Verfahrenstechnik Die Kabine ist safe

J. Engelsmann AG

Bild: Engelsmann
05.05.2015

Ein Produzent der chemischen Industrie setzte im Rahmen des Herstellungsprozesses von bruchempfindlichen Katalysatoren bei der Entleerung von Fässern auf manuelles Handling mit Muskelkraft. Hohe Investitionen zur Einhaltung der strengen Arbeitsschutzbedingungen sowie die zu geringe Kapazität erforderten eine neue Lösung. Diese wurde in Form einer vollautomatischen Fassentleerung realisiert.

Unternehmen der chemischen Industrie verarbeiten gefährliche Stoffe in der Regel in Fässern und Octabins. Die Entleerung der Fässer ist, aufgrund der toxischen und reizenden Eigenschaften des Produkts, physisch belastend und oft auch gesundheitsgefährdend. Ein weiteres Problem bei der manuellen Entleerung ist neben den hohen Sicherheits- und Hygieneanforderungen auch das vollständige Entleeren der Fässer ohne Einsatz entsprechender Austrag- beziehungsweise Absaugtechnik. Im aktuellen Anwendungsfall sollten im Rahmen des Produktionsprozesses granulatförmige, sehr bruchempfindliche Katalysatoren zur Weiterverarbeitung möglichst schonend aus den Fässern entleert und die nicht weiterverwendbare Bruchware abgesiebt werden.

Bisher wurde die Fassentleerung manuell durchgeführt, wobei zwei Mitarbeiter das in Fässern angelieferte Produkt mithilfe von Hebewerkzeugen entleerten. Da das Katalysatorprodukt von seinen Eigenschaften nicht nur extrem porös, sondern auch sehr staubend und geruchintensiv ist, mussten entsprechend hohe Anforderungen zum Schutz des Personals erfüllt werden. Durch das offene Handling war das Bedienpersonal direkt Gefahrstoffen ausgesetzt, da bei der Entleerung die Atmosphäre durch den Staubaustritt kontaminiert wurde. Ein weiteres Problem stellte die Produktivität des Prozesses dar, da durch die händische Produktzuführung kein gleichmäßiges Beschicken des nachgelagerten Prozesses möglich war und zudem die Kapazität nicht ausreichte.

Automatische Entleerung verbessert Arbeitsbedingungen

Um das Ziel einer Produktivitätssteigerung zu erreichen, war schnell klar, dass man hierfür die manuelle Vorgehensweise auf ein automatisiertes Verfahren umstellen muss. Ebenso strebte man eine Turnkey-Lösung an, wobei der Anlagenlieferant von der Konzeption und Fertigung bis zur Montage und Inbetriebnahme der Anlage alle Leistungen aus einer Hand bieten sollte, um Schnittstellen und Koordinationsaufwand zu minimieren. Anhand von Tests mit Einsatz des im Echtbetrieb gefahrenen Produkts im firmeneigenen Technikum von Engelsmann konnten die Abläufe simuliert und der Auftraggeber von der konzipierten Lösung überzeugt werden. Nach den erfolgreichen Versuchen begann das Basic Engineering und man legte das Anlagenlayout fest.

Die Engelsmann-Konstrukteure konzipierten eine vollautomatische Anlage, mit welcher die Fässer mit dem gesundheitsgefährdenden Katalysatorprodukt innerhalb einer geschlossenen Kabine staubfrei entleert werden konnten. Mit dieser Anlagenlösung sollte dem Bediener der Anlage optimale Sicherheit geboten, eine erheblich größere Anzahl an Fässern restlos entleert und direkt einer nachgelagerten Grob- und Feinabtrennung zur Aussiebung von Bruchware zugeführt werden. Da das Katalysatorprodukt in Fässer befüllt und auf Paletten zu je vier Fässern zur Entleerstation angeliefert wird, kann man durch die vorausgegangene Befüllung und Verladearbeiten ein Bruchrisiko nicht ausschließen. Damit durch die Fassentleerung keine weitere Bruchware entstehen kann, ist die komplette Fassentleeranlage für ein schonendes Produkthandling ausgelegt worden.

Schutz von Mensch und 
Produkt hat Priorität

Mit einer vollautomatisierten Rollenbahn ausgestattet, werden die vom Bedienpersonal geöffneten Fässer mithilfe eines Hebewerkzeugs vor die Fassentleerkabine der Anlage transportiert. Zeitgleich passen maximal drei Fässer auf die Staurollenbahn. Hier ist auch ein Fassanschlag vorhanden, sodass nach Betätigung durch das Bedienpersonal auch nur ein Fass automatisch durch die Taktrollbahn der Fassentleeranlage bis an den Kippanschlag in der Kabine fährt. Diese verfügt über eine pneumatisch betätigte Hubtür, deren aufblasbare Dichtung sich nach Start des Entleervorgangs entspannt, sodass danach die Tür öffnet.

