Fachbeitrag Innovative Märkte für Smart Energy


Blick auf Halden: In Norwegens „innovativster Kleinstadt“ werden Energiethemen untersucht.

09.03.2012

Norwegen ist seit langem als führender europäischer Energieexporteur bekannt und beschäftigt sich deshalb auch mit Energiemarktthemen. Dabei gilt vor allem ein Städtchen im Südosten des Landes als bemerkenswertes Innovationszentrum, unter anderem auf dem Gebiet der Energie. Dort untersucht nun ein Projekt den Einfluss der breitenwirksamen Implementierung von „smarten“ Energietechnologien auf das zukünftige Marktdesign.

Die innovativste Kleinstadt Norwegens liegt eine Stunde südlich von Oslo direkt an der schwedischen Grenze. Die zu den weltweit führenden Energie- und IT-Clustern zählende Ortschaft trägt diesen Titel jedenfalls seit einer Studie der norwegischen Innovationsagentur aus dem Jahr 2011 - längst nicht die einzige Besonderheit für das Städtchen, von dem die norwegische Nationalhymne dank seiner Standhaftigkeit gegenüber den Schweden immer noch singt: „Wir entflammten lieber das ganze Land, als es zu Fall kommen zu lassen; erinnern wir uns nur an das, was drunten in Fredrikshald geschah.“

In Halden, wie der rund 30.000 Einwohner zählende Ort heute heißt, bildeten Sägewerksbetriebe und Holzproduktion im 17. Jahrhundert die Wirtschaftsgrundlage der seit 8000Jahren besiedelten Region. Sichtbare Zeichen der heutigen Industriestruktur sind eine Papierfabrik der Norske Skog sowie die Nexans-Kabelfabriken, in denen unter anderem Hochspannungs-Seekabel hergestellt werden.

Wirtschaftsfaktor Institut für Energietechnik

Bereits im Jahr 1948 wurde in der ehemals strukturschwachen Region das heute unabhängige Institut für Energietechnik gegründet. Mit rund 550 Mitarbeitern erwirtschaftet es inzwischen einen Umsatz von 100 Millionen Euro pro Jahr. Eng mit der Gründung des Institutes verknüpft ist auch das Halden-Reaktor-Projekt. Unter der Schirmherrschaft der OECD-Nuklearenergiebehörde fördern 18 Länder hier gemeinsam die Forschung an einem Versuchsreaktor in den Bereichen der effizienteren Brennstoffnutzung, der Materialforschung sowie der Optimierung von Mensch-Maschine-Systemen in Kontrollräumen.

1988 erhielt das Institut für Energietechnik zudem den Auftrag zur Entwicklung von NordPool, der ersten Energiebörse der Welt. Nach der erfolgreichen Marktimplementierung 1991 lag der Fokus zunehmend auf der Entwicklung von IT-Systemen für Unternehmen, die am Energiehandel teilnehmen und unter anderem mit Börsen- und Netzbetreibersystemen interagieren müssen. Diese Aktivitäten wurden im Jahr 1996 in eine eigenständige Gesellschaft, die Hand-El Skandinavia, ausgelagert. Im Jahr 2003 schließlich fand ein Executive-Team-Buy-Out statt, der den Grundstein für die Entwicklung des Unternehmens Navita legte, das heute weltweit einer der erfolgreichsten Hersteller von Energiehandels- und Risikomanagementsystemen ist.

NCE Smart Energy Markets

Das Norwegian Centre of Expertise (NCE) Smart Energy Markets ist das jüngste der zwölf norwegischen Expertisezentren, das vom norwegischen Staat als förderungswürdig erachtet wurde (siehe Abbildung auf Seite 55). Seit Juni 2009 wird der Cluster vom norwegischen Staat gezielt finanziell unterstützt, um mit nationalen und internationalen Partnern angewandte Forschungsprojekte durchzuführen. Diese beziehen sich im Kern auf die Fragestellung, welchen Einfluss die breitenwirksame Implementierung von „smarten“ Energietechnologien auf das zukünftige Marktdesign haben wird (siehe Abbildung oben auf dieser Seite).

Ein in diesem Kontext systematisches Basiswissen schaffendes Projekt wird seit dem Jahr 2010 unter dem Titel „Improsume: The Impact of Prosumers in a Smart Grid based Energy Market“ vom NCE Smart Energy Markets in Kooperation mit der Aarhus Business School (Dänemark) und der Universität St. Gallen (Schweiz) durchgeführt. Es geht von der Prämisse aus, dass der Strommarkt mit der Entwicklung von Smart Grids vor gewaltigen Veränderungen steht. Neue Spieler, sogenannte Prosumer treten im Markt auf, die sowohl Konsumenten von Energie als auch Produzenten sind. Sie zeichnen sich durch die Anwendung von Erzeugungs-, Speicher-, Überwachungs- und Kommunikationstechnologien aus. Im Rahmen des Projektes werden die Nutzenwahrnehmung von Smart-Metering-Technologien durch den Endkunden und Möglichkeiten zur Schaffung von Akzeptanz und aktiver Teilnahme an smarten Energiemärkten untersucht.

Nationale Unterschiede

Vor dem oben genannten Hintergrund haben sich die dänischen Partner der Fragestellung gewidmet, welche Faktoren zu einer Akzeptanz der Prosumer-Rolle führen können. Erste Ergebnisse eines empirischen Feldtests und einer Online-Befragung mit mehr als 1500 Teilnehmern aus Dänemark, Norwegen und der Schweiz deuten darauf hin, dass neben rein finanziellen Vorteilen vor allen Dingen gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtseffekte und ökologische Vorteile Elektrizitätskunden zum aktiven Wahrnehmen einer Prosumerrolle motivieren können.

Daneben wird in den Befragungen deutlich, dass signifikante nationale Unterschiede hinsichtlich der Wahrnehmung der durch Smart Metering hervorgerufenen Veränderungen bestehen. So sind beispielsweise die in der Schweiz befragten Personen von der generellen Nützlichkeit der Einführung smarter Technologiekomponenten für Haushalte und kleinere Gewerbe überzeugt, jedoch gegenüber den dänischen und norwegischen Befragten ebenfalls am sensibelsten hinsichtlich des damit potentiell verbundenen Kontrollverlustes [1].

Die schweizerischen Projektpartner kommen, basierend auf einer ausführlichen Kosten- und Nutzenanalyse des Smart Metering, einerseits zu der Einsicht, dass das Ansprechen ökologischer Sensibilität ein höchst relevanter Faktor für die Motivation zur aktiven Auseinandersetzung mit und Nutzung von smarten Technologien ist. Andererseits sollten verschiedene Kundensegmente mit einfachen, transparenten Preismodellen individuell angesprochen werden. Dies kann beispielsweise durch Tarife für risikobewusste, technologieaffine, kostenbewusste und sicherheitsbewusste Gruppen geschehen, bei denen verschiedene Technologiemöglichkeiten angeboten und vom Versorger unterschiedliche Ertragsmechanismen (monatliche Grundgebühr, Preis pro kWh) kombiniert werden [2].

Großes Potenzial bei hohem Stromverbrauch

Erste norwegische Untersuchungsergebnisse verweisen darauf, dass das quantitative Potenzial von Smart-Metering-Lösungen im Heimatland deutlich größer als in den meisten zentraleuropäischen Ländern ist. Durch die Kombination von relativ kalten Temperaturen, einer landesweit fast ausschließlich elektrischen Flächenbeheizung und Warmwasserbereitung mit Boilern resultiert ein durchschnittlicher, jährlicher Haushaltsstromverbrauch in Höhe von rund 24.000 kWh. Folglich bieten trotz tendenziell niedrigerer Strompreise als in Zentraleuropa Maßnahmen zur Lastverschiebung/Demand Response in Norwegen deutlich höhere finanzielle Anreize und quantitative Lasteffekte als in anderen Ländern. Dies begünstigt zudem die Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Echtzeit-Handelssystemen und dezentraler, lokaler Elektrizitätshandelsplätze, die in Halden vor allem vom Cluster-Partner Navita Trading Systems verfolgt wird [3].

Private Stromkunden hassen Fremdbestimmung

Besitzen Bewegungen wie Stuttgart 21 oder Occupy Wall Street auf abstrakter Ebene eine Relevanz für das Haushaltssegment bei Stromkunden? Ihnen ist gemeinsam, dass sie im Kern eine Ablehnung gegenüber Fremdbestimmung durch Branchen beziehungsweise Konzerne ausdrücken. Entsprechend erster Ergebnisse der kooperativen Projektarbeit könnte auch bei Elektrizitätskunden eine Tendenz dazu vorliegen, sich dieser Fremdbestimmung zu entziehen. Dezentral eigenerzeugte Elektrizität könnte in Abhängigkeit vom zeitlichen Einspeiseverhalten auch ohne finanzielle Ausgleichsmechanismen in größerem Umfang als bereits heute mit anderen Kleinsterzeugern getauscht werden. In diesem Kontext wird zu untersuchen sein, ob und wann eine Kultur von „social energy networks“ Realität wird und welche Implikationen für Marktstruktur und -rollen sich daraus ergeben [4].

Weitere Informationen

[1] Geertje Schuitema, John Thøgersen, Madeleine B. Toft: Consumer Acceptance of Playing an Active Role in the Smart Grid: A Three Countries Study, Präsentation zur Sustainable Consumption Conference, Hamburg, 2011.

[2] Simon Kaufmann, Moritz Loock und Rolf Wüstenhagen: Kundenpräferenzen für Smart Metering in der Schweiz: Ergebnisse einer explorativen Studie (Working Paper), Universität St. Gallen, 2011.

[3] Anette Nordskog und Jo Morten Sletner: Taking the Leap into Smart Energy Markets, Energy Risk, 2011.

[4] Christian Kunze: Mit smarten Systemen neue Geschäftsmodelle schaffen, Präsentation zum Symposium Energie des Beirates Wachstum - Impulse - Effizienz (WIE), Aachen, 2011.

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