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Titelinterview „Der Schaltschrank lebt von Services“

Bild: Rittal
30.03.2016

Bei Industrie 4.0 denkt man zunächst nicht an den Steuerungs- und Schaltanlagenbau. Welches Potenzial jedoch in Verbindung mit der Digitalisierung der Wertschöpfungskette liegt, erläutert Uwe Scharf, Geschäftsbereichsleiter Produktmanagement bei Rittal, im Gespräch mit A&D.

A&D:

Beim Steuerungs- und Schaltanlagenbau denkt man nicht unbedingt an Industrie 4.0. Wie bringen Sie die Digitalisierung ins Spiel?

Uwe Scharf:

Wir liefern dem Anlagenbau alle Daten, Tools, Komponenten und Maschinen, die er von der Planung bis hin zur Montage von Schaltschränken braucht. Der komplette Prozess kann je nach Kundengröße und Anforderung nach Bedarf automatisiert gestaltet werden. Entscheidend sind durchgängige Daten über die gesamte Wertschöpfungskette.

Welche Vorteile ergeben sich durch die digitale Wertschöpfungskette im Steuerungs- und Schaltanlagenbau?

Fehler im Anlagenbau sind kostenintensiver, je später sie erkannt werden. Treten Fehler erst bei der Inbetriebnahme oder der Montage auf, wird es in der Regel sehr teuer. Projektverzüge sind häufig die Konsequenz. Sind die Planung und das digitale Engineering schon mit den Montage- und Verdrahtungsprozessen verzahnt, lassen sich Probleme bereits im Vorfeld vermeiden. Das spart Kosten und Zeit. Deshalb gehört zur Friedhelm Loh Group neben Rittal seit 20 Jahren Eplan, welches das Engineering sicherstellt, und jetzt auch Rittal Automation Systems, das Handhabungs- und Automatisierungstechnik für den professionellen Schaltschrankbau im Angebot hat.

Bieten Sie den Komponenteneinbau und die Verkabelung als Dienstleistung an?

Nein, der Steuerungs- und Schaltanlagenbau ist definitiv nicht unser Geschäft, sondern unsere stärkste Kundengruppe, welche wir in ihrer Wertschöpfung aktiv mit Daten, Tools, Produkten und Maschinen unterstützen, um deren Produktivität zu verbessern.

Lässt sich der digitale Workflow mit Tools anderer Firmen aufrechterhalten?

Zunächst stellen wir unsere Daten in standardisierten Formaten über unsere Website www.rittal.de zur Verfügung. Dazu gehören sowohl kaufmännische Daten nach eCl@ss, ETIM usw. als auch 3D-Datenformate für beliebige CAD-Systeme. Im Bereich Elektrotechnik bieten wir vollständige, umfassende mechatronische Modelle über das Eplan Data Portal an. Hiermit wird aus unserer Sicht die höchste Effizienz erreicht.

Gibt es Richtwerte, wie sich der Steuerungs- und Schaltanlagenbau durch Rittals Dienstleistungen verbessert?

Mögliche Einsparungen sind von sehr vielen Faktoren abhängig, z.B. dem Grad der Standardisierung und Automatisierung, welche wir beim Kunden finden. Jede Optimierung bedingt daher zunächst einer Aufnahme der aktuellen Situation. Erst danach lassen sich Rückschlüsse für das Optimierungspotenzial angeben. Effizienzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich sind durchaus möglich.

Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie im Steuerungs- und Schaltanlagenbau 4.0?

Wir müssen uns noch stärker mit der Automatisierung im Schaltanlagenbau und somit den Maschinen beschäftigen. Hier sehen wir ein wachsendes Geschäftsfeld, denn bei der Montage der Schaltschränke gibt es noch viele individuelle, manuelle Arbeitsschritte, die häufig weder durch Maschinen noch durch Software unterstützt werden. Hier lässt sich durch zusätzliche Automatisierung sowohl die Produktivität als auch die Qualität noch erhöhen.

Gibt es auch Synergien zwischen Rittals Expertise im IT-Geschäft und dem Steuerungs- und Schaltanlagenbau?

Prinzipiell unterscheiden wir in der Industrie-IT zwei Bereiche. Einmal werden heute typische IT-Produkte häufig im industriellen Produktionsumfeld eingesetzt. Durch das Programm „Rittal - Das System.“ sind alle diese Komponenten automatisch auch in unsere Industrieprodukte einbaubar (beispielsweise 19"-Technik) und damit sicher vor Staub, Feuchte etc. geschützt. Zum anderen benötigt die Industrie im Bereich Rechenzentren die gleiche Ausstattung wie andere Zielgruppen auch, beispielsweise Banken oder Versicherungen. Unterschiede gibt es lediglich in der Anzahl der benötigten Server, die häufig nicht so hoch ist. Rittal bedient das komplette IT-Segment vom IT-Rack über Container bis hin zu großen Rechenzentren.

Verändert sich Rittals Geschäft in Richtung Service und Beratung?

Ja, wir haben in den letzten Jahren an unterschiedlichen Stellen System-Beratung und -Consulting aufgebaut. Im Engineering-Bereich von Eplan ist das klassische Beratungsgeschäft schon immer eine wichtige Säule, bei Rittal intensiviert es sich in den letzten Jahren. Mittlerweile gehen wir zusammen mit Eplan stärker in die Prozessberatung über die Produkte bis hinein in die Werkstatt.

Geht das nicht zu Lasten des klassischen Geschäfts?

Nein, der Schaltschrank bleibt letztendlich der Kern unseres Geschäfts. Aber das Lösungsangebot rund um den Schaltschrank wird größer. Die Differenzierung im Schaltschrankgeschäft liegt nicht nur im Produkt selber, sondern zunehmend in den Datenmodellen und den Services rund um den Schrank.

Damit differenzieren Sie sich auch vom Wettbewerb?

Auf jeden Fall! Wenn ich heute einen Schaltschrank inklusive der entsprechenden Modelle und Services liefere, spare ich dem Kunden mehr Geld im Gesamt-Engineering-Prozess, als er durch Auswahl eines einfacheren Schaltschranks einsparen kann. Betrachtet man den gesamten Prozess, so sind die Kosten für die Produkte nicht die ausschlaggebende Größe. Deswegen zählen die Digitalisierung, zusätzliche Dienstleistungen, Beratung und ein 24-Stunden-Lieferservice zu den entscheidenden Kriterien für den Schaltschrankbau der Zukunft.

Mit Industrie 4.0 wandert aber immer mehr Intelligenz aus dem Schaltschrank in die Geräte. Werden in zehn Jahren Schaltschränke überhaupt noch benötigt?

Ja! Natürlich gibt es die dezentrale Antriebstechnik, die Fördertechnik, wo Komponenten aus dem Schaltschrank wandern. Durch die Miniaturisierung der Bauteile werden die Schaltschränke künftig auch kleiner. Auf der anderen Seite entstehen permanent neue Applikationen, in denen Schaltschränke zum Einsatz kommen. In den letzten 15 Jahren waren es die erneuerbaren Energien. Aktuell entstehen Märkte bei Energiespeichern. An die hat bis vor kurzem noch keiner gedacht. Oder nehmen Sie das Thema Smart Grid, bei dem an jeder Stelle Energieeffizienz gemessen wird. Es gibt so viel neues Equipment, durch das viel Elektronik in einen Schaltschrank wandert. Wir machen uns also keine Sorgen um unser Kerngeschäft.

Mehr über Rittals digitale Strategie erfahren Sie in unserer Titelreportage.

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