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Interview über Thin Clients in der Industrie „Standardrechner werden nicht ausreichen“

Pepperl+Fuchs SE

Sind Thin Clients nur eine Brückentechnologie oder gehört ihnen die Zukunft? Natalie Hangel, Product Marketing Manager HMI bei Pepperl+Fuchs, ist überzeugt: „Die Thin-Client-Technologie wird auch in Zukunft das beste Medium für den Datenzugriff darstellen.“

Bild: Pepperl+Fuchs
10.03.2020

Thin Clients werden in der Industrie immer beliebter, sei es in der Leitwarte oder im Feld. Im Rahmen der SPS 2019 hat Pepperl+Fuchs einen weiteren Box Thin Client vorgestellt. Anlässlich dessen haben wir mit Natalie Hangel, Product Marketing Manager HMI bei Pepperl+Fuchs, über die Vorzüge dieser Technologie gesprochen und wie zukunftssicher sie tatsächlich ist.

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Florian Mayr, P&A:

Pepperl+Fuchs setzt schon seit Jahren auf die Thin-Client-Technologie für den Einsatz im Feld und in der Leitwarte. Was genau sind denn deren Vorteile?

Natalie Hangel:

Bei einem System, das auf Thin Clients setzt, ist die entsprechende Applikation auf einem zentralen Server gehostet. Lediglich der Zugriff erfolgt über ein Thin-Client-Gerät. Das sorgt für einen geringen Einstellungsaufwand und erhöht gleichzeitig die Flexibilität sowie Systemverfügbarkeit. Denn Thin Clients in einer Netzwerkstruktur lassen sich sehr schnell einrichten und konfigurieren; Updates können jederzeit von zentraler Stelle ausgerollt werden und auch die Einbindung von Backup-Servern ist problemlos möglich.

Und bei Ausfällen?

Fällt ein Thin Client aus, kann dieser schnell ersetzt und sofort wieder mit dem Server verbunden werden. Das minimiert die Ausfallzeiten erheblich. Die Langlebigkeit von Software und Hardware ist ein weiterer Vorteil. Da die Applikationen auf einem leistungsfähigen Server laufen, benötigen Thin Clients keine hochperformanten Komponenten oder Hardware­Updates. Das macht sie in der Anschaffung und im Unterhalt billiger als herkömmliche Industrie-PCs. Da außerdem die Wärmeentwicklung gering ist, brauchen sie keine Lüfter. Dadurch verlängert sich die Lebenszeit der Bauteile erheblich. Und: Thin-Client-Geräte lassen sich flexibel installieren, zum Beispiel in abschließbaren Containern oder im Schaltschrank.

Nun ist die Trennlinie zwischen Zero und Thin Clients sowie Industrie-PCs nicht wirklich scharf. Für welche Anwendungsfälle empfehlen Sie welche Lösung?

IPCs sind meist Hochleistungsrechner. Sie eignen sich deshalb vor allem für anspruchsvolle Stand-alone-Anwendungen. In der Leitwarte sind sie dagegen weniger sinnvoll. Hier lohnt sich der Einsatz eines zentralen, netzwerkbasierten Systems, mit dem man alle benötigten Geräte für den Datenzugriff individuell konfigurieren kann. Dazu bieten wir die entsprechenden Tools an, die den Administrationsaufwand erheblich verringern. Die Abgrenzung zwischen Thin Client und Zero Client ist da schon schwieriger. Was man allerdings festhalten kann: Zero Clients werden in der Regel für eine konkrete Anwendung geschaffen und unterstützen beispielsweise nur ein einziges Leitsystem. Damit sind sie zwar noch etwas schlanker, aber dafür nicht so flexibel wie unsere Thin Clients, die über sämtliche Protokolle angebunden werden können. Deshalb sind wir überzeugt, dass diese Technologie zukunftssicherer und flexibler ist.

Wie weit sind Thin Clients aktuell in der Industrie verbreitet?

Digitalisierung und Automatisierung schreiten in der Industrie immer stärker voran. In diesem Zuge erneuern viele Betriebe ihre Leitwarten oder führen neue Prozessleitsysteme ein. Dabei setzen sie zunehmend auf Thin Clients. Wir sehen also einen starken Trend, dass sich diese Technologie immer stärker verbreitet. Ganz klar ist aber: Der Umstieg findet in der Regel erst im Zusammenhang mit der Modernisierung oder der Digitalisierung der Anlage statt.

