Smart Building Demografischer Wandel als Chance

In Bewegung: Im Dynamikum, einem Mitmachmuseum, lernen alle Generationen dazu.

18.02.2014

Viele Klein- und Mittelstädte verlieren junge Leute an wirtschaftlich attraktivere Ballungsräume. Städte wie Pirmasens stemmen sich dagegen, indem sie für Jung und Alt Anreize schaffen. Wie seine Erfahrungen sind, wollte Urban 2.0 vom Oberbürgermeister bei einem Besuch wissen.

Schuhe herstellen – das war es, wovon viele Menschen in Pirmasens lange Zeit direkt oder indirekt lebten. Die Stadt in der Westpfalz galt sogar als deutsche Schuhmetropole. Produktion und Handel florierten, bis die Stadt im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde. Hinzu kamen wirtschaftliche Umwälzungen durch die Globalisierung, die seit den 1980er Jahren 15.000 Arbeitsplätze in der Schuhindustrie zerstörten.

Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit verließen viele Menschen die Stadt und suchten nach neuen Perspektiven. Vor allem junge Menschen zieht es seitdem in interessantere wirtschaftliche Gebiete, in denen sie bessere Chancen haben, Arbeit zu finden und eine Familie zu gründen. Abwanderung – nicht nur ein Problem ländlicher Regionen.

Um den sinkenden Einwohnerzahlen und dem Geburtenrückgang entgegenzuwirken und gleichzeitig der älter werdenden Bevölkerung gerecht zu werden, hat Pirmasens in den letzten Jahren einige Initiativen auf den Weg gebracht, die die Stadt wieder mit Leben füllen sollen. „Das Schrumpfen einer Stadt zu organisieren, ist jetzt die wichtigste Aufgabe“, betont Dr. Bernhard Matheis, Oberbürgermeister von Pirmasens. Und meint damit, den Menschen Perspektiven zu bieten, damit sie bleiben.

Ökologischer Fortschritt

Das bedeutet natürlich auch, die Unternehmen, die jetzt mit vollkommen anderen Produkten am Markt sind, zu unterstützen. Das funktioniert beispielsweise durch die Förderung von Unternehmen, die sich auf energieeffiziente Technologien konzentrieren, wie der Herstellung von LED-Leuchten.

Auch tauschen sich städtische Einrichtungen und Unternehmen aus, geben ihr Know-how gegenseitig weiter, um davon zu profitieren. So arbeitet zum Beispiel das Pirmasenser Prüf- und Forschungsinstitut mit einem Unternehmen zusammen, das Anlagenteile für Kläranlagen herstellt, um die Effizienz der städtischen Anlage zu verbessern. Noch ist das entwickelte Konzept mitten in der Erprobungsphase. Wenn es funktioniert und wirtschaftlich umgesetzt werden kann, könnte zum einen der Energiebedarf von Abwasseranlagen im Betrieb um bis zu 20 Prozent gesenkt und eine Verdoppelung bis Vervierfachung der Eigenenergie-Erzeugung erreicht werden. Zum anderen ließe sich die Technik vermarkten.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Anpassung der Infrastruktur. Hier geht es darum, den sinkenden Bedarf an Energie, Wasser und anderer Ressourcen oder Dienstleistungen zu managen. Die städtischen Straßen, Strom-, Telefon-, Gas- und Abwasserleitungen können nicht einfach gekappt oder stillgelegt werden, nur weil weniger gebraucht wird. „Die Infrastruktur muss für immer weniger Menschen aufrechterhalten werden, was natürlich zu einer Verteuerung der Unterhaltungskosten führt“, so Dr. Matheis. „Um diese zu minimieren, haben wir zum Beispiel eine Vielzahl von kleineren Kläranlagen mit einer intelligenten Steuerung in eine große Gruppenkläranlage integriert.“ Ein Straßenerneuerungskonzept setzt darauf, die Schrumpfungsprozesse zu bewältigen, aber zugleich nachhaltig zu sein.

