Rohrleitungssysteme & Dichtungen Diagnose: Temperatureinsatz

Bild: Freudenberg
21.04.2015

Thermochrome Beschichtungen machen Temperaturschwankungen über Farbveränderungen sichtbar. Doch das Prinzip, das hinter Spielereien wie Zaubertassen steckt, eignet sich genauso, um die Temperaturbelastung von schwer zugänglichen Dichtungen zu ermitteln.

Thermochromen Beschichtungen ist jeder schon einmal begegnet – er hat es bloß vielleicht nicht registriert. Schon eher erinnert er sich an die Zaubertasse, die wie aus dem Nichts ein Motiv erscheinen lässt, sobald heißes Wasser einfließt, oder an Stimmungsringe, die anhand der Farbe die Laune ihres Trägers oder ihrer Trägerin verraten sollen. Möglich gemacht haben diese Effekte Beschichtungen mit chromophoren Pigmenten, die auf Temperaturveränderungen reagieren, indem sie die Farbe wechseln. Ein Prinzip, das sich auch in der Industrie nutzen lässt – zum Beispiel, um thermische Belastungen darzustellen, denen Dichtungen ausgesetzt sind.

„Bei Dichtungen aus Elastomeren hängen sowohl die Funktionsfähigkeit als auch die Langzeitaussage über die Haltbarkeit der Dichtung stark von der Temperatur ab, die auf sie einwirkt“, erklärt Dr. Boris Traber, der bei Freudenberg Sealing Technologies in Weinheim für die Materialvorausentwicklung in Europa zuständig ist. Doch nicht in jeder Einbausituation lässt sich ein Sensor oder eine Wärmebildkamera anbringen. In geschlossenen Systemen wie Motoren oder Kühlgasanlagen kann alternativ eine Farbfläche, die auf eine Dichtung aufgetragen wird, die nötigen Informationen liefern: eine thermochrome Beschichtung.

„Die Sensierung findet statt, indem eine bestimmte Farbe einem Temperaturbereich entspricht, erläutert Traber. „Sobald ein Maximalwert erreicht ist, verändert sich die Farbe, entsprechend kalibriert zum Temperaturbereich.“ In Weinheim lassen sich die Wärme- oder Kältegrade schließlich über ein optisches Gerät ermitteln. Denn anders als die Kaffeetasse ändert die Lackverbindung ihre Farbe nicht noch einmal, wenn sie ihren Zweck – die Visualisierung der Maximalwerte – erfüllt hat. Eine irreversible Farbveränderung.

Smart Coatings, Smart Materials

Eine Kunde brauchte zum Beispiel eine Temperaturempfehlung für eine Membran, konnte aber nicht sagen, welche Temperatur an der Dichtung anliegt, da in der Nähe ein wärmeabstrahlendes Bauteil war. Also schickte Freudenberg thermochrom beschichtete Bauteile zu, der Kunde prüfte die Bauteile an seinem Prüfstand unter Betriebsbedingungen und Freudenberg analysierte die am Bauteil aufgetretenen Maximaltemperaturen.

Die Idee der thermochromen Beschichtungen hat sich bei Freudenberg ergeben, als man sich mit dem Thema Smart Materials beschäftigte. „Unsere Frage war: Wie können wir einer Dichtung, deren Hauptfunktion ja das Abdichten ist, noch weitere Informationen abringen?“, erklärt Dr. Ernst Osen, der bei Freudenberg global zuständig ist für die Werkstoffentwicklung. Neben Materialien, die Drehzahlen bestimmen oder Ströme messen können, bot sich das Temperaturmessen schon aus ökonomischer Perspektive als Lösung an.

„Wir grenzen das Material, das unsere Kunden verwenden, damit einfach besser ein – und können so viel zielgenauere Werkstoff-Empfehlungen aussprechen.“, sagt Dr. Ernst Osen. Denn in Bereichen, in denen die Maximaltemperatur bisher nicht ermittelt werden konnte oder schlicht nicht bekannt war, glich die Auswahl des richtigen Materials einem Lotteriespiel. Im Bereich von 100 bis 300 °C lässt sich die Maximaltemperatur nun auf 10 °C genau bestimmen.

Schwerpunkt Elastomere

Zwei Jahre brauchte die Entwicklung mit Screening, Machbarkeits- und Kalibrierungsstudien. Der Fokus lag dabei, wie es bei einem Dichtungshersteller vermutet werden darf, auf Elastomeren. „Aber die Beschichtungen an sich sind haftfähig und können auch auf andere haftende Oberflächen wie Metalle aufgetragen werden“, erklärt Dr. Traber. Nur im Kontakt zu ölhaltigen Medien hat sich die Beschichtung in manchen Temperaturbereichen als etwas problematisch herausgestellt. An diesem Thema wird in Weinheim noch gearbeitet.

Noch befindet sich die Entwicklung in einem frühen Stadium. Auf der Hannover Messe wird sie zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Diskutiert wurde sie bisher vor allem mit Kunden aus der Automobilindustrie, aber auch mit einem Sportboothersteller wurden Vorversuche unternommen. Doch bei diesen eingeschränkten Branchenfeldern muss es nicht bleiben. Dr. Boris Traber: „Denkbar ist ein Einsatz überall dort, wo hohe Temperaturen eine Rolle spielen.“

Und auch bei den Materialien, auf die thermochrome Beschichtungen aufgetragen werden, sind viele Erweiterungen denkbar: Kunststoffe, PTFE, Polyurethane oder thermoplastische Elastomere. „Unser Ziel ist es, das Thema erst einmal weit auszurollen, alle möglichen Werkstoffe zu berücksichtigen und dann auf Anfragen von Kunden eine Anwendung zu haben“, erklärt Dr. Osen.

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  • Dr. Boris Traber ist bei Freudenberg für die Materialvorausentwicklung in Europa zuständig.

    Dr. Boris Traber ist bei Freudenberg für die Materialvorausentwicklung in Europa zuständig.

    Bild: Freudenberg

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