Fachbeitrag Zum Ernten aufs Dach

Kurze Wege: Hat man Lebensmittel auf dem Dach, sind sie schnell zur Hand.

Bild: Leonardo Patrizi/iStockphoto
31.01.2014

Gebäudegebundene Landwirtschaft als Folge von Urbanisierung und Flächenmangel liegt im Trend. Ob horizontal oder vertikal – städtische Gärten tragen zur gesunden Ernährung und dem menschlichen Miteinander bei. Ein Projekt in Berlin zeigt, wie das geht.

In den letzten 200 Jahren verdreifachte sich der in Städten lebende Anteil der deutschen Bevölkerung von 25 auf 75 Prozent. Um dem Rechnung zu tragen, wachsen Städte meist in die Höhe. Da bleibt kaum Platz für Grünflächen oder gar Felder zum Gemüseanbau. Nun wachsen nicht mehr allein die Häuser in den Himmel, sondern auch die Landwirtschaft, damit Menschen wieder Raum zum Anbau von Pflanzen finden.

Urbanes Gärtnern ist keine Neuerscheinung in Deutschland. Doch während die Entwicklung vor 150 Jahren mit den „Armengärten“ und danach Kleingärten begann, geht der heutige Trend zu „Guerilla Gardening“ und zur Landwirtschaft über statt auf dem Erdboden. Ob vertikal oder horizontal, mit Fischen, Glasdach oder ganz natürlich im Freien – die Schwerpunkte der gebäudegebundenen Begrünung sind genauso vielfältig wie ihre Namen und Motive und widmen sich nachhaltigen Aspekten wie Ökologie, Ökonomie und Sozialem.

Ökologischen Mehrwert zu erzielen, ist der wohl naheliegendste Grund für urbane Begrünung. Versiegelte Flächen, städtische Überhitzung sowie Lärm und Feinstaub werden durch Dachgärten reduziert und das Stadtklima gesamtheitlich verbessert. Gleichzeitig fördern Dachbegrünungen die Verdunstung von Niederschlag, entlasten Siedlungsentwässerung und Kläranlagen. Darüber hinaus tragen sie durch ihr Mikro-Ökosystem zur Biodiversität bei, dienen Tieren und Pflanzen als Habitat. Auch indirekt fördert ein Dachgarten den Klimaschutz: Durch den Anbau von Lebensmitteln am Ort des Verzehrs können Transportwege vermieden werden; dies entlastet den (inter-)städtischen – häufig auch internationalen – Verkehr und reduziert Schadstoffemissionen.

Ökonomische Vorteile

Darüber hinaus bringen Dachbegrünungen in ökonomischer Hinsicht Pluspunkte. Sie sorgen für Energieeinsparungen durch erhöhte Gebäudedämmung und verbessern das Raumklima der darunter liegenden Räumlichkeiten – auch ohne Klimaanlage. Dies reduziert Kosten und bewegt bereits viele wirtschaftliche Betriebe, in Dachbegrünungen zu investieren.

Der soziale Nutzen eines Dachgartens steht beispielsweise beim „RoofTUBgarden“ [2] im Mittelpunkt: Er fungiert als Erholungs- und Gemeinschaftsort für die Nachbarschaft. Durch den Anbau von Lebensmitteln werden Ernährungs- und Umweltbildung in einem fassbaren Format angeboten und Wertschätzung für Lebensmittel vermittelt. Die zerrissene Verbindung zwischen Mensch und Natur – ein Kollateralschaden der Industrialisierung – kann wiederhergestellt werden.

Eine Frage der Planung

Die Planung eines Dachgartens für den Anbau von Lebensmitteln bedarf eines interdisziplinären Teams mit Vertretern der Architektur, Grünplanung, Haustechnik, Bauphysik, Statik und des Brandschutzes. Ist der Ort noch nicht bestimmt, empfiehlt sich eine Standortanalyse in Frage kommender Flächen unter Nutzung von Lageplänen, bevor man zur Bautechnik und -physik übergeht. Letztere umfassen die Dachkonstruktion und das -gefälle sowie die statische Belastbarkeit der Fläche [3].

Ein Dachgarten, der für den Lebensmittelanbau genutzt wird, fällt unter die Intensivbegrünung und erfordert ein Flachdach, das Verkehrslasten zwischen 2,0 kN/m² und 5,0 kN/m² inklusive Schneelasten trägt [4]. Weiterhin zu beachten sind das Vorhandensein von Windsog- und Verwehsicherung, Brandschutzsicherung, Entwässerungseinrichtungen, Dachabdichtungen und Wurzelschutz, Absturzsicherung, begeh- und befahrbare Zugänge, Bauvorschriften (siehe unten) und eventuelle Zusatzfunktionen (etwa Photovoltaikanlage, Regentonne, Geräteschuppen) [5, 6].