Wohnen für Generationen

Aus der „Schuh-Vorgeschichte“ ergibt sich außerdem das Problem, dass sehr viele Fabrikgebäude mitten in der Stadt leerstehen. Um eine zukunftsfähige Innenstadt zu schaffen verfolgt Pirmasens den Rückbau und die Umnutzung veralteter Substanz. „Es sieht natürlich nicht besonders ansehnlich aus, wenn große Gebäude leer stehen. Wenn man sie aber einfach alle abreißen würde, reißt das Zahnlücken in ein Stadtbild“, sagt Dr. Matheis. Also verfolgt er eine Doppelstrategie: Zum einen Investoren gewinnen, um neue Funktionen für alte Gebäude zu verwirklichen, wie beispielsweise Einkaufszentren oder attraktiven Wohnraum, etwa großflächige Lofts. Zum anderen investiert die Stadt selbst, um Plätze für die Bevölkerung zu schaffen, wie beispielsweise das Dynamikum, ein über die Grenzen der Stadt hinaus bekanntes Wissenschaftsmuseum. Doch natürlich kommt man nicht darum herum, Häuser abzureißen. Schon alleine, um Grünflächen, Parks und Sportanlagen zu schaffen und dadurch den Freizeitwert der Stadt zu erhöhen, wie mit dem 2012 eröffneten Discgolf-Parcours.

Ferner entstehen Wohnformen mit Modellcharakter wie etwa „PS:Patio“, ein modernes, generationenübergreifendes Wohnangebot in umweltgerechter und energiesparender Bauweise für Senioren, Menschen mit Behinderungen, junge Familien, Alleinerziehende und Singles. Gerade auch seinen älteren Mitbürgern widmet Pirmasens besondere Aufmerksamkeit, machen die über 60-Jährigen doch gut ein Drittel der Bevölkerung aus. Im Mittelpunkt steht die gegenseitige Unterstützung der Bürger. So wird bei Bedarf der Einkauf durch die Jüngeren mit übernommen, man bildet Fahrgemeinschaften, wenn Erledigungen bei weiter entfernten Behörden und Ämtern nötig sind und kümmert sich auch um die Freizeit­gestaltung.

In den ersten 18 barrierefreien Wohnungen leben die Mieter nun schon seit fast einem Jahr nebeneinander und mit­einander. Insgesamt sollen es vier Mehrfamilienhäuser werden sowie zehn Einfamilienhäuser. Zentrum der Anlage ist ein Nachbarschaftszentrum, in dem sich alle Bewohner des Quartiers regelmäßig treffen und austauschen.

Einbindung der Bevölkerung

Neben all diesen Maßnahmen fördert Pirmasens auch Kultur und Tourismus in der Region. Zum Beispiel eröffnete vor Kurzem das Kulturzentrum „Forum Alte Post“ in einem komplett renovierten Gebäude aus der Kaiserzeit. In Bars finden Konzerte statt, Stadtfeste fördern das Miteinander der Menschen. Fest im Terminkalender stehen auch der Pfälzerwald-Marathon unter dem Motto „Laufsport inmitten der Natur“ oder das Festivalorchester Euroclassics.

2013 war ein ganz besonderes Jahr, denn die Stadt feierte ihr 250. Jubiläum und war zusätzlich Austragungsort des großen Landesfestes. Als Abschluss wurde Pirmasens im November der Titel „Deutschlands nachhaltigste Stadt mittlerer Größe“ verliehen. Die Jury überzeugte das innovative Krisenmanagement, das sich durch eine starke nachhaltige Komponente und die Konzentration aufs Wesentliche auszeichne. Im Wesentlichen bedeutet das, dass die Stadt sich ihren Problemen stellt und diese auch aktiv angeht. „Grundlage bleibt unsere Strategie, den Herausforderungen aus Strukturwandel, demografischer Entwicklung und Ökologie mit abgestimmten Projekten in vielen Politikbereichen der Stadt engagiert entgegenzutreten“, erklärte Dr. Matheis bei der Preisverleihung.

In den vergangenen Jahren wurden unter dem Leitbild „soziale Stadt“ zahlreiche Projekte ins Leben gerufen. Darunter auch „Pakt für Pirmasens“, um die jüngere Generation für die Zukunft zu wappnen: Er eröffnet benachteiligten Kindern über ein Netzwerk aus staatlichen und ehrenamtlichen Initiativen Entwicklungs-, Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten (siehe Kasten unten).

Bildergalerie

  • Lebensraum für Generationen: Gemeinsames und dennoch individuelles Wohnen und flexible Wohnformen für Jung und Alt

    Lebensraum für Generationen: Gemeinsames und dennoch individuelles Wohnen und flexible Wohnformen für Jung und Alt

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel