Smart Traffic & Mobility „Der Bus ist klarer CO2-Champion“

05.08.2014

In Deutschland locken günstige Fernbuslinien immer mehr Reisende. Und in den Mega­metropolen der Schwellenländer sollen Schnellbussysteme die chronisch verstopften Straßen entlastet. Ein Gespräch mit Hartmut Schick, dem Leiter der Bussparte von Daimler.

Mobility 2.0: Herr Schick, immer mehr Reisende nutzen Fernbusse statt der Bahn. Ist das nicht eine Entwicklung, die sich fatal auf den Klimaschutz auswirkt?

Hartmut Schick: Untersuchungen des Umweltbundesamtes zeigen klar, dass der Reisebus im Vergleich zu Auto, Bahn oder gar Flugzeug das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Ein Reisebus liegt bei zirka 25 Gramm CO2 pro Kilometer und Passa­gier. Die Eisenbahn kommt im Fernverkehr auf mehr als den doppelten Wert. Die ständigen Verbesserungen an Antrieb und Fahrzeugen führen dazu, dass der Bus klarer CO2-Champion ist.

Das setzt aber immer voraus, dass der Bus auch gut besetzt ist.

Die genannten Werte sind bewusst so gestaltet, dass man beim Reisebus nur eine 60-prozentige Auslastung annimmt. Das ist realistisch.

Wie nachhaltig ist denn der Boom bei den Fernbuslinien? Sind viele Nutzer nicht einfach nur neugierig?

Ich glaube, dass der Erfolg nachhaltig ist. Die Kunden stammen aus allen Altersschichten, von jung bis alt. Der Fernbus ermöglicht eine günstige Mobilität. Gleichzeitig sind die Omnibusse sehr gut ausgestattet, zum Beispiel mit komfortablen Fahrgast­sitzen und technischem Equipment wie WLAN, die das Transportangebot sehr attraktiv und komfortabel machen.

Momentan ist der Markt stark fragmentiert.

Es werden vor allem Strecken bedient, die mit dem Zug nur sehr umständlich zu bereisen sind. Freiburg-München ist so ein Beispiel. Diese Strecken werden heute vielfach von kleineren Fernbuslininen-Betreibern abgedeckt. Aber das wird sich mit steigender Nachfrage und einem größeren Streckennetz ändern.

Wie viele Fernbuslinien verträgt Deutschland denn?

Derzeit werden über 250 Linien bedient. Wir gehen davon aus, dass in Deutschland der Markt wachsen wird. Das sehen wir auch an anderen Län­dern, in denen das Fernbus­system bereits gut funktio­niert – Spanien oder die Türkei etwa. Das am besten organisierte Land ist wahrscheinlich Mexiko, dort gibt es richtige Fernbus-Terminals wie am Flughafen, einschließlich First und Business Class. Wenn der Markt in Deutschland erst einmal mengenmäßig belegt ist, beginnt der Kampf um die Passagiere. Und da spielt dann nicht nur der Preis eine Rolle.

Sondern?

Der Preis ist dabei nicht unwichtig, muss aber Teil eines Gesamtpakets sein, über das der Kunde entscheidet. Hier spielen die Ausstattung und der Komfort an Bord des Busses eine große Rolle. WLAN zum Beispiel ist für jüngere Fahrgäste sehr wichtig.

Welche Rolle spielen denn die Fernbuslinien für den Absatz von Reisebussen?

Im ersten Jahr gab es kaum Neubeschaffungen. Wir sehen jetzt einen zusätzlichen Markt in Deutschland von jährlich 200 bis 250 Reisebussen.

Und weltweit?

Das kommt immer darauf an, wie weit der jeweilige Markt gesättigt ist. So bauen wir in Brasilien seit 55 Jahren Omnibusse. In solchen Märkten gibt es primär Ersatzbeschaffungen. Beispielsweise sehen wir in Indien besonderes Wachstum. Mit den verbesserten Autobahnverbindungen zwischen den großen Metropolen wächst dann auch der Bedarf an Busverbindungen. Indien wird sich wie Brasilien oder Mexiko entwickeln. Daher haben wir Anfang 2014 den Grundstein für eine neue Fabrik in Indien gelegt. Mit der lokalen Fertigung werden wir in diesem Wachstumsmarkt angreifen.

Unterscheiden sich die im Linienverkehr eingesetzten Reisebusse von anderen Reisebussen?