Im Anschluss an die Bautechnikanalyse wird der Begrünungsplan aufgestellt. Bei der Vegetationstechnik ist Folgendes zu bedenken: Sonnenexposition, Art der Begrünung (Hydro- und Aquaponik), Wasserrückhalt und -anschluss, Samen- und Pflanzenauswahl, Bewässerungsverfahren sowie Pflege und Wartung [7]. Für den RoofTUBgarden wurde eine modulare, selbstbewässernde Begrünung ausgewählt unter Schaffung eines autarken Ökosystems mit in sich geschlossenen Stoffkreisläufen (Permakultur), die auf chemische Dünger, Pestizide und Herbizide verzichtet. Die Auswahl von Nahrungsmittel-, Heil-, Dünge- und Schädlingsbekämpfungspflanzen sowie Pilzen war auf die ganzjährige Ernte ausgelegt [8].

Der Gemeinschaftsgarten ist eine häufige Betriebsform heutiger urbaner Gärten. Sofern er – wie der RoofTUB­garden – permanent zugänglich ist, birgt er ein Risiko für Missbrauch und Vandalismus. Aus diesem Grund ist es essenziell, die Nachbarschaft mit einzubeziehen, um ein gemeinschaftliches Interesse am Erhalt des Gartens entstehen zu lassen. Für alle auftretenden Schäden und Haftungsansprüche Dritten gegenüber trägt der Grundstücksbesitzer die Verantwortung (Verkehrssicherungspflicht) [9]. Diese kann durch eine Nutzungsvereinbarung auf einen Nutzer übertragen werden. Zum Schutz vor eventuell hohen Kosten empfiehlt sich daher der Abschluss einer Haftpflichtversicherung sowie einer gesetzlichen Unfallversicherung.

Nutzung und Kosten

In Deutschland existieren derzeit keine Gesetze explizit zur Dachbegrünung. Dennoch sind gesetzliche Regelungen zum Bebauen von Flächen zu beachten, darunter der B-Plan [10], der Flächennutzungsplan (FNP), die Baunutzungsverordnung (BauNVO) und die örtliche Bauordnung. Unter Umständen sind die örtlichen Nachbarschaftsrechts- und Lärmschutzgesetze sowie der Denkmalschutz von Relevanz.

Richtlinien und Merkblätter haben eine ebenso wichtige Eigenschaft bei der Planung wie gesetzliche Vorgaben. Hervorzuheben ist die „Richtlinie für die Planung, Ausführung und Pflege von Dachbegrünungen – Dachbegrünungsrichtlinie“ der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) [11], welche in den Normen des Deutschen Instituts für Normung (DIN) verankert ist.

Des Weiteren gibt es drei Förderungsmöglichkeiten für permanente Dachbegrünungen: Die direkten finanziellen Zuwendungen werden auf kommunaler Ebene in unterschiedlichen Höhen zwischen 10 und 20 Euro pro Quadratmeter vergeben [12]. Die indirekte Förderung ergibt sich aus oben erwähnten Einsparpotenzialen. Eine dritte Form der Finanzierung ist die bundepolitische, umgesetzt von der KfW Bank, die zinsgünstige Kredite für spezielle Formen des Gründachs anbietet [13].

Mobile Gärten wie der RoofTUBgarden verursachen im Vergleich zu permanenter Dachbegrünung weniger Kosten und können nicht von diesen Quellen profitieren. In diesem unkommerziellen Umfeld besteht die Möglichkeit zu Crowdfunding, Verpachtung von Parzellen, Inanspruchnahme von Pro-bono-Dienstleistungen sowie Material­spenden.

City in a Garden

Dachbegrünungen haben das Potenzial, Leben in Städten angenehmer zu gestalten, sind in ihrer Form als landwirtschaftliches Instrument zum jetzigen Zeitpunkt jedoch rar. Die Eintrittsbarrieren für permanente, intensive Dachgärten sind mit mindestens 1000 Euro pro Quadratmeter und limitierten Fördermöglichkeiten sehr hoch. Die mobile, kostengünstige Variante des Lebensmittelanbaus auf Dächern kann Ernährungs- und Umweltbewusstsein dort stärken, wo es bislang fehlt. Sie sollte sozial benachteiligten Menschen daher nicht vorenthalten werden, sondern ihre Funktion als Türöffner zu Chancengleichheit entfalten können. Machbarkeitsstudien sind dabei genauso wichtig wie eine offene Haltung gegenüber Innovation.

Weitere Informationen

[1] http://goo.gl/Xxj4BD

[2] www.kulina-ev.de

[3] DIN EN 1991-1-1 „Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-1: Allgemeine Einwirkungen auf Tragwerke – Wichten, Eigengewicht und Nutzlasten im Hochbau“

[4] DIN