Wide Bandgap und Ausbildung im Power-Bereich „Die Automobilindustrie ist ein Wachstumstreiber für SiC“

Thomas Harder ist seit der Gründung des ECPE dabei und leitet die Geschäftsstelle in Nürnberg.

Bild: ECPE
16.05.2018

Anfang des Jahrtausends galt die Leistungselektronik als graue Maus. Um das zu ändern, gründeten acht Firmen 2003 das Netzwerk ECPE. Anlässlich des 15-jährigen Jubiläums sprachen wir mit Thomas Harder, General Manager des ECPE, über die veränderte Wahrnehmung der Leistungselektronik und den Fachkräftemangel in der Branche. Er verrät auch, wieso der Durchbruch von SiC und GaN nun endlich kommen könnte.

E&E:

Herr Harder, das European Center for Power Electronics (ECPE) wurde unter anderem mit dem Ziel gegründet, den Stellenwert der Leistungselektronik stärker hervorzuheben. Dieser ist mittlerweile bekannt. Haben Sie sich selbst obsolet gemacht?

Thomas Harder:

(lacht) Das sicher nicht, schließlich verfolgen wir noch weitere Ziele. Aber natürlich haben Sie recht, die Leistungselektronik ist in den letzten 15 Jahren aus der Nische ins Rampenlicht getreten. In dem Punkt kann man praktisch sagen: Mission erfüllt. Wir haben diese Entwicklung begleitet und sicherlich auch etwas mitgestaltet. Aber ich möchte da nicht anmaßend sein, stark getrieben wurde sie vor allem durch einige große Trendthemen.

Welche meinen Sie damit?

Ich denke dabei an Energieeffizienz, die Sicherstellung der Energieversorgung auf Basis regenerativer Energien und den Wechsel im Bereich der Mobilität hin zur Elektrifizierung. Sie alle haben die Leistungselektronik beflügelt in den letzten Jahren. Vor 15 Jahren sah das Ganze noch anders aus. Da hat sie noch keine große Rolle gespielt. Deshalb kam sie in Förderprogrammen auch kaum vor und hat bei den Studenten kein großes Interesse geweckt. Es bestand sogar die Gefahr, dass Lehrstühle eingestellt werden. Das ist heutzutage zum Glück kein Thema mehr.

Das ECPE feierte vor Kurzem sein 15-jähriges Bestehen. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung des Netzwerks?

Das ECPE ist hervorragend gewachsen. Gegründet wurde es 2003 von acht Unternehmen. Mittlerweile sind 85 Firmen und 95 Forschungsinstitutionen Teil des Netzwerks. Besonders wichtig für mich ist aber, dass wir auch inhaltlich sehr gute Arbeit geleistet haben. Wir konnten zum Beispiel die Rolle und Bedeutung der Leistungselektronik im Bereich der Effizienzsteigerung verdeutlichen, haben aber auch wichtige Impulse gesetzt bei erneuerbaren Energien, Elektromobilität und Smart Grids.

Welche waren das?

Sehr wichtig sind unsere Roadmapping-Aktivitäten. Das bietet sich in so einem großen Netzwerk natürlich an, in dem praktisch die gesamte Wertschöpfungskette der Leistungselektronik vertreten ist, vom Bauelement bis hin zum System und viele europäische Forschungsinstitute. Da ist das ECPE die ideale Plattform, um in die Zukunft zu schauen, Trends abzuleiten. Das haben wir erfolgreich getan in den letzten 15 Jahren in mehreren Roadmapping-Programmen. Zurzeit läuft gerade eines, indem wir uns Gedanken machen über die Leitanwendung für die Wide-Bandgap-Leistungshalbleitermaterialien Siliziumkarbid (SiC) und Gallumnitrid (GaN). Also in welchen Branchen sie sich am sinnvollsten einsetzen lassen und welche Bauelemente dafür nötig sind. Wide Bandgap begleitet uns fast von Beginn an. Zu diesem Thema haben wir 2006 das erste Userforum organisiert. Seitdem machen wir das alle zwei Jahre. Damals hatten wir 100 Teilnehmern in dem Workshop. Letztes Jahr waren es dann 250. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass wir uns nicht nur auf die Bauelemente konzentrieren, sondern es auch stark um die Systemintegration geht.

