Fachbeitrag Durchgängig automatisiert


Biogasanlagen als virtuelle Kraftwerke: Um am Strommarkt möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften, ist deutlich mehr an technischer Ausrüstung in Biogasanlagen notwendig. Ein Unternehmen aus Schleswig-Holstein hat schon Erfahrung damit.

19.11.2013

Der Biogasanlagen-Markt unterliegt spürbaren wirtschaftlichen und technischen Veränderungen. Mit einem Engineering-Tool lassen sich steuerungstechnische Vorteile nutzen, die bislang nur sehr aufwendig zu realisieren waren.

Von über Tausend Biogasanlagen in Deutschland im Jahr 2001 stieg deren Anzahl rasant auf weit über 7500 innerhalb von zehn Jahren. Der jahrelang aufgeheizte Markt für Biogasanlagen hat sich inzwischen jedoch wieder abgekühlt. Dennoch bildet diese Energieform nach wie vor eine wichtige Säule innerhalb eines „sauberen“ Energie-Mixes.

Allerdings verändert sich zurzeit der Markt für ökologische Energieerzeugung und durchläuft technologische Anpassungen, um den geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Neben dem Binnenmarkt gewinnt auch der Export von Biogasanlagen zunehmend an Bedeutung. Die Strommärkte sorgen zudem für technologische Veränderungen für einen effizienten Betrieb.

Tool für effiziente Anlagensteuerung

So setzt zum Beispiel North-Tec Maschinenbau auf das Konzept eines möglichst durchgängigen Gesamtsystems, wie es Siemens mit seinem Konzept „Totally Integrated Automation“ (TIA) seit langem verfolgt. Die offene Systemarchitektur für ganzheitliche, durchgängige Automatisierungslösungen wird seit 2010 durch das Engineering-Framework „TIA Portal“ ergänzt. Diese Software optimiert Betriebs-, Maschinen- und Prozessabläufe und ist dank ihrer Benutzeroberfläche, Funktionen und Datentransparenz sehr benutzerfreundlich.

In der Praxis bedeutet das, dass auf ein und derselben Plattform Programmierung und Parametrierung der Steuerungs- und Antriebstechnik erfolgen, die Konfigurierung der industriellen Schalttechnik sowie das Erstellen der Visualisierung. Vorteile sind dabei das gleiche „Look and Feel“ sowie die zentrale Datenhaltung für die einzelnen Editoren. Werden beispielsweise Anpassungen in einem Editor vorgenommen, gelten diese �?nderungen automatisch auch für alle anderen. Allein durch die prozess- und steuerungstechnische Optimierung erreicht North-Tec einen Effizienzgewinn bei bestehenden Biogasanlagen von mindestens 10 bis 15 Prozent. Im entsprechenden Maßnahmenkatalog stehen unter anderem die Verweildauer des Substrats oder auch die bessere Durchmischung im Fermenter.

Aus Biogasanlagen werden virtuelle Kraftwerke

Bei der Stromerzeugung hat sich die Komplexität der eingesetzten Technik mit der Zeit enorm erhöht, weil Anlagenbetreiber heute zunehmend auf die Direktvermarktung des Stroms setzen. Das heißt: Nicht die kontinuierliche Stromeinspeisung ins Netz, sondern die ökonomisch optimierte Stromerzeugung macht dabei das Rennen.

Aufgrund der aus technologischer Sicht deutlich gestiegenen Ansprüche setzt North-Tec standardmäßig eine CPU-Steuerung ein, mit der sich einerseits gewisse Subsysteme über Profibus einbinden lassen. Andererseits gelingt über Profinet oder Industrial Ethernet die einfache Kommunikation innerhalb der Anlage sowie mit übergeordneten Systemen. Auf diese Weise lassen sich virtuelle Kraftwerke einfach im Strommarkt etablieren. Über das Internet sind die Biogasanlagen als virtuelle Kraftwerke mit den entsprechenden Marktteilnehmern verlinkt und lassen sich bedarfsabhängig nutzen. Von der Steuerung geht es in die Anlagentechnik, die an vielen Stellen von TIA gleichermaßen profitiert.