Grundsätzlich gleicht kein Omnibus dem anderen. Pro Bus haben unsere Kunden rund zehn Sonderwünsche – aber nicht nach Ausstattungs-Liste, sondern eigens entwickelte Ausstattungen nach Kundensonderwunsch. Als Bushersteller erfüllen wir diese gerne – unabhängig davon, ob sie einen Fernbus oder einen anderen Reisebus betreffen. Dabei ist Vernetzung oder Internet-Zugang für unsere Kunden im Fernbusmarkt ein entscheidender Punkt. Hinzu kommt die Barrierefreiheit, die ab 2016 auch im Reisebus gegeben sein muss. Dafür haben wir einen Hublift entwickelt, den wir auf der IAA vorstellen werden. Alternativ dazu wird der Doppelstock-Bus, der zunehmend zum Einsatz kommt, mit dem typisch niedrigen Einstieg mit Plätzen für Rollstühle ausgestattet. Zudem werden Reisebusse dafür vorbereitet, auch große Kindersitze aufzunehmen. Für alle Fernbusbetreiber ist Sicherheit grundsätzlich ein großes Thema.

Neben dem Fernbus sind die Bus-Rapid-Transport-Systeme ein wichtiges Wachstumsfeld. Wird auch bei solchen BRT-Systemen der Omnibus die Schiene verdrängen?

Ich halte nichts von einem „Entweder oder“. Jede Metropole braucht eine U-Bahn. Die schienengebundenen Systeme bieten eine Transportkapazität, die mit Schnellbussystemen nicht darzustellen ist. Aber der Mix ist entscheidend, gerade in schnell wachsenden Metropolen. Für die gleichen Kosten können Sie sieben Kilometer U-Bahn oder 426 Kilometer BRT-System bauen. Nicht unerheblich ist auch der Faktor Zeit: Im Schnitt dauert der Aufbau eines BRT-Systems ein bis zwei Jahre, bei einer U-Bahn sind es sieben bis acht Jahre. Im Betrieb entscheiden dann die Vollkosten pro Sitz, da liegen Stadtbahnen 41 Prozent über den BRT-Systemen.

Also sind BRT-Systeme besonders für den Einsatz in schnell wachsenden Schwellenländern geeignet.

Nicht nur. So wurde in Straßburg gerade ein BRT-System eingeführt. Wir haben das mit unseren Verkehrsplanern begleitet – und es funktioniert in dieser gewachsenen Stadt hervorragend.

Wie groß ist denn der Abstand zur Stadtbahn in der Transportkapazität unter optimalen Bedingungen?

Für den türkischen Markt haben wir mit dem Mercedes-Benz CapaCity ein eigenes Gelenk-Fahrzeug mit einer Gesamtlänge von 19,5 Meter entwickelt, das zwischen 180 und 200 Personen fasst. Die Linienbusse fahren teilweise im 20-Sekunden-Takt – da kommt man sehr nah an die Transportkapazität einer Straßenbahn.

Was braucht man dafür denn an Infrastruktur?

Ideal sind völlig separate Fahrspuren und ein richtiges Terminal mit ebenerdigem Einstieg. Dann kann man längere Gelenkzüge einsetzen, mit sehr vielen Türen, damit Ein- und Ausstieg möglichst rasch funktionieren. Die Geschwindigkeit des Fahrgastwechsels ist entscheidend für die Gesamteffizienz des Systems.

Ihre Pkw-Kollegen bieten ja mittlerweile komplette Mobilitätslösungen an. Wäre denn für Sie eine ähnliche Entwicklung denkbar?

Heute ist es so, dass wir mit unseren Beratern, die sehr viele Bussysteme bis ins Detail kennen, einer Stadt Anstöße zum Aufbau eines BRT-Systems geben können – aber die Planung macht die Stadt selbst und wir verkaufen idealerweise die Fahrzeuge dazu.

Lassen Sie uns zuletzt noch über den Antrieb für den Omnibus der Zukunft reden. Bei Ihnen kann man Hybridbusse bereits kaufen – tut das auch jemand?

Für alle Hersteller gilt: Die Stückzahlen sind so klein und damit die Herstellkosten so hoch, dass keine Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Obwohl der Hybridantrieb je nach Anwendung und Jahreszeit bis zu 30 Prozent Kraftstoff einsparen kann, erreichen die Betreiber keinen Break-even. Wir haben in fünf Jahren 100 Hybridbusse verkauft. Deswegen entwickeln wir ein modulares System, bei dem wir Hybridkomponenten gemeinsam mit anderen elektrifizierten Bussen und Nutzfahrzeugen aus unserem Haus nutzen. Nur so bekommen wir Skaleneffekte und machen die Technologie annähernd rentabel.

Und wann kommt der Brennstoffzellenbus mit Elektro­antrieb?

Die Brennstoffzellentechnologie entwickelt sich im Pkw-Bereich rasch weiter – bei Daimler, aber auch bei anderen Herstellern. Klar ist, dass auch wir so viel wie möglich von dieser Technologie aus unserem Haus nutzen werden. Wie schnell sich der Brennstoffzellenbus durchsetzt, hängt aber vor allem von politischen Entscheidungen zur Infrastruktur ab.

Das Interview führte Johannes Winterhagen, Mobility 2.0

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