Smart Traffic & Mobility Leichtbau mit Magnesiumblech

Industrieprozess: Pilotlinie zur Herstellung von Magnesiumband mit Gießwalzanlage (links) und Reversier-Bandwalzgerüst (rechts)

Bild: MGF
24.04.2014

Die Verfügbarkeit kostengünstiger Magnesiumhalbzeuge und geeigneter industrieller Verarbeitungsverfahren eröffnet neue Möglichkeiten für einen wirtschaftlichen Karosserie­leichtbau. Ein Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse und Anwendungstrends.

Für die Effizienzsteigerung moderner Fahrzeuge sind wirtschaftliche Leichtbaulösungen von entscheidender Bedeutung. Gegenüber herkömmlichen Stahl- und Aluminiumbauweisen lassen sich mit dem Einsatz von Magnesiumblech Masseeinsparungen im Bauteil von 20 bis 30 Prozent gegenüber Aluminium und 50 bis 70 Prozent hinsichtlich Stahl realisieren. Bei flächigen Bauteilen erreichen Magnesiumbleche ein gleich hohes Leichtbaupotenzial wie kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe bei gleichzeitig erheblich geringeren Herstellungs- und Verarbeitungskosten.

Mangels Verfügbarkeit eines wirtschaftlichen Herstellungsverfahrens und aufgrund des bestehenden Entwicklungsrückstandes gegenüber Stahl und Aluminium waren die Einsatzmöglichkeiten für Magnesiumblechhalbzeuge in der Vergangenheit begrenzt. Vorbehalte bestanden unter anderem gegenüber der erreichbaren Werkstoffqualitäten, der Möglichkeit der Verarbeitung, der Sicherheit, der Korrosionsbeständigkeit sowie der Herstellungs- und Verarbeitungskosten. Magnesiumbleche werden deshalb bisher hauptsächlich im Sonderfahrzeugbau sowie im Motorsport eingesetzt.

Im Rahmen des Innovationsbündnisses „TeMaKplus“ arbeiten Wissenschaftler aus Industrie und Forschung gemeinsam an der Entwicklung technologischer Lösungen, mit denen die vorhandenen Potenziale von Magnesiumblech auch für den Einsatz in der Serie ausgeschöpft werden können. Neben einer Verbesserung der Werkstoff- und Bauteileigenschaften steht dabei insbesondere die Serientauglichkeit und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Dabei wird die gesamte Prozesskette von der Werkstoffentwicklung über die Verarbeitung bis hin zum Einsatz im Automobil zusammenhängend betrachtet.

Aufbau einer industriellen Prozesskette

Eine wesentliche Grundlage für den großtechnischen Einsatz von Magnesiumflachprodukten bildet die innovative Technologie des Gießwalzens und Bandwalzens, die eine kosteneffiziente Produktion industriell verarbeitbarer Halbzeuge ermöglicht. Gegenüber dem bisher verbreiteten Verfahren eines vielstufigen Walzens gegossener Brammen ermöglicht das Gießwalzen durch den Einsatz eines kostengünstigen Vormaterials (handelsübliche Masseln), den Entfall zahlreicher Prozessstufen und einen einfacheren Anlagenaufbau erhebliche Kosten­einsparungen und schafft damit die Voraussetzungen für einen konkurrenzfähigen Preis der Halbzeuge. Realisiert wird dieses Verfahren in einer gemeinsam von MgF Magnesium Flachprodukte und der TU Bergakademie Freiberg betriebenen Pilotlinie, die die Herstellung von Magnesiumband mit Breiten bis 650 mm und Dicken zwischen 1 und 7 mm ermöglicht (Abbildung Seite 53). Das Material kann sowohl in Form von Tafeln als auch als Coil geliefert werden, wobei die Kapazität zur Abdeckung mittlerer Seriengrößen bereits heute vorhanden ist.

Mit einer Streckgrenze im Bereich um 200 MPa (kalt), Zugfestigkeiten von 280 MPa und Bruchdehnungen über 20 Prozent liegen die mechanischen Kennwerte der Magnesium-Halbzeuge im Bereich verbreiteter Aluminiumblechwerkstoffe und bieten für zahlreiche automobile Anwendungen beste Voraussetzungen. Neben der hauptsächlich verwendeten Magnesium-Legierung AZ31 wurde das Verfahren bereits für weitere Legierungen der Familien AZ und AM sowie die Seltene Erden enthaltenden Legierungen ZE10, ME21 und WE43 erprobt.

