Alle Assets im Blick behalten Die Verwaltungsschale als Herzstück von Production Level 4

Die Verwaltungsschale oder Asset Administration Shell ist der zentrale Ort, an dem im Idealfall sämtliche Informationen eines Assets in aktueller Version vorliegen.

Bild: iStock, filo
01.03.2022

Die Verwaltungsschale entwickelt sich zur Schlüsseltechnologie für die Umsetzung neuer Produktionsarchitekturen. Aus dem digitalen Typenschild entsteht eine Verwaltungseinheit für sämtliche Assets in der Produktion. Dadurch ergeben sich völlig neue Möglichkeiten für flexible und resiliente Fertigungsnetzwerke.

Assets können alle Elemente in der Produktion sein: Produkte, Maschinen, Schrauben, Anlagen, Motoren, Klemmen oder Steuerungen. „Aber es können eben auch konzeptionelle Assets sein, wie zum Beispiel ein CAD File oder ein Fließbild“, erläutert Prof. Christian Diedrich von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, der auch das Projekt „Verwaltungsschale vernetzt“ leitet.

Die Verwaltungsschale (VWS) oder Asset Administration Shell (AAS) ist der zentrale Ort, an dem im Idealfall sämtliche Informationen in aktueller Version vorliegen, wie beispielsweise Handbücher, Checklisten oder Verkabelungspläne. Daher wird sie auch oft als Datensteckdose beschrieben. Sind sämtliche Daten einheitlich abgelegt und universell lesbar, kann die VWS für einen nächsten Entwicklungsschritt genutzt werden: zur Kommunikation mit realen Maschinen. Sie kann dann ihre Selbstbeschreibung, ihre Fähigkeiten oder Skills, nach außen tragen und in Netzwerken anbieten.

„Das ist der Übergang vom statischen Datenmodell zum lebenden System in der realen Produktion, zum Simulationsmodell, zum digitalen Zwilling“, sagt Prof. Ruskowski, Vorstandsvorsitzender der SmartFactory Kaiserslautern. „Man kann sagen, die Verwaltungsschale als Digitaler Zwilling ist ein Schlüsselelement für Production Level 4.“

Voraussetzung für neue Produktionsarchitekturen

Die Idee der Skill-Based Production basiert auf der Fähigkeit eines Assets, sich selbst zu beschreiben. So wird es möglich, dass Maschinen in Netzwerken über ihre eigenen und die vorhandenen sonstigen Skills Bescheid wissen. Auch für einen Menschen ist ersichtlich, auf welche Skills er zurückgreifen kann, beispielsweise um ein Produkt zu designen. Ist ein Skill nicht im Unternehmen, sondern nur im Netzwerk verfügbar, kann er problemlos dazugekauft werden.

Übertragbar ist die Idee auch auf das zu produzierende Produkt, welches Dank eigener VWS die zu seiner Herstellung notwendigen Eigenschaften (Capabilities) der Produktionsmittel mitbringt und kommunizieren kann. Im Netzwerk teilt das Produkt dann den vorhandenen Maschinen mit, welchen Bearbeitungsschritt es aktuell benötigt, beispielsweise ein 24 mm großes Loch, 50 mm tief.

„Verfügbare Maschinen können dann anbieten, diesen Auftrag zu erledigen“, so Ruskowski. „Wir setzen das aktuell mit unserem Production-Level 4-Demonstrator Ökosystem um, auf dem wir einen LKW aus Noppensteinen produzieren. Dabei gehen wir sogar noch einen Schritt weiter. Die Maschinen teilen uns zusätzlich mit, wie lange die Arbeit braucht, was sie kostet und wie hoch der Energieverbrauch ist. Das heißt, Energieeffizienz oder Kosten sind zukünftig Auswahlkriterien, dafür ob eine Maschine für eine Auftragsarbeit eingekauft wird. Außerdem entscheidet unsere Maschine autonom, ob es besser ist, das Loch zu bohren oder zu fräsen.“

Grundlage für die Entscheidung könnte zum Beispiel das Material sein. „Hier kommen KI-Methoden zum Einsatz“, so Ruskowski weiter. „Letztendlich erreichen wir ein hocheffizientes, flexibles und resilientes Fertigungsnetzwerk im Sinne von Production Level 4.