Gibt es auf Kundenseite auch Vorbehalte gegen Thin Clients?

Vorbehalte würden wir es nicht nennen. Unsicherheiten gibt es zum Beispiel wenn dem klassischen Automatisierer teilweise die darunterliegende IT-Technologie noch fremd erscheint. Wir versuchen dem jedoch durch die hohe Nutzerfreundlichkeit entgegenzutreten. Des Weiteren wird die Umstellung auf Thin Clients von den Prozessleitsystemherstellern befürwortet und vorangetrieben. Unsere Geräte sind dementsprechend auch größtenteils von den bekannten Herstellern qualifiziert. Wenn die Kunden also wissen, dass die Geräte mit den Prozessleitsystemen abgestimmt und ohne weitere Tests funktionstüchtig sind, ist es genau das, was sie wollen. Dazu kommt der Kostenaspekt. Denn Thin Clients sind für Unternehmen einfach die kostengünstigste Lösung.

Pepperl+Fuchs hat, gut ein Jahr nach dem BTC12, mit dem BTC14 einen weiteren Box Thin Client präsentiert. Auf dem Datenblatt sind die Unterschiede nicht allzu groß. Warum diese Neuentwicklung?

Bereits 2015 hat Pepperl+Fuchs mit dem BTC01 einen ersten Box Thin Client gemeinsam mit einem Prozessleitsystem-Hersteller entwickelt und auf den Markt gebracht. Wir haben uns nun dazu entschieden, aus dem BTC01 zwei Produkte zu machen, um unseren Kunden eine höhere Flexibilität bei der Installation zu geben. Speziell in Leitwarten oder Kontrollzentren haben wir einen hohen Bedarf für den Anschluss von vier Monitoren gesehen. Der BTC14 ist genau auf diesen Einsatzzweck spezialisiert. Er besitzt vier DisplayPort-Anschlüsse und genügend Rechenleistung für den Betrieb von vier UHD-Monitoren. Doch nicht jeder braucht vier Monitore. Deshalb haben wir mit dem BTC12 auch eine Variante für den Anschluss von zwei Monitoren entwickelt. Die Rechenleistung ist etwas geringer; dafür ist dieser Thin Client aber auch etwas günstiger.

Der BTC01 steht also vor der Abkündigung?

Genau, wie gerade erwähnt haben wir durch den BTC12 und den BTC14 zwei kompatible Nachfolger für den BTC01. Der Plan ist, den BTC01 im Juni dieses Jahres abzukündigen.

Der BTC12 und BTC14 sind also in erster Linie für den Einsatz in Leitwarten und Kontrollzentren vorgesehen?

Der BTC12 kann auch im Feld eingesetzt werden. Er ist allerdings nicht darauf ausgelegt, die speziellen Anforderungen in Prozessnähe beziehungsweise in den Zonen 1 und 2 zu erfüllen. Hierfür gibt es unsere VisuNet-Workstations, die für die unterschiedlichen Anwendungen – etwa im Bereich Life Science oder in der Lebensmittelindustrie – ausgelegt sind und in die bereits die passenden Monitore integriert sind. Kunden können die Workstations zudem individuell gestalten und mit den benötigten Peripheriegeräten ausstatten. Der BTC14 ist mit seinen vier DisplayPorts dagegen primär für Leitwarten und Kontrollräume konzipiert. Im Feld sehen wir keinen Bedarf für den Anschluss von vier Standardmonitoren.

In Zeiten von zunehmenden Cyber-Angriffen spielt die Security von Anlagen eine immer größere Rolle. Wie sicher ist denn die Thin-Client-Technologie?

Die Firmware RM Shell 5 stellt das erste Schutzschild dar, da sie das System vor unberechtigten Zugriffen schützt. Der Standardbenutzer kann nur die vorkonfigurierten Verbindungen nutzen. Die Systemeinstellung ist durch ein Passwort geschützt und nur den Administratoren vorbehalten. Zusätzlich laufen sämtliche Applikationen auf einem zentralen Server. Natürlich muss der Fokus darauf liegen, diesen bestmöglich abzusichern und für regelmäßige Updates zu sorgen. Auf den Thin Clients dagegen werden in der Regel keine Daten lokal eingespeist. Dank des Unified-Write-Filters werden außerdem alle im Cache befindliche Daten gelöscht, sobald ich das System reboote. Zudem verfügen unsere Thin Clients über eine integrierte Firewall und Dialogfilter, sodass nur festgelegte Webseiten geöffnet werden können.