Besonderheiten bei der Verarbeitung von Magnesiumwerkstoffen ergeben sich daraus, dass aufgrund der hexagonalen Gitterstruktur des Werkstoffes erst oberhalb von 225 °C eine ausreichende Umformbarkeit gegeben ist und viele Verarbeitungsschritte somit temperiert durchzuführen sind. Die geringe spezifische Wärmekapazität und die gute Wärmeleitfähigkeit machen dabei den Einsatz beheizter Werkzeuge erforderlich. Die Prozessgestaltung und Werkzeugauslegung bildeten deshalb einen wichtigen Schwerpunkt der bisherigen Entwicklungsvorhaben. Für alle verbreiteten Verfahren der Blechumformung konnten in den letzten Jahren praktikable Lösungen gefunden werden. Gegenwärtig konzentrieren sich die Arbeiten auf die Qualifizierung von Sonderverfahren für die Verarbeitung von Platinen sowie auf die Entwicklung mehrstufiger Prozesse und Verfahrenskombinationen zur automatisierten und kontinuierlichen Verarbeitung von Magnesiumband direkt vom Coil. So wurden von den Projektpartnern Aweba und KWD komplexe Werkzeuge für die Transfer- sowie für die Folgeverbundverarbeitung von Magnesiumband aufgebaut (Abbildung Seite 54). Taktraten von mehr als 10 Hub/Minute im Folgeverbund konnten dabei bereits realisiert werden. Mit der zunehmenden Erfahrung und dem Aufbau automatisierter Prozessketten lassen sich die aufgrund der Einzelteilfertigung noch hohen Verarbeitungskosten von Magnesiumblech perspektivisch auf das Niveau heute verbreiteter Standardwerkstoffe reduzieren.

Für die Verbindung von Magnesiumkomponenten sowie die Anbindung an Baugruppen aus anderen Werkstoffen (Stahl, Aluminium, CFK) wurden verschiedene thermische und mechanische Fügeverfahren etabliert, die prozesssicher eingesetzt werden. Dies betrifft das Laser- und das Lichtbogenschweißen, das Clinchen, das Halbhohlstanznieten und das FDS-Schrauben. Für das Lichtbogenschweißen werden aktuell Nahtüberbrückungen von bis zu 2 mm und Schweißgeschwindigkeiten von mehr als 0,9 m je Minute erreicht.

Schließlich konnten auch für den Oberflächen- und Korro­sionsschutz geeignete Lösungen entwickelt werden. So zeigen Magnesiumbleche mit Vorbehandlung und KTL-Beschichtung in den automobiltypischen Korrosionstests ähnlich gute Ergebnisse wie verbreitete Stahlwerkstoffe. Im geschützten Innen­bereich kann Magnesiumblech sogar ohne jegliche Oberflächenbehandlung gefahrlos eingesetzt werden.

Anwendungspotenziale im Automobilbau

Nachdem in früheren Forschungsprojekten bereits die grundsätzliche Machbarkeit eines breiten Einsatzes von Magnesiumblech im Fahrzeugbau nachgewiesen werden konnte, lässt sich inzwischen feststellen, dass die Wirtschaftlichkeit, Prozessqualität und Produktivität der Herstellung und Verarbeitung auf ein Maß angehoben werden konnten, das auch den industriellen Einsatz in der Serie ermöglicht. Dabei zeigen Tests an verschiedenen Prototypen und Testträgern, dass Bauteile aus Magnesiumblech in der Regel auch ohne größere Anpassungen den sehr hohen Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen der Automobil­industrie gerecht werden. Die Vorzüge von Magnesiumblech als Einsatzwerkstoff für die Automobilindustrie ergeben sich einerseits aus den bestehenden Leichtbaupotenzialen gegenüber anderen metallischen Werkstoffen, andererseits bietet Magnesium gegenüber den als Leichtbauwerkstoff immer stärker an Relevanz gewinnenden faserverstärkten Kunststoffen wichtige Vorzüge. Etwa eine sehr gute und vielseitige Verarbeitbarkeit, ein ausreichendes Umformvermögen im Crashfall, elektromagnetische Abschirmung, eine gute Leitfähigkeit für Wärme- und Strom sowie eine gute Umweltverträglichkeit. Vor dem Hintergrund der EU-Altfahrzeugregelung, die eine Steigerung der Recyclingquote bis zum Jahr 2015 auf 95 Prozent der Fahrzeugmasse vorschreibt, stellt auch die vollständige stoffliche Wiederverwertbarkeit von Magnesiumschrotten einen wichtigen Vorteil gegenüber dem Einsatz faserverstärkter Kunststoffe dar.