Verwaltungsschale enthält den gesamten Lebenszyklus

Andreas Orzelski, Mitarbeiter von Phoenix Contact und der Plattform Industrie 4.0, sowie im Vorstand der IDTA (International Twin Assoziation) aktiv, formuliert eine weitere Eigenschaft der Verwaltungsschale: die Lebenszyklusakte. „Da ist der gesamte Lebenszyklus mit drin, von der Produktidee bis zur Verschrottung.“

Im Projekt ReCircE greift die SmartFactoy-KL diese Idee bereits auf, um die Wiederverwertung eines Produktes zu ermöglichen. Dr. Christiane Plociennik ist Projektleiterin: „Da sollen Informationen enthalten sein, die ich unbedingt benötige, um beispielsweise zu erkennen, welche Teile möglicherweise erst kürzlich ausgetauscht wurden und deshalb noch brauchbar sind. Oder wie kann ich ein Produkt schadstofffrei recyceln. Das funktioniert nur dann gut, wenn ich genau weiß, welche Materialien verbaut wurden.“

„Nachhaltigkeit ist ein Kernelement von Production Level 4,“ betont Ruskowski. „Dabei meinen wir Ökonomie, Ökologie und die Rolle des Menschen.“

Interoperabilität und Open Source garantieren Zukunftsfähigkeit

Eines der größten Hemmnisse für die praktische Entwicklung neuer Technologien sind mangelnde Interoperabilität und fehlende Standards. Deshalb setzen sich Organisationen wie die SmartFactory-KL oder die IDTA dafür ein, dass die notwendigen Softwarebausteine als Open Source zur Verfügung stehen, damit Unternehmen für ihre Lösungen auf einer einheitlichen Basis aufsetzen können, wie dies in der IT heute bereits der Fall ist.

„Letztendlich ist Open Source auch eine faktische Art der Standardisierung, aber eben auf einem anderen Weg“, erklärt Orzelski. „Wir sind da mit großer Ernsthaftigkeit bei dem Thema unterwegs, um für unseren Industriestandort Deutschland, der sehr vom Export geprägt ist, weltweit einen Erfolg für die Verwaltungsschale zu bewirken.“

Die SmartFactory-KL errichtet aktuell ein Production Level 4-Ökosystem, das als Shared Production auf Skill-Based Production basiert. Bis 2025 soll das flexible Produktionsnetzwerk über die digitale Plattformen Gaia-X arbeiten. Damit Assets wie Maschinen, Services.... zukünftig Teil der europäischen Datenplattform Gaia-X werden können, müssen sie bestimmte technische Standards erfüllen, beispielsweise in Bezug auf die Sicherheit oder die Beschreibung ihrer Skills. Diese Informationen liegen ebenfalls in den Verwaltungsschalen.

„Im Gaia-X-Projekt smartMA-X erproben wir, wie es technisch funktionieren kann. Daraus erarbeiten wir dann Standardisierungsvorschläge“, so Ruskowski.

Die SmartFactory-KL strebt seit Gründung hersteller- und technologieübergreifende Lösungen an. So entwickelten die Mitgliedsunternehmen Weidmüller, TE Connectivity und Harting gemeinsam einen intelligenten Steckverbinder (SmeC - Smart electronic Connector) als Use-Case im Production Level 4-Demonstrator auf der Hannover Messe 2020. „Wir bringen Stakeholder zusammen, sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis“, betont Ruskowski. „Wir wollen unserer Gedankensilos verlassen, um eine in allen Aspekten nachhaltige Produktion zu erreichen.“

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