Aufgrund der Möglichkeiten, die das TIA-Portal eröffnet, nutzt das Unternehmen im Vergleich zu früher eine komplett andere Visualisierung. Während ein Touch-Panel und die TIA-Visualisierung auf einem Anlagen-PC eine Bedieneroberfläche für den Vor-Ort-Betrieb erhält, gibt es für die eigenen Techniker eine zusätzliche Serviceoberfläche, die mit dem TIA-Portal programmiert wurde. Dieser bedienen sich die Techniker im Leitstand bei North-Tec, um sämtliche Biogasanlagen weltweit per Fernwirktechnik unterstützen zu können.

Möglich wird das, weil die eingesetzten Komponenten aufeinander abgestimmt sind und somit die Datentransparenz bis auf die Feldebene - also Sensoren und Aktoren - gegeben ist. So bündelt beispielsweise die dezentrale Peripherie „Simatic ET 200pro“ die vielen Sensoren in einer Biogasanlage. Diese kann aufgrund ihrer Schutzart IP65 platzsparend außerhalb des Schaltschranks platziert werden.

Entscheidend für den Einsatz war jedoch die drastische Einsparung beim Verkabelungsaufwand. Monteure sparen so vor Ort bis zu drei Tage, denn statt aufwendiger Kabelverbindungen müssen nur noch die vorkonfektionierten Kabel mit beidseitigem M12-Stecker angeschlossen werden. Auch Verdrahtungsfehler lassen sich so reduzieren. Temperaturfühler, Endlagenschalter und die gesamte Pneumatik können vergleichsweise komfortabel in die Steuerungstechnik eingebunden und kommunikationstechnisch per Profinet mit der SPS verknüpft werden.

Auch die Schalttechnik mit Schützen und Leistungsschaltern für den Motorschutz sind in das Steuerungskonzept integriert. Die Signale werden über IO-Link-Kommunikation dem entsprechenden Master übermittelt und von dort per Profinet zur Steuerung geführt. Das gleiche gilt für die drehzahlgeregelten Antriebe, die vermehrt in Biogasanlagen eingesetzt werden. Beispiele dafür sind die Motoren von Großflügelrührwerken, deren Drehzahl an die Konsistenz des Substrats im Fermenter angepasst wird, um Energie zu sparen. Selbst Förderpumpen, die den Substrat- und Flüssigkeitseintrag regeln, lassen sich damit optimal auf die vorherrschenden Bedingungen anpassen.

Die Frequenzumrichter können ebenfalls über Profinet in die Anlagensteuerung integriert werden. Bei einem Austausch lassen sie sich schnell über die Steuerungsebene parametrieren und liefern auf gleichem Weg Status- und Diagnosewerte.

Auf allen Ebenen die gleiche Sprache sprechen

Aufgrund des TIA-Portals spricht man auf allen Ebenen die gleiche Sprache. Dies ist für die Techniker bei North-Tec der entscheidende Vorteil dieses Engineering-Frameworks. Durch die Datentransparenz ergeben sich auch über die reine Anlagensteuerung hinaus zusätzliche Vorteile wie der einfache Aufbau einer Online-Datenbank. Darin werden alle relevanten Prozessdaten der weltweiten Biogasanlagen gebündelt und ausgewertet. So lassen sich Anlagen kontinuierlich optimieren, Vergleichswerte bilden und jederzeit eine Bestandsaufnahme über den Effizienzgrad von Biogasanlagen erstellen.

Welche Detailverbesserungen durch eine abgestimmte Gesamtlösung möglich sind, zeigt auch der Nachrüstauftrag einer bestehenden Anlage. Dort wurde ein neues Eintragssystem installiert, das die Beschickung des Fermenters verbessert. Per WLAN übermittelt die Gewichtssteuerung am Bunker der Biogasanlage die Daten an das Tablet des Radlader-Fahrers, der mit diesen Angaben präzise befüllen kann.

Aufgrund der Systemdurchgängigkeit der Komponenten und der Engineering-Unterstützung durch das TIA-Portal war es vom nationalen Biogasanlagen-Spezialisten zum weltweit agierenden Unternehmen nur ein kleiner Schritt. So lieferte North-Tec dieses Jahr Anlagen nach Lettland, Italien und Kroatien. Dafür wird die gesamte Technik in einem Beton-Gebäude fertig installiert angeliefert und muss nur noch zwischen die beiden Biogas-Behälter gestellt sowie an die peripheren Anlagenteile angeschlossen werden. Elektrotechnik, Pumpen, Heizungsverteilung, Kompressor, Dachüberwachung, Durchflussmessung und mehr sind bereits komplett installiert.

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