Wie verfahren Sie mit den Security Patches?

Unsere Firmware, die VisuNet RM Shell 5, basiert auf Windows 10. Sobald ein neuer Security Patch von Microsoft zur Verfügung steht, wird dieser von uns aufgenommen, und wir stellen so schnell wie möglich einen Security Patch für die Firmware zur Verfügung. Auf Wunsch informieren wir unsere Kunden auch aktiv, sobald ein Update bereitsteht, und geben eine Empfehlung, wie dringlich die Installation ist und ob es sich um ein kritisches Sicherheitsupdate handelt.

Oftmals kommt die Gefahr gar nicht von außen, sondern entsteht durch die Unachtsamkeit des Personals – zum Beispiel, indem jemand einen infizierten USB-Stick benutzt…

Hier kommen die hohe Montageflexibilität und die hohe Operationstemperatur von bis zu 60 °C bei der BTC-Baureihe zum Tragen. Denn es ist möglich, die Box Thin Clients physisch wegzuschließen – etwa in einem Schaltschrank oder in einem abschließbaren Container und somit unerlaubten Gerätezugriff zu vermeiden. Die USB-Schnittstellen der Workstations befinden sich in einem komplett geschlossenen und verschraubten System. Ohne großen Aufwand ist kein Herankommen an die Schnittstellen möglich. Durch die Firmware lassen sich außerdem die USB-Ports gezielt sperren beziehungsweise sind diese bereits per Werkseinstellung gesperrt.

Braucht man für die Installation und die Wartung von Thin Clients spezielle Fähigkeiten und Fachleute?

Man muss kein IT-Spezialist sein, um unsere Thin Clients einzurichten und zu verwalten. Das geht sehr intuitiv, denn der Benutzer wird bei der Installation durch alle notwendigen Schritte geführt und erhält kurze Beschreibungen zu jeder Einstellungsmöglichkeit. Diese Benutzerfreundlichkeit der Firmware war ein Kernaspekt bei der Entwicklung.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von webbasierten Anwendungen – braucht es da überhaupt noch spezielle Thin-Client-Systeme oder reichen in Zukunft auch billigere Standard-PCs aus?

Die Anforderungen an die Hardware werden in der Industrie bestehen bleiben – gerade in Bezug auf die harscheren Umgebungsbedingungen und die Langzeitverfügbarkeit der Komponenten. Standardrechner werden hier auch in Zukunft nicht ausreichen. Und gerade für webbasierte Anwendungen sind Thin Clients aufgrund ihrer Flexibilität, Langlebigkeit und Sicherheit besonders gut geeignet. Mit einem Restricted Webbrowser und HTML-User-Interfaces bieten wir heute schon die notwendigen Funktionen für webbasierte Anwendungen an. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Thin-Client-Technologie auch in Zukunft das beste Medium für den Datenzugriff darstellen wird.

Welche Bedeutung haben der BTC12 und BTC14 für Ihr Portfolio?

Mithilfe der BTC-Reihe können wir unseren Kunden nun eine durchgängige Lösung anbieten. Angefangen haben wir ja mit Thin Clients für die Prozessindustrie, speziell für den explosionsgeschützten Bereich. Mit den BTCs haben wir nun ein abgerundetes Portfolio von der Ex-Zone im Feld bis hin zur Leitwarte. Alle Geräte – egal ob Workstation oder BTC – nutzen dieselbe Firmware, sie sind untereinander kompatibel und können dank des Verwaltungstools ganz einfach und benutzerfreundlich gemanagt werden. Das ist ein großer Vorteil für unsere Kunden. Darüber hinaus können wir mit dem BTC12 und BTC14 nun auch Kunden ansprechen, für die wir bislang keine passenden Produkte im Angebot hatten. Denn Leitwarten und Kontrollzentren gibt es in fast jedem produzierenden Unternehmen. Unsere BTCs können sowohl beim Pizzalieferanten, der in seiner Abwicklung mit Staub zu kämpfen hat, eingesetzt werden als auch in der Leitwarte eines Großkraftwerks.

Dieses Interview war Teil unserer Titelreportage der P&A-Ausgabe 1.2020 . Hier geht es zur zugehörigen Titelstory .

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