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Economy of Things Die selbstbestimmten Elektroautos

Fahrzeug und Ladesäule können über ihre Software-Agenten unterschiedliche und transparente Preismodelle verhandeln, die dem Fahrer in Echtzeit zur Auswahl angeboten werden.

Bild: Bosch
17.12.2019

Wenn ein Auto den Preis für den Strom, den es lädt, selbst verhandelt, vereinfacht das nicht nur den Ladeprozess. Es gibt einen Ausblick auf die Potenziale der Economy of Things, in der unter anderem energiewirtschaftliche Prozesse optimiert werden können.

Christian Heise ist stellvertretender Direktor des Forschungsprojekts Economy of Things bei Bosch. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, die Themen Energie und Mobilität in einem Prototyp zu verbinden. Dieser soll den Ladevorgang von Elektroautos auf
Basis der Blockchain-Technologie verbessern.

Wenn das Auto weiß, was sein Besitzer will

Auch wenn Heise vor einer Fahrt nur sein Reiseziel angibt, weiß der Prototyp, ein Software-Agent, der auf einem Computer im Kofferraum läuft, auf was es seinem Fahrer ankommt. So will er beispielsweise, dass der Ladestand auf der Fahrt nach Berlin nie unter 20 Prozent sinkt. Er hat eine Obergrenze für den Strompreis angegeben und würde während des Ladevorgangs gerne mit seiner Frau einen Kaffee trinken können, mit Blick auf einen Spielplatz für den Sohn. Seine Präferenzen, die etwa die Ladung betreffen, kennt das System, da der ökonomische Agent mit der Zeit das Verhalten des Fahrers kennenlernt und so einen Wert festlegt, der diese und die Lebensdauer der Batterie ausbalanciert.

KI regelt Bedürfnisse

Die Reichweitenangst reduzieren, den Preis für den Ladevorgang so niedrig wie möglich aushandeln und den Komfort für den Anwender während des Ladens durch Angabe von Point-of-Interests so angenehm wie möglich zu gestalten – das sind die drei Parameter, die die Künstliche Intelligenz des EV-Charging-Prototyps zu kombinieren versucht. „Konkret bündeln wir die Logik in einem ökonomischen Agenten, einem Programmcode, der auf unterschiedliche Herausforderungen unterschiedlich agiert. Das befähigt ihn, zu verhandeln“, sagt Heise.

Die Folge: „Dinge entscheiden, welche Aktionen wirtschaftlich für sie selbst und ihre Auftraggeber sind“, so Heise. Es ist der Kern der Economy of Things. „Unser Prototyp zeigt, wie Dinge miteinander verhandeln, das heißt, reale Werte miteinander tauschen. Es wird ein wirtschaftlicher Wert durch Vernetzung geschaffen.“

Ressourcen, die verhandeln

Natürlich kann dieser ökonomische Agent nur dann sinnvoll arbeiten, wenn er mit anderen Agenten kommuniziert. Bosch arbeitet hierzu beispielsweise mit EnBW zusammen. Das Energieunternehmen hat den Prototypen einer Ladesäule entwickelt, die ebenfalls über einen ökonomischen Agenten verfügt. Dieser intelligente Ladesäulenmanager vertritt seine eigenen Interessen, zum Beispiel Verfügbarkeit und Auslastung der Ladesäule oder Umsatzziele. Fahrzeug und Ladesäule können so über ihre Software-Agenten unterschiedliche und transparente Preismodelle verhandeln, die dem Fahrer in Echtzeit zur Auswahl angeboten werden.

Das Ergebnis der Verhandlung wird anschließend in einem von Bosch und EnBW gemeinsam entwickelten Smart Contract auf der Blockchain manifestiert. Dieser Standardvertrag, der die ID von Fahrzeug und Ladestation sowie Ladeleistung und -preis beinhaltet, ist im dezentralen Netzwerk gespeichert. „Die Blockchain ist die technische Grundlage, um unabhängig von spezifischen Betreibern EV-Ladevorgänge zu koordinieren. An der notwendigen legalen Akzeptanz solcher Verträge arbeiten wir mit unseren Partnern“, so Heise. Denn Smart Contracts sind Regelwerke, also Programmcodes, und nicht zwingend Verträge im Rechtssinn. Das Forschungsteam beschäftigt sich also auch mit der Beantwortung von Fragen wie: Dürfen Fahrzeuge Verträge schließen? Arbeiten sie implizit im Auftrag des Eigentümers oder Halters? Wie haftet ein Fahrzeug? Oder haftet der Fahrer?

Die Bedingungen für den Ladevorgang werden von beiden Agenten dann bestätigt und der Ladevorgang kann, wie im Vertrag festgelegt, beim Einstecken ausgeführt werden. „Unser EV-Charging-Agent und der Ladesäulen-Agent der EnBW versuchen also jeweils ihr Ziel so gut wie möglich zu erreichen und verhandeln daher ihre Ressourcen optimal“, sagt Heise.

Vereinfachung komplexer Systeme

„Wie auf einem Marktplatz stellen Anbieter ihren Strom zur Verfügung, mit allen relevanten Informationen. Der Agent kann so seine Umgebung scannen und das passende Angebot für den Fahrer heraussuchen.“ In einem zentralistischen System müssten alle Geräte zunächst ihre Umgebungsdaten und Anfragen an einen Koordinator senden, jeder Stromanbieter zudem seine Daten. „Das alles muss berechnet werden, ist hoch komplex und benötigt eine gigantische Rechenleistung“, sagt Heise. Sucht er auf seinem Weg nach Berlin aufgrund eines Staus kurzfristig eine Ladestation an einem anderen Ort, wird die Anfrage nur dort platziert, wo Heise auch entlangfährt, was deutlich weniger Koordinationaufwand bedeutet und dadurch weniger Ressourcen verbraucht.

Entlastung von kritischer Energieinfrastruktur

Die Technologie kann somit auch eine Antwort auf die Frage liefern, ob es überhaupt genügend Strom für eine flächendeckende Nutzung von Elektroautos gibt. „Durch verteilte agenten-basierte Systeme bekommen wir eine Entlastung von kritischer Energieinfrastruktur“, sagt Heise. Er ist der Überzeugung, dass ein Agent am besten weiß, was er und sein Besitzer benötigen. „Ein Agent im Fahrzeug könnte Geschwindigkeiten empfehlen, um sparsamer an teuren Ladesäulen vorbeizufahren und eine günstigere anzusteuern. Netz- oder Ladesäulen-Betreiber könnten beispielsweise in stark belasteten Gebieten einen höheren Preis für die Ladeleistung verlangen und niedrigere Preise an Ausweich-Ladepunkten.“

„Dies eröffnet natürlich das düstere Szenario wilder Preisspekulationen. Steuerungsmechanismen sind daher sehr wichtig, um eine sozial-faire Preisgestaltung zu erzwingen. Dies ähnelt gewissermaßen Spielregeln: Fahrzeuge und Ladesäulen können nur miteinander verhandeln, wenn sie sich an die vereinbarten Regeln halten. Abweichungen von den Regeln werden progressiv bestraft und Teilnehmer könnten beispielsweise von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Damit würden sie die Fähigkeiten verlieren, effektiv zu handeln. Dieser Ansatz belohnt gewissermaßen sozial-faires Verhalten.“

Außerdem ließen sich mithilfe einer Künstlichen Intelligenz Ladezeiten und -orte von Autos über die Blockchain koordinieren: „Ein Zuteil-Algorithmus könnte vorschlagen, das Auto am Arbeitsplatz zu laden oder es zuhause stehen zu lassen und mit einer Mitfahrgelegenheit zur Arbeit zu pendeln. Am nächsten Tag könnte gewechselt werden.“ Dieser soll weiter dazu beitragen, Lastspitzen zu reduzieren.

Heises Ziel ist die Zusammenführung der Bedürfnisse in den Bereichen Mobilität und Energie, „indem wir Ride-Sharing, multimodale Transportmodelle und Energiemanagement miteinander wirtschaftlich handeln lassen.“ Dabei soll im Kern ein sozial-fairer Mechanismus gefördert werden. So entwickelt Heise mit seinem Team auf der Basis von Algorithmen einen Sicherungsmechanismus: Er sorgt dafür, dass niemand unverhältnismäßig stark benachteiligt wird, und verhindert, dass sich große Stakeholder zusammenschließen und es dadurch zu willkürlichen Preisspekulationen kommt.

Bildergalerie

  • Die Potenziale von Economy of Things sind vielseitig.

    Die Potenziale von Economy of Things sind vielseitig.

    Bild: Bosch

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