Smart Traffic & Mobility Hohe Drehzahlen statt Seltene Erden

Elektrischer Achsantrieb: Den Kern des Moduls bilden ein Elektromotor mit einer Spitzenleistung von 90 kW sowie eine integrierte Übersetzungseinheit.

11.09.2013

Ein kompaktes und effizientes elektrisches Achsantriebsmodul für kleine und mittlere Pkw setzt neue Maßstäbe. Der Asynchronmotor des Moduls ist auf 21.000 Umdrehungen pro Minute ausgelegt und kommt ohne Seltene Erden aus.

Trotz laufender Fortschritte in der Batterietechnologie gilt der Stromspeicher unverändert als der limitierende Faktor, wenn es um die Reichweite von rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen geht. Daher wird die Anzahl von E-Autos zunächst vor allem in städtischen Ballungszentren steigen, in denen Pkw durchschnittlich weniger als 60 Kilometer pro Tag zurücklegen. Lokal emissionsfreies Fahren ist dort umso mehr gefragt, da die Urbanisierung und das damit verbundene Bevölkerungswachstum zu steigendem Verkehrsaufkommen und damit höherer Schadstoff- und Lärmbelastung führen. Folglich legte ZF sein elektrisches Pkw-Achsantriebsmodul für Klein- und Kompaktfahrzeuge aus, die vor allem für den Einsatz in Städten konzipiert sind. Das vorrangige Ziel der Entwickler lautete dabei, das batteriebedingte Reichweitenlimit durch einen maximal effizienten und zugleich kostengünstigen E-Antrieb zu erhöhen - anstatt bei einer leistungsfähigeren Batterie anzusetzen, die das E-Auto stark verteuern würde. Der dabei verfolgte ganzheitliche Ansatz umfasst neben einem neuen E-Motorkonzept auch Getriebe, Leistungselektronik sowie Steuersoftware. Nicht zuletzt ist der elektrische Achsantrieb als ergänzendes Hinterachs-Hybridmodul für frontangetriebene Autos mit Verbrennungsmotor geeignet, die mehr als 75 Prozent aller weltweit produzierten Pkw ausmachen. Auch achtete ZF bei der Entwicklung darauf, die im Vergleich zum konventionell angetriebenen Pkw veränderten Differenzierungsmerkmale batterieelektrischer Fahrzeuge zu berücksichtigen. Vorrangig ging es dabei um das Geräuschverhalten: Da das E-Auto keinen Verbrennungsmotor mehr besitzt, treten Getriebe und Antriebsstrang akustisch stärker hervor. Fallen die E-Komponenten nicht leise genug aus, könnte das rasch zu unzufriedenen Kunden führen. �?hnliches gilt für die Effizienz des Gesamtsystems, denn jedes Manko in diesem Bereich wäre für den Fahrer in Form geringerer Reichweite spürbar. Zudem legte ZF beim elektrischen Achsantriebsmodul großen Wert auf geringe Produktionskosten - schließlich gilt das Zielsegment der Klein- und Kompaktfahrzeuge als besonders preissensibel.

Effizient in der Praxis

Umfassende Forschungen und Simulationen sind notwendig, um den E-Motor als wichtigste Komponente des Antriebssystems in punkto Größe, Gewicht, Effizienz und Technologie zu optimieren. Denn immerhin findet hier die Umwandlung der elektrischen in die mechanische Energie statt. Der Fokus lag zunächst auf einem Konzeptvergleich zwischen der Asynchronmaschine (Asynchronous Machine - ASM) und den bislang häufig eingesetzten, permanenterregten Synchronmaschinen (Permanent-Magnet Synchronous Machine - PSM). Dabei orientierten sich die Ingenieure schwerpunktmäßig nicht ausschließlich an den Kriterien des allgemeinen „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ), sondern an besonders praxisnahen, kundenspezifischen Fahrzyklen für diese Pkw-Kategorie: Es ging um die Wirkungsgradoptimierung des Motors in jenen Drehzahl- und Leistungsbereichen, die Fahrer im Alltagsbetrieb besonders häufig abrufen. Nach intensiven Berechnungen stellte sich eine ASM mit neuartigem Hochdrehzahlkonzept als beste Lösung heraus: Unter der Devise „Leistung aus Drehzahl“ erreicht der Antrieb seine Zielleistung von maximal 90kW (30kW Dauerleistung) sowie das maximale Drehmoment von 1400Nm an der Achse aus hoher Motordrehzahl - bei maximaler Fahrzeuggeschwindigkeit immerhin 21.000 Umdrehungen pro Minute. Dadurch konnte das elektrische Achsmodul mit 45kg leicht und zudem kompakt ausfallen: Die gesamte Antriebseinheit ist nur 460mm lang, 325mm breit und 253mm hoch. Zugleich bedeutet das kompakte Design weniger Materialeinsatz und folglich geringere Kosten. Die häufig angeführten Gewichtsnachteile gegenüber der PSM gehören dank der Hochdrehzahl-Auslegung der Vergangenheit an. Stattdessen bietet die ASM weitere Pluspunkte: Anders als die PSM kommt sie technologiebedingt ohne Seltene Erden wie Neodym und Dysprosium aus. Die Verfügbarkeit und die entsprechende Preisentwicklung dieser Rohstoffe auf dem Weltmarkt schwanken stark - was für OEMs und Zulieferer der Elektromobilität ein kaum kalkulierbares Kostenrisiko bedeutet. Nicht zuletzt benötigt die ASM lediglich einen relativ einfachen, konventionellen Drehzahlsensor zum Ansteuern, während die PSM zum Erfassen der Läufer-Lage einen aufwendigen Drehwinkelsensor benötigt. Die Summe der Vorteile spiegelt sich in den Fahrleistungen des Demonstrationsfahrzeugs wider, das für Erprobungszwecke seit 2011 mit dem elektrischen Achsantriebsmodul unterwegs ist: Der inklusive Fahrer und Teilbeladung 1250kg schwere Kleinwagen beschleunigt emissionsfrei sowie ohne wahrnehmbare Antriebsgeräusche in nur 9s von 0 auf 100km/h und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 150km/h. Die hohe Fahrdynamik des Antriebs überzeugt. Zugleich bewältigt das E-Auto Steigungen von bis zu 35 Prozent. Der lautlose Antrieb sorgt außerdem für ein neues Fahrerlebnis.

Die Ruhe liegt im Getriebe

Drehzahlen von 21.000 Umdrehungen stellen in punkto Geräuschentwicklungen besondere Anforderungen an das Getriebe. ZF setzt beim elektrischen Achsantriebsmodul auf eine achsparallele Eingang-Übersetzung im Verhältnis 16:1, die das Drehzahlniveau in zwei aufeinanderfolgenden Stufen absenkt:

Im ersten Schritt ist ein Planetenradsatz verbaut. Dieser überträgt das Drehmoment dank symmetrisch um die Antriebswelle angeordneter Zahnräder besonders gleichmäßig, was hochfrequente Getriebegeräusche effektiv minimiert.
Erst im zweiten Schritt, bei bereits deutlich geringerem Drehzahlniveau, setzt ZF ein Stirnradpaar ein. Neben der wirkungsvollen Geräuschsenkung hat das Getriebe einen hohen Wirkungsgrad: Dieser liegt in weiten Bereichen oberhalb von 97 Prozent.

Daraus ergeben sich sehr gute akustische Eigenschaften des Antriebs im Fahrzeug. In den Testfahrzeugen verhält sich der E-Antrieb akustisch vollkommen unauffällig.

Verlustarme Umwandlung

Mit dem elektrischen Achsantriebsmodul löst ZF auch ein Problem, das in vielen rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen beim Zusammenspiel zwischen elektrischer Maschine und Wechselrichter auftritt. Letzterer wandelt den Batterie-Gleichstrom in den für die E-Maschinen benötigten, dreiphasigen Wechselstrom um. Genau dabei kommt es in bestimmten Fahrzyklen bei der üblichen Schaltfrequenz von 10kHz zu merklichen Schaltverlusten. Diese werden beim elektrischen Achsantriebsmodul durch eine spezielle Topologie vermindert: Durch das Anheben der Auslegungsspannung kann der Motorstrom bei unveränderten Leistungsdaten abgesenkt werden. Die Anhebung der Auslegungsspannung erfolgt durch einen Aufwärtssteller (Boost-Converter), der jedoch nur dann betrieben wird, wenn notwendig. Unter Berücksichtigung üblicher Fahrzyklen kann die Reichweite um bis zu sechs Prozent erhöht werden.

Mehr Leistung für alle Fälle

Das kompakte und effiziente elektrische Pkw-Achsantriebsmodul setzt mit hochdrehender Asynchronmaschine neue Maßstäbe bei der Leistungsdichte. Die Entwicklung zur Serienreife treibt ZF intensiv voran. Weitere Ausbaustufen sind bereits fest geplant: Das Leistungsniveau soll künftig auf mehr als 120kW skaliert werden und die 2000 Newtonmeter Achsdrehmoment übersteigen. Zugleich ist ein E-Antrieb-Baukastensystem mit verschiedenen Baulängen geplant, um die Anforderungen unterschiedlicher Kunden und Modelle abdecken zu können. In den leistungsgesteigerten Varianten bleibt das elektrische Achsmodul keinesfalls nur mehr Klein- und Kompaktwagen vorbehalten: Eingesetzt als Achshybridmodul, empfiehlt sich die E-Antriebsinnovation auch für Frontantrieb-Fahrzeuge bis hin zur oberen Mittelklasse.

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