Über die in der Kabine installierte Rollenbahn gelangt das Fass in die Fassaufnahme. Die Kabinentür schließt und die Blähdichtung der Hubtür wird automatisch aufgeblasen. Der Fassaufnahmekorb schwenkt das Fass langsam in die Entleer-Position. Der Kippvorgang erfolgt in einem Schüttwinkel, der einen behutsamen Rutschvorgang des Produkts ermöglicht. Im unteren Schwenkbereich befindet sich ein Leitblech, welches das aus dem Fass kommende Produkt abfängt und an die schräg angeordnete Wand eines Pufferbehälters weitergibt. An dieser Wand rutscht das Katalysatorprodukt weiter nach unten, sodass das Produkt nicht mit der Wucht des Eigengewichts im Pufferbehälter aufschlägt. Wenn sich am Boden des Behälters ein Produktsumpf gebildet hat, dämpft dieser den weiteren Produktstrom.

Der Pufferbehälter hat ein Fassungsvermögen von vier Fässern à 200 kg Produkt und kann somit eine Palette an Fässern aufnehmen. Bei restloser Entleerung des Fasses wird es automatisch zurück in die Ausgangslage gebracht. Nach der Freigabe durch das Bedienpersonal wird die aufblasbare Dichtung der Kabinentür wieder entspannt und die Tür öffnet sich. Die angetriebene Rollenbahn übergibt nun das leere Fass wieder zurück an die Taktrollenbahn vor der Kabine, wo das entleerte Fass vom Mitarbeiter entnommen und ein neuer Entleervorgang gestartet werden kann. Dieser wird nur einmal angestoßen und läuft anschließend vollautomatisch ab. Die Steuerung der Anlage kommuniziert über eine entsprechende Schnittstelle mit dem bauseitig vorhandenen Prozessleitsystem (PLS). Die Aspiration der Anlage erfolgt über das Entstaubungssystem des Kunden. Durch das Unterdruckventil der Fassentleerkabine wird die Raumluft in den staubbelasteten Bereich der Kabine gesaugt, nimmt dort den Produktstaub auf und reißt ihn mit sich in Richtung Aspirationsstutzen.

Bruchware sorgfältig ausgesiebt

Nach dem Entleervorgang wird die empfindliche Katalysatorware über eine im Auslaufbereich der Fassentleerkabine nachgelagerte Dosierrinne zu einer ebenfalls von Engelsmann gelieferten Langhubsiebmaschine gefördert. Deren horizontale Schwingungen gewährleisten einen besonders trennscharfen, produktschonenden Siebvorgang und eine fast hundertprozentige Aussiebung von Bruchware (Feingut). Der ausgesiebte Bruchanteil wird nicht weiterverarbeitet, sondern wieder dem Ursprungsprozess zugeführt. Das bruchfreie, unbeschädigte Katalysatorprodukt gelangt gelangt direkt zu dem nächsten Prozessschritt. Die Langhubsiebmaschine in Eindeckerausführung verfügt über eine Siebfläche von 0,36 m2 sowie über zwei Ausläufe für das Grob- und das Feingut. Die Anlage ist auf eine höhere Kapazität als aktuell benötigt ausgelegt, sodass bei Bedarf die Durchsatzleistung problemlos weiter erhöht werden kann.

Nach dem Engineering und der Fertigung der Anlagenteile wurde im Engelsmann-Werk ein abschließender Factory-Acceptance-Test (FAT) zur Abnahme der Anlage durchgeführt. Nach viermonatiger Liefer- beziehungsweise Bauzeit konnten die Engelsmann-Techniker die Anlage vier Wochen vor dem geplanten Liefertermin vor Ort montieren und in Betrieb nehmen. Durch die vollautomatische Fassentleeranlage konnte der Auftraggeber mehrere Probleme lösen. Neben einer Produktivitätssteigerung von mehr als 25 Prozent wurde durch die produktschonende Entleerung und Aussiebung der Anteil an Bruchware minimiert und somit die Produktqualität erheblich verbessert. Zudem wurden durch den geringeren Reststaubgehalt in der Luft beim Entleervorgang die Gesundheitsrisiken für das Bedienpersonal minimiert und dadurch die Arbeitsbedingungen erheblich verbessert, womit eine Kosteneinsparung bei den Arbeitsschutzmaßnahmen einherging.

Bildergalerie

  • Der behutsame Kippvorgang sorgt für eine schonende Entleerung des bruchempfindlichen Produkts.

    Der behutsame Kippvorgang sorgt für eine schonende Entleerung des bruchempfindlichen Produkts.

    Bild: Engelsmann

  • Die Anlagensteuerung kommuniziert mit dem bauseitig vorhandenen Prozessleitsystem (PLS).

    Die Anlagensteuerung kommuniziert mit dem bauseitig vorhandenen Prozessleitsystem (PLS).

    Bild: Engelsmann

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