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DC-Nanogrids Neuer Anlauf für Gleichstromnetze im Haushalt und Büro

19.10.2017

Aktuelle Diskussion auf dem Imec International Technology Forum 2017

Die weiträumige Verteilung und Nutzung der elektrischen Energie per Wechsel- oder Drehstrom ist eine technikgeschichtlich bedingte Entwicklung, die erst in den letzten Jahren systemisch hinterfragt wird. Die Anlagen und baulichen Infrastrukturen stationärer Verbraucher basieren überwiegend auf der Versorgung mit 50-Hz-Wechselstrom (AC). Andererseits laufen schon heute bis zu zwei Drittel des Verbrauchs in Privathaushalten und kommerziellen Gebäuden über Geräte mit Gleichstrombetrieb (DC). Ein neues Argument für lokale DC-Netze ist die stark nachgefragte häusliche Energieerzeugung und -speicherung mit Solarpanels und Batteriespeichern. Beides basiert auf Gleichstrom.

Also ist es angebracht, intensiv über die Ausstattung oder Umrüstung von Gebäuden auf DC-Verteilnetze ("DC Nanogrids") nachzudenken. Imec – Europas führendes Forschungs- und Innovationszentrum für Nanoelektronik und digitale Technologien – hat sich auf seinem am 16. und 17.5. in Antwerpen abgehaltenen Imec Technology Forum 2017 eingehend mit diesem Fragenkomplex befasst. Dazu wurden namhafte Experten aus Forschung und Industrie eingeladen, um die Vorteile der DC Nanogrids in Haushalten und Bürogebäuden zu erläutern und diskutieren.

Warum heute AC dominiert - und warum DC besser wäre

Ein kurzer Rückblick auf die Technikgeschichte verdeutlicht die Gründe für die heutige Versorgungssituation. Zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es in den USA einen grundsätzlichen Streit zwischen den Anhängern und finanziellen Unterstützern der Elektrizitäts-Pioniere Nicola Tesla und Thomas Alva Edison. Der Ausgang dieses Streits, in den USA als ‘Current War’ bekannt, bestimmt bis heute das Format der weltweiten Elektrizitätsversorgung und die Struktur der öffentlichen Netze. Die damals lebhaft diskutierte Frage war, in welcher Form die neue elektrische Energie an ihre Abnehmer verteilt werden sollte: als periodisch alternierender Wechselstrom (AC) oder konstant fließender Gleichstrom (DC)? Tesla war der Befürworter des weiträumigen Energietransports über Hochspannungsnetze mit Wechselstrom. Edison hingegen propagierte die lokale DC-Verteilung mit dezentraler Stromerzeugung und kurzen Wegen zum Verbraucher – ein Ansatz, der heute, aus ökologischen Überlegungen, wieder überzeugte Anhänger findet.

Zum Zeitpunkt der damaligen Diskussion und auf der gegebenen Entwicklungsstufe der Technik hatte die DC-Verteilung ihre Begrenzungen, in erster Linie durch die wenig effiziente Niedervolt-Übertragung über größere Entfernungen. Deshalb fiel die Entscheidung zugunsten der von Tesla befürworteten Wechselstromtechnik mit der Frequenz von 60 bzw. 50 Hz. Einer der Hauptgründe für die Einführung der weiträumigen AC-Verteilung war natürlich das Vorhandensein von Transformatoren zur einfachen Auf- und Abwärtsumsetzung der Spannungspegel im Sinne möglichst kleiner Ströme – und damit geringerer thermischer Verluste - auf den Übertragungsleitungen. Damit gewann Teslas Konzept die Führungsposition, die sie bis heute innehat: Die AC-Versorgung dominiert die öffentliche Stromversorgung von der Erzeugung über das Verteilnetz bis zur Steckdose der stationären Verbraucher.

Allerdings konstatiert man derzeit einen gewissen Sinneswandel über die universelle Geltung der AC-Technologie, wie Johan Driesen, Professor für Leistungselektronik und Elektromobilität an der Katholieke Universiteit Leuven und Ko-Direktor der Forschungskooperative EnergyVille im belgischen Genk, als prominenter Gastredner auf dem Imec ITF 2017 darlegte. Diese Änderungen laufen auf eine Revolutionierung der Elektrizitätsversorgung hinaus und räumen der Gleichstromversorgung neue Chancen ein. "Am bedeutsamsten ist das Aufkommen der LED-Beleuchtung, die von Natur aus mit Gleichstrom betrieben wird." Das nächst wichtige Argument für den Einsatz von Gleichstrom ist laut Driesen der Übergang zur lokalen Stromerzeugung und Selbstversorgung per Photovoltaik auf dem eigenen Hausdach." Das ist ebenfalls eine natürliche DC-Domäne. "Die lokale Erzeugung wird komplettiert und effizienter durch die lokalen Batteriespeicher."
Hinzu kommen neue Haushaltgeräte, die mit DC betrieben werden – PCs, Laptops, Router, Modems, Klimaanlagen und Kühlschränke, neben der rasch wachsenden Zahl von batterie-betriebenen Datengeräten, die zu ihrer Aufladung Gleichspannungsquellen benötigen. Auch die Vernetzung der Aufladestationen für Elektrofahrzeuge im Rahmen im Rahmen lokaler DC-Nanogrids sollte man hier als weiteres Argument einbeziehen. Ähnliches gilt, so Driesen, für die eigenständigen Bordnetze von Flugzeugen und Schiffen.

Die Frage ist also, warum man nicht bereits heute lokale DC-Netze in Wohngebäuden, Büros und in kleineren Industriebetrieben einrichtet und betreibt. Driesen: "Wir haben dazu an der Universität Leuven einen Modellversuch als Kostenvergleich zwischen Gebäuden mit konventioneller AC-Versorgung und solchen mit internen DC-Netzen durchgeführt, unter Einbeziehung der PV-Generation und Batteriespeicherung." In AC-versorgten Gebäuden werden alle Stromverbraucher und -erzeuger einschließlich der PV-Panels und Batterien über separate AC/DC-Wandler angeschlossen und vernetzt. In einem DC-vernetzten Gebäude hingegen gibt es nur mehr DC/DC-Wandler und einen einzigen AC-Inverter zur Verbindung mit dem öffentlichen Stromnetz. "Die Ergebnisse des Modellversuchs zeigen auf, dass ein reines DC-Netz um 35 Prozent kostengünstiger sein kann hinsichtlich der Kapitalkosten seiner Einrichtung, und um 10 Prozent kostengünstiger in Bezug auf den Stromverbrauch. Insofern erscheinen lokale DC-Nanogrids sehr sinnvoll."

Der gleichen Ansicht ist Marija Zima, Abteilungsleiterin für Leistungs- und Energiesysteme beim schweizerischen Hersteller ABB, die ebenfalls auf dem Imec ITF 2017 zu Wort kam: “Ein großer Teil des weltweiten Verbrauchs an elektrischer Energie betrifft Wohngebäude und Fahrzeuge. Der technologische Fortschritt in diesen wichtigen Bereichen führt zu einem immer größeren Anteil von Equipment, das von Hause aus mit Gleichstrom betrieben wird. Das ist ein Zukunftsthema, mit dem wir uns schon heute befassen müssen.”

Wie ist der Übergang auf DC-Nanogrids zu schaffen?

“Das Konzept der Einrichtung von DC-Nanogrids in Gebäuden ist nicht ganz neu", konstatiert Jef Poortmans, Wissenschaftlicher Direktor der Photovoltaik bei Imec und für die R&D-Strategie des Forschungsprojekts EnergyVille zuständig. “Wir müssen jetzt unseren Vorstoß in Richtung lokaler DC-Netze mit weiteren Forschungsaktivitäten und ergebnis-orientierten Experimenten unterlegen. Deswegen haben wir die DC-Nanogrids zu einer der Speerspitzen von EnergyVille gemacht."

Das Projekt EnergyVille zählt zu den weiträumigsten Forschungs- und Industrie-Kollaborationen in Europa im Bereich der Energieversorgung. EnergyVille ist ein Zusammenschluss der belgischen Forschungsinstitute der Katholieke Universiteit Leuven, des Forschungsinstituts VITO (Flermish Institute for Technological Research), Imec und Universiteit Hasselt zur Entwicklung nachhaltiger und intelligenter Energiesysteme. Poortmans: "Unsere Forscher bieten ihre Expertise der Industrie und den öffentlichen Verwaltungen an. Das übergreifende Ziel ist der Übergang auf energie-effiziente Gebäude und intelligente Netze für nachhaltige urbane Umgebungen. Das umfasst auch Smart Grids und fortschrittliche Konzepte für Fernwärme und -kühlung." Nach dem Willen der Gründer soll EnergyVille eines der fünf europäischen Spitzen-Institute für die innovative Energieforschung werden. "Darum wurde EnergyVille von Anfang an in den Kontext nationaler und internationaler Forschungsnetzwerke eingebettet.”

Doch es braucht mehr, um einen epochalen Wandel der Energieversorgung als die Entwicklung und Optimierung passender Technologien zu schaffen, sagt Paul Matthijs, CEO von Niko, einem Marktführer für innovative und smarte Steckverbinder für die Energieübertragung und von Anlagen im Bereich der Home Automation. Vor allem, so Matthijs, müssen die Consumer gewonnen und überzeugt werden, damit sie die Idee der DC-Nanogrids akzeptieren. “Am Ende des Tages müssen wir alle die Kosten dafür gemeinsam übernehmen. Und das geschieht nur, wenn jeder klare persönliche Vorteile sieht.”

