Interview über Wärmemanagement „Die Applikation diktiert das Material“

Seit über 14 Jahren im Bereich Wärmeleitmaterialien unterwegs: Bevor Wolfgang Reitberger-Kunze ICT Suedwerk übernahm, war er bei Kunze Folien Fertigungsleiter, dann Prokurist und später Geschäftsführer.

Bild: ICT Suedwerk; iStock, ThomasVogel (Titel)
11.06.2019

In Zeiten immer höherer Packungsdichten wird Entwärmung zum entscheidenden Thema für die gesamte Applikation. Mit E&E spricht Wolfgang Reitberger-Kunze, Eigentümer und Geschäftsführer des Spezialisten für Wärmemanagement, ICT-Suedwerk.

Herr Reitberger-Kunze, wie schwierig ist Wärmemanagement wirklich? Reicht dafür nicht einfach ein Kühlkörper und ein bisschen Wärmeleitpaste?

Ganz so einfach ist das nicht. Das funktioniert vielleicht für Bastler oder um die CPU eines PCs zu übertakten. Richtiges Wärmemanagement ist hingegen ein ganz besonderes Thema. Das liegt unter anderem an der enormen Packungsdichte, die in den letzten fünf bis sechs Jahren noch einmal deutlich gewachsen ist. Schwieriger wird es außerdem durch die sich ständig verkürzenden Entwicklungszyklen und den höheren Kostendruck. Die Anforderungen sind dermaßen gestiegen, dass man nicht einfach nur einen Kühlkörper nehmen und diesen mit einem Pad oder einer Wärmeleitfolie befestigen kann. Es geht auch nicht mehr nur um die Entwärmung eines Bauteils, sondern um die Komplettapplikation. Die Applikation diktiert das geeignetste Wärmeleitmaterial und -management.

Lässt sich das noch mit Standardprodukten abdecken oder sind spezifisch angepasste Modelle notwendig?

Einige große Unternehmen, die sich als Spezialisten für Wärmemanagement bezeichnen, setzen immer stärker auf Standardprodukte. Sie verabschieden sich davon, spezielle angepasste Lösungen anzubieten. Standardisierte Wärmeleitmaterialien sind aber nur partiell auf die Bedürfnisse des Entwicklers zugeschnitten. Sie eignen sich oftmals nicht für die jeweilige Applikation. Nehmen wir beispielsweise eine CPU. Sie ist in der Regel in eine Platine eingebettet und an einen Kühlkörper angebunden. Für diese Verbindung findet sich recht einfach ein passendes Wärmeleitmaterial. Damit ist es aber nicht getan. Die Platine ist schließlich in ein größeres System eingebunden, das wiederum eigene Anforderungen hat und die Umgebungsbedingungen verändert. Das führt dazu, dass das ursprünglich gewählte Wärmeleitmaterial gar nicht mehr so ideal aussieht. Häufig wird außerdem im Produktdesign die spätere Fertigung vergessen. Das stelle ich seit einiger Zeit verstärkt fest. Ein Wärmeleitmaterial in der Entwicklung aufzubringen, ist etwas ganz anderes, als das später vollautomatisiert in Serie durch Bestückungsmaschinen übernehmen zu lassen. Dieser Punkt wird im Design nicht immer berücksichtigt. Das liegt sicher auch daran, dass in den Entwicklungsabteilungen das Wissen um Produktionsprozesse nicht im vollen Umfang zur Verfügung steht.

Wie zeigt sich das in der Praxis?

Momentan wird beim Wärmemanagement sehr viel über Hochleistungsmaterialien gesprochen. Sie bieten 50 bis 70 W/mK und haben eine sehr hohe anisotrope Wirkung. Für die Entwärmung sind sie natürlich super, aber in der automatisierten Bestückung auch sehr unhandlich und schwierig anzubringen. In manchen Fällen müssen die Unternehmen deshalb wieder zu Handbestückung zurückkehren. Und sehr teuer sind die Wärmeleitmaterialien auch noch. Das alles beziehen die Entwicklungsabteilungen leider oft nicht ein.

Reicht eine gute Temperaturübertragung für Wärmeleitmaterialien aus oder müssen sie noch weitere Anforderungen erfüllen?

Wärmeleitmaterialien dienen nicht nur der Wärmeabfuhr, sondern übernehmen zusätzliche wichtige Funktionen. Durch den immer höheren Kostendruck sinkt die Qualität der Verarbeitung von Bauteilen. Beispielsweise erfahren die anzubindenden Oberflächen von Kühlkörpern im späteren Serienfertigungsprozess oft nicht mehr die mechanische Bearbeitung die ursprünglich im Qualifizierungsprozess vereinbart wurde. Da kann es dann schon passieren, das Grate oder starke Riffe nicht beseitigt sind oder die im schlimmsten Fall die Ebenheit stark abweicht auch die Sauberkeit der angelieferten Bauteile ist ein großes Thema. Das sorgt natürlich für mehr Lufteinschlüsse zwischen Komponenten und somit für eine geringere Temperaturübertragung. Diese Toleranzen sollen dann alle durch das Wärmeleitmaterial aufgefangen werden.

Welche Materialien und Formen sind zurzeit besonders gefragt?

