebiete. Dort sind die Temperaturen um rund 10 Grad höher als in den „grünen“ Parks.

Der Grund dafür: Über natürliche Oberflächen verdunsten rund 60 Prozent des eintreffenden Regenwassers und sorgen so für Abkühlung. Versiegelte Straßen- und Gebäudeoberflächen lassen dagegen nur 10 Prozent Wasserverdunstung zu.

Die restlichen 90 Prozent gelangen in die Kanalisation und führen zu einem weiteren weltweiten Problem: verheerende Überschwemmungen durch Starkregen. Steigende Urbanisierung, bauliche Verdichtung und zunehmende Flächenversiegelung verschlimmern – neben den Auswirkungen des Klimawandels – Hitze- und Hochwasserrisiken in unseren Städten.

Eine Ertüchtigung der Kanalisation zur Bändigung der stetig zunehmenden Wassermassen würde einen enormen baulichen Aufwand mit sich bringen. Zudem sei dies in Zeiten knapper Ressourcen keine gute Lösung, meint Prof. Werner Sobek, bis 2020 Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart und früherer Sprecher des Sonderforschungsbereichs SFB 1244 Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen: „Hydroaktive Elemente dagegen stellen bei minimalem Ressourceneinsatz eine effektive Fassadenlösung zur Neutralisierung des städtischen Hitze-Insel-Effektes dar.“

Hohe Luftzirkulation fördert die Verdunstung

Das Kernelement der HydroSkin ist ein so genanntes Abstandsgewirke, zwei textile Lagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten und dadurch gut durchlüftet werden. Die hohe Luftzirkulation fördert die Verdunstung von Wasser und verstärkt den Kühleffekt der Fassade.

Das Gewirke ist an der Außenseite von einer wasserdurchlässigen Textilhülle umgeben, die nahezu alle Regentropfen eindringen lässt und gleichzeitig das Gewirke vor Verunreinigungen schützt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser in das untere Profilsystem ab. Von dort kann es, entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt im Gebäude genutzt, den Wasserverbrauch reduzieren. An heißen Tagen wird Wasser in das Fassadenelement zurückgeleitet, verdunstet dort und sorgt so für den natürlichen Kühleffekt.

„Dieses Fassadensystem stellt eine artifizielle Retentionsfläche zur Regenwasserrückhaltung und -verdunstung in der Gebäudefassade dar, die durch ihre optischen und haptischen Qualitäten nicht nur unglaublich schön ist, sondern zugleich einen Meilenstein für die Anpassung der gebauten Umwelt an die akuten Herausforderungen unserer Zeit darstellt“, erklärt Christina Eisenbarth, Akademische Mitarbeiterin am ILEK und Erfinderin von HydroSkin.

Potenzial von Hochhausfassaden

Hochhäuser zeigen besonderes Potenzial zur Anwendung hydroaktiver Fassaden – und das nicht nur aufgrund ihrer großen Fassadenfläche. Zum einen trifft der Regen mit zunehmender Höhe als Schlagregen schräg auf die Fassade, so dass ab etwa 30 m Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche. Zum anderen verstärken die hohen Windgeschwindigkeiten den Verdunstungskühleffekt und es entsteht ein kühler Luftstrom, der abwärts in den Stadtraum zieht.

Erste HydroSkin-Elemente werden derzeit am weltweit ersten adaptiven Hochhaus auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart getestet, dem Flaggschiff des Sonderforschungsbereichs 1244 und ausgewähltes Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA).

„Die Ergebnisse sind vielversprechend. Bereits in Laboruntersuchungen konnten wir circa 10 Grad Temperaturreduktion durch den Effekt der Evaporation nachweisen. Die ersten Messungen am Hochhaus Anfang September weisen auf ein noch deutlich höheres Kühlpotenzial hin“, erklärt Eisenbarth.

„2023 wird eine weitere Etage des adaptiven Hochhauses D1244 mit HydroSkin-Elementen realisiert werden. Nach und nach soll jedes Geschoss des Gebäudes mit neu entwickelten und innovativen Fassaden ausgestattet werden, die einen Beitrag zu mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz leisten werden“, verkündet ILEK-Leiter Prof. Lucio Blandini, verantwortlicher Planer für das D1244 und stellvertretender Sprecher des SFB 1244.

Der Einsatz der hydroaktiven Fassadenelemente bleibt jedoch nicht auf das Forschungshochhaus beschränkt: Da die HydroSkin-Elemente sehr leicht sind, können sie an jeder Fassade im Neubau wie auch im Gebäudebestand nachträglich angebracht werden.

Bildergalerie

  • Blick durch ein HydroSkin-Element

    Blick durch ein HydroSkin-Element

    Bild: Sven Cichowicz / Universität Stuttgart

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