SiC und GaN wird bereits seit Jahren eine große Zukunft vorausgesagt. Ihr Anteil an den verkauften Leistungshalbleitern ist allerdings weiterhin sehr gering. Kommt der Durchbruch nun endlich?

Das Thema ist wirklich nicht neu. Wir reden schon seit Beginn der 2000er-Jahre darüber. Bisher waren die Einsatzfelder für SiC und GaN aber noch sehr rar. Für SiC wird schon seit 15 Jahren nach der Leitapplikation gesucht. Zunächst sah es danach aus, als würde das Photovoltaik sein, weil dort die Effizienzsteigerung sehr beeindruckend war. Da gab es Prototypen mit einem Wirkungsgrad von mehr als 99 Prozent, was natürlich überzeugend klang für eine breite Anwendung. Aufgrund der Kosten konnte sich SiC dann aber nicht durchsetzen. Photovoltaik ist einfach sehr kostengetrieben. Mittlerweile ist SiC dort aber sehr präsent, weil die Vorteile über die Gesamtlebensdauer der Anlage viel deutlicher geworden sind. Ich denke also schon, dass die Wide-Gap-Halbleiter in nächster Zeit mehr eingesetzt werden.

Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?

Im Automobilbereich hat SiC mittlerweile eine Dynamik aufgenommen, die meines Erachtens nicht mehr zu stoppen ist. Für die Elektroautos spielt natürlich die Effizienzsteigerung im Antriebsstrang eine wichtige Rolle, um die Reichweite zu erhöhen. Durch extrem schnell schaltende Systeme lassen sich dort aber auch bei On-Board- und DC/DC-Wandlern und On-Board-Chargern die Systeme miniaturisieren. Das sorgt für nur noch ein Fünftel so große und schwere Systeme. Das ist für den Automotivebereich sehr interessant. Insofern haben Wide-Bandgap-Leistungshalbleiter dort richtig Fahrt aufgenommen. Ob es aber wirklich so kommt, muss man natürlich abwarten.

Das bezog sich auf SiC. Gilt das auch für GaN?

Bei GaN sind es natürlich andere Einsatzbereiche. Das Potenzial von SiC liegt ganz klar bei höheren Spannungen und Leistungen. GaN ist vor allem für kleinere Leistungen, im Bereich PFC und bei Power-Supply-Anwendungen interessant. Für manche Gebiete sind beide relevant. Im Auto sind das die angesprochenen On-Board-Wandler. Für die kommen beide Materialien in Frage, da ist das Rennen noch offen. Welches sich durchsetzt, wird stark von den Kosten abhängen. Eine wichtige Rolle spielt aber sicher auch die Technologiereife. In diesem Punkt hat SiC einige Jahrzehnte Vorsprung gegenüber GaN.

Zusammen mit dem Durchbruch der Verbindungshalbleiter wurde oft auch das Ende von Silizium vorausgesagt. Darauf deutet allerdings aktuell nichts hin.

Vollkommen richtig. Silizium wird Mainstream bleiben für eine ganz lange Zeit. Silizium ist einfach eine reife Technologie. Die Bauelemente lassen sich sehr kostengünstig auf großen Wafern herstellen, also mit einer großen Anzahl Chips pro Wafer. Und Silizium hat noch weiteres Potential. Die Entwicklung der Technik ist noch nicht am Ende. Die Materialien werden deshalb in Zukunft parallel existieren. Wir sprechen außerdem nicht von einem Verdrängungswettbewerb. Silizium wird von GaN und SiC nicht abgelöst. Stattdessen kommen neue Einsatzbereiche hinzu, in denen Wide-Bandgap-Halbleiter verwendet werden.

Gibt es noch weitere Materialien, die in Zukunft eine Rolle spielen?

Nur im Forschungsbereich. Im größeren Maßstab eingesetzt werden sie auf absehbare Zeit nicht. Einmal ist das Galliumoxid. Das wird vor allem in Japan stark forciert. Auch zu Diamant wird schon länger viel Grundlagenforschung betrieben.

Ab wann werden diese Materialien relevant sein?

Beim 30-jährigen Jubiläum des ECPE werden wir sicher lange über Diamant sprechen. (lacht)

Das ECPE beschäftigt sich außerdem sehr viel mit Weiterbildung. Angesichts des Fachkräftemangels ist das aktueller denn je.

Auf jeden Fall. Speziell für Jungingenieure, die gerade in den Beruf starten, bieten wir ein umfassendes Angebot an Schulungen und Tutorials. Diese decken die wichtigsten Themen der Leistungselektronik ab, wie EMV, Aufbau- und Verbindungstechnik, thermische Auslegung und die verschiedenen Halbleitertechnologien. Zusätzlich dazu haben wir seit kurzem auch noch Schulungen zu Ansteuer- und Schutzschaltungen und zu passiven Bauelementen, insbesondere magnetische Komponenten, dazu genommen. Wir bauen unser Weiterbildungsangebot somit weiter aus.

Sind diese Weiterbildungsangebote notwendig, weil die Leistungselektronik in der universitären Ausbildung zu kurz kommt?

Nein, daran liegt es nicht. Die universitäre Ausbildung möchte ich nicht kritisieren, die ist hervorragend. Die Leistungselektronik ist einfach zu komplex. Die Hochschulen müssen im Studium die Grundlagen vermitteln und können gar nicht auf die teilweise sehr speziellen Bereiche der Leistungselektronik eingehen. Aufbau- und Verbindungstechnik, EMV, Schaltungstopologien, Treiber und Materialien – in der Leistungselektronik gibt es einfach unglaublich viele technische Themen. An dem Punkt setzen unsere Schulungen an.

2012 haben Sie kritisiert, dass Hochschulabsolventen zu wenig über Werkstoffe, thermisches Management, EMV und parasitäre Effekte wissen. Hat sich das denn seitdem verbessert?

Es hat sich ein Stück weit verbessert, dadurch dass das Angebot an den Hochschulen entsprechend ergänzt wurde. Lassen Sie mich nur ein Beispiel bringen. Im Bereich der Aufbau- und Verbindungstechnik gibt es in Erlangen mittlerweile eine Vorlesung von Professor Scheuermann, der hauptberuflich bei der Firma Semikron arbeitet. Er ist ein ausgewiesener Experte im Bereich der Aufbautechnik für Module und auch für deren Zuverlässigkeit. Ich halte das für den idealen Weg, solches Praxiswissen an die Hochschule zu bringen. Da tut sich einiges. Natürlich kann man immer noch etwas verbessern. Aber nochmal, wir stellen definitiv nicht die Qualität der universitären Ausbildung in Frage. Mit der sind wir sehr zufrieden.

Das ECPE versteht sich als europäisches Netzwerk. Die Leistungselektronik ist einer der wenigen Bereiche bei Halbleiter, in denen Europa noch eine Rolle spielt. Sehen Sie Europa hier gut aufgestellt?

Europa ist auf der Technologieseite und auch bei den Anwendungen sehr stark. Mit Infineon Technologies sitzt der Weltmarktführer bei Leistungshalbleitern hier. Aber auch bei den drei großen Einsatzgebieten für Leistungselektronik, Industrieantriebe, Automotive und erneuerbare Energien, befindet sich Europa in einer exzellenten Position.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Welches Thema wird die Leistungselektronik in den nächsten Jahren bestimmen?

Noch viel wichtiger wird die Frage, wie sich ein stabiles Stromnetz aufbauen lässt, das sich hauptsächlich aus regenerativen Energien speist. Also nicht nur einen gewissen Prozentsatz enthält, sondern das dominiert ist von fluktuierenden erneuerbaren Energien. Ein weiteres großes Thema sind Smart Grids, also die intelligente Energiesteuerung für Gebäude. An Bedeutung zunehmen wird das Zusammenspiel von Informations- und Kommunikationstechnik und Leistungselektronik und dabei auch der Stellenwert von Cybersecurity.

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