Besonders in flächigen Karosseriebauteilen kann Magnesiumblech seine Potenziale optimal zur Geltung bringen. Hier lassen sich gleichwertige und teilweise höhere Massereduzierungen realisieren als mit kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen, bei gleichzeitig deutlich geringeren Herstellungs- und Verarbeitungskosten. Zu den bevorzugten Anwendungen von Magnesiumblech im Automobil zählen deshalb insbesondere die Innenbleche von Motorhauben, Türen und Heckklappen, Dach und Dachspriegel, Sitzschalen, Sitzrückwände sowie die Stirnwand. Fast alle dieser Anwendungen wurden inzwischen in Prototypen erfolgreich erprobt und werden für den Einsatz in Serienmodellen in Erwägung gezogen.

Magnesium als zukunftsfähiger Werkstoff

Als eines der auf der Erde am häufigsten vorkommenden Elemente (etwa 2 Prozent Massenanteil in der Erdkruste), das zudem aus vielfältigen und weit verbreiteten Quellen gewonnen werden kann (Dolomit- und Marmorlagerstätten, Salzlagerstätten und Salzseen, Meerwasserentsalzungsanlagen) sind die natürlichen Vorkommen an Magnesium im Gegensatz zu denen vieler anderer Rohstoffe fast unerschöpflich. Nachdem das zurückliegende Jahrzehnt durch eine zunehmend marktbeherrschende Stellung chinesischer Produzenten gekennzeichnet war, werden derzeit in verschiedenen Ländern der Erde größere Kapazitäten für die Primärerzeugung von Magnesium aufgebaut. Für die Zukunft werden vor allem in Verbindung mit der zunehmenden Bedeutung der Meerwasserentsalzung zur Trinkwassergewinnung weitere Potenziale für eine kostengünstige Erzeugung gesehen, da mit Magnesiumverbindungen angereicherte Lösungen hier zu den wichtigsten Nebenprodukten zählen. Von vielen Experten wird deshalb auf Dauer ein stabiler oder sogar sinkender Preis für Magnesium prognostiziert.

Als positiv ist auch der Trend zu beurteilen, den hohen Energiebedarf für die Primärerzeugung von Magnesium zunehmend aus regenerativen Quellen zu decken, die in vielen Ländern kostengünstig zur Verfügung stehen. Durch die in neuen Produktionsanlagen zum Einsatz kommenden effizienteren Verfahren konnten die in Verbindung mit der Herstellung von Magnesium entstehenden Emissionen schon heute auf einen Bruchteil des noch vor wenigen Jahren üblichen Standards reduziert werden. Weil sich künftig die Möglichkeit bieten wird, auch auf wiederverwertetes Magnesium zurückzugreifen, das mit noch einmal deutlich verringertem Energieaufwand aufbereitet werden kann, ist der Einsatz von Magnesiumblech aus Umweltgesichtspunkten ebenfalls als sehr günstig zu bewerten.

Magnesiumblech darf somit zu Recht als zukunftsfähiger Werkstoff mit noch großem Potenzial gelten. Realisierbare Leichtbaueffekte, günstige Eigenschaften und die Verfügbarkeit hochproduktiver und wirtschaftlicher Herstellungs- und Verarbeitungstechnologien machen es zu einem interessanten und auch aus Umwelt- und Nachhaltigkeitssicht attraktiven Einsatzwerkstoff für automobile Anwendungen.

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