“Was wir dringend brauchen", argumentiert Mattijs, "sind transnationale Standards, damit die Früh-Adaptoren der neuen Technik nicht in ihren Wahlmöglichkeiten begrenzt sind, wenn sie sich später als nicht zielführend herausstellen sollten. Auch müssen Industrie und Forschung eine Nutzer-orientierte Sprache verwenden, um die neuen Ideen zu propagieren. Nur über Netz-Balancierung und Wandlerverluste zu sprechen, wird nicht übermäßig viele Enthusiasten für die DC-Versorgung gewinnen. Stattdessen sollten wir den Anwendern aufzeigen, dass lokale Gleichstromnetze mehr Komfort bieten, finanzielle Vorteile bringen und das Leben einfacher machen." Die gegenwärtige Einführung der Smart Meter zur Verbrauchsmessung mit ihren divergierenden Standards und unklarem ökonomischen Gewinn, warnt Mathijs, sollte als abschreckendes Beispiel dienen.

Was muss auf der Technologieseite unternommen werden?

Auf dem ITF 2017 kamen auch Sprecher zu Wort, die die bestehenden Optionen für zukünftige DC-Nanogrids präsentierten. So hat Bart Onsia, Innovation Program Manager bei Imec, die Frage untersucht, wie sich die Solarstromerzeugung enger in die Infrastruktur von Gebäuden integrieren lässt. “Wenn wir die steigenden CO2-Pegel angesichts des wachsenden Bedarfs an Elektrizität reduzieren wollen, brauchen wir die Entwicklung und den Einsatz von PV-Technologien mit höheren Wirkungsgraden. Und da 40 Prozent der Elektrizität in Gebäuden konsumiert werden, sollte diese höher effiziente Photovoltaik auch dort zum Einsatz kommen.”

Onsia sprach sich explizit für die BIPV-Technik (Building Integrated PV) der Solarstromerzeugung aus, die nicht nur die Dachflächen, sondern das gesamte Gebäude, also auch die vertikalen, nach Osten oder Westen ausgerichteten Fassadenteile zur Energiegewinnung nutzt. Er präsentierte dazu geeignete Technologien, die sich trotz Massenfertigung auch günstig in kundenspezifischer Auslegung herstellen lassen. Das sind etwa Technologien auf der Basis von Textilgeweben zur Verbindung von PV-Zellen zu Modulen unterschiedlicher Größe, halbtransparente Dünnfilmzellen oder smart verdrahtete Module, die unempfindlich gegenüber Abschattung sind. Alle diese Technologien sind bei Imec eingehend untersucht und soweit ausentwickelt worden, dass sie von der Industrie aufgegriffen werden können.
Mit Blick auf den Innenraum der Gebäude diskutierte Matthias Strobbe (Senior Researcher bei Imec/IDlab/UGent) die mangelnde Interoperabilität der heute angebotenen Smart Appliances im Haushalt. Er beschrieb den Aufbau eines Smart Home Lab bei Imec, in dem Forscher und Entwickler Geräte testen, passende Middleware für deren Interoperabilität entwickeln und das Nutzerverhalten modellieren.

Peter Coenen, Senior Expert bei VITO und EnergyVille, sprach über den Stand der Technik bei Batteriespeichern und die Notwendigkeit der Entwicklung und des Einsatzes von smarten Batterie-Managementsystemen: “Auch heute ist die Wirtschaftlichkeit der Batteriespeicherung immer noch nicht überall erkennbar. Wir brauchen Managementsysteme, die eine bessere Überwachung der Ladepegel und Ladezeiten von Batterien ermöglichen, die aktuelle Kapazität (state of health) einzelner Batterien verfolgen oder die Batterien in Arrays balancieren.”

Ein weiterer wichtiger Input zum Thema DC-Nanogrids kam von Joff Derluyn, CTO von EpiGaN, einer Ausgründung von Imec zur Entwicklung von Galliumnitrid-Substraten (GaN) für die Leistungselektronik. “Alle Vorhersagen und Abschätzungen für zukünftige Gleichstromnetze hängen davon ab, wie effizient die Halbleiterbausteine zur Leistungswandlung sein werden. Deren Effizienz basiert auch auf den eingesetzten Materialien. “GaN ist dafür sehr viel besser geeignet als Silizium, wenngleich auch sehr viel teurer. Deshalb verfolgt EpiGaN eine Kompromisslösung: die Deposition von GaN auf billigeren Si-Substraten. Leistungswandler auf der Basis dieser Wafer versprechen nicht nur höhere Effizienz, sondern auch höhere Arbeitstemperaturen, höhere Leistungsdichten und schnelleres Schaltverhalten. Damit werden sich wesentlich kompaktere Konverter bauen lassen, als es heute möglich ist.”

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