Im Automobilbereich, besonders bei der Elektromobilität, liegen gerade dispensive Materialien, sogenannte Zweikomponenten- und freivernetzende Gap-Filler, stark im Trend. Gerade bei Batteriesystemen sorgen sie für Furore. Sie lassen sich auch sehr gut standardisiert einsetzen, etwa um Batterieeinheiten zu füllen. Bestehen allerdings spezielle Anforderungen, dann greifen sehr viele Hersteller zu vorgeformten Pads, den Gap-Filler-Pads. Sie lassen sich nicht partiell oder dispensiv vor Ort befüllen, sondern werden vorgefertigt an den Kunden gesandt. Wegen der gestiegenen Anforderungen vieler Use Cases sind die Gap-Filler-Pads nach wie vor sehr gefragt und werden auch immer beliebter. Vielen Baugruppen werden oft mittlerweile senkrecht verbaut. Beim dispensiven Verfüllen besteht außerdem die Gefahr der Hohlraumbildung. Die hat man bei den vorgefertigten Pads nicht, denn die Materialstärken sind in der Regel garantiert und mit den von Herstellern angegebenen Dickentoleranzen auch prozesssicher.

Gibt es weitere Trends?

In Fahrzeugen werden auch immer öfter Substrat- beziehungsweise glasfaserverstärkte Wärmeleitmaterialien verbaut. Dabei handelt es sich meistens um Modelle mit sehr hoher Leistung von 2,5 bis 8 W/mK. Manche Anbieter bieten auch Materialien mit bis zu 14 W/mK an. Bei solchen Werten sollte man allerdings vorsichtig sein und sich genau anschauen, wie die Messergebnisse zustande kamen. Aufgrund der gestiegenen Leistungsdichte sind gerade bei Batterien und Ladetechnik Thinfilm-Folien, meist Phase-Change-Materialien, beliebt. Sehr interessant sind darüber hinaus Graphite. Hier bieten einige Hersteller ausgesprochen gute synthetische Graphite an. Sie kosten zurzeit zwar noch deutlich mehr als andere Wärmeleitmaterialien, aber die Preise sinken auch hier langsam. Einsatz finden diese Materialien sehr häufig in der Steuerelektronik von Energie für Laserschneide und Schweißtechnik sowie in Anwendungen der Photovoltaik und Batterieladetechnik. Auch in der Automobil- und in der Leuchtmittelindustrie insbesondere in Anwendungsbereichen von High-Power-LEDs werden die synthetischen Graphite im öfter eingesetzt. Grund hierfür ist neben der hohen thermischen Leitfähigkeit nicht zuletzt auch die hohe Langlebigkeit und die sehr geringe Ausgasungsrate, die bei einigen Typen bei nahe 0 liegt.

Was macht diese Graphitfolien so interessant?

LEDs erreichen mittlerweile Leistungsbereiche, die sich mit normalen Materialien nur noch schwer abdecken lassen. Mit PCM-Dünnschicht- und Graphitfolien ist das hingegen möglich. Dadurch, dass Leistungshalbleiter inzwischen galvanisch sehr gut getrennt sind, stellen sie eine passende Alternative dar.

Sie erwähnten, dass der Verwendungsort das geeignete Wärmeleitmaterial definiert. Es gibt somit keines, das generell immer empfehlenswert ist?

Das hängt in der Tat immer von der jeweiligen Applikation ab. Sollen 150 W pro Quadratzentimeter abgeführt werden, dann kann man nicht auf ein Material mit einer Wärmeleitfähigkeit von nur 2,5 W zurückgreifen. Wichtig sind außerdem die möglichen Anlieferungsformen des Materials. Diese bestimmen nämlich, wie gut es sich nachher in der Produktion verbauen lässt. Die Anwendung gibt somit nicht nur das am besten geeignete Material, sondern auch den gewünschten Anlieferungszustand vor.

Sie haben Defizite beim Wissen über Wärmemanagement angesprochen. Wie stark wird deshalb Beratung nachgefragt?

Beim eigentlichen thermischen Management kennen sich die Ingenieure mittlerweile deutlich besser aus, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Da sehe ich keine Defizite. Wie gesagt geht aber viel Produktions-Know-how verloren. Vereinfacht gesagt wissen Ingenieure aktuell mehr über die Theorie als über die Praxis. Das bemerken wir besonders bei Diskussionen um die Anlieferungsformate der Wärmeleitmaterialien. Bei ihnen benötigt ein Großteil unserer Kunden Hilfe. In diesem Bereich beraten wir hauptsächlich. Ein wichtiges Thema ist auch die saubere Anlieferung. Das stellt häufiger ein Problem dar als gedacht. Oft wird vergessen, dass die Produkte sehr schnell andere kontaminieren können. Verunreinigte Kühlkörper und Gehäuse sind sehr oft eine große Herausforderung für die Fertigungsverantwortlichen. Aber natürlich ist auch weiterhin Beratung beim Design gefragt. Viele Kunden fragen bei uns nach, welches Produkt sie am besten für eine Applikation einsetzen sollen. Sie sind dann oft überrascht, wenn unsere Vorhersagen eintreffen, obwohl ihnen ihre Simulationsergebnisse etwas anderes prognostiziert haben.

Haben Sie generelle Tipps, die Sie Entwicklern für das Wärmemanagement mitgeben können?

Ich rate stets: Weniger ist mehr. Beim Wärmeleitmaterial gilt meistens lieber down- als upsizen. Hier diktiert alleine die Anwendung, dies gilt sowohl für die Menge als auch für den Preis. Oft reicht wirklich ein preiswertes TIM aus, wenn man eben das passende für die Anwendung ausgewählt hat. Außerdem rate ich den Anwendern dazu, wirklich die finale Anlieferungsform genauer zu betrachten. In vielen Fällen ist es sehr viel sinnvoller, nicht auf ein Standardprodukt zu setzen, sondern eine speziell auf den Einsatzort angepasste Formgebung zu wählen. Zuschnitte können heute kosteneffizient realisiert werden. Die thermischen Schnittstellenmaterialien sind da viel teurer. Da lässt sich einiges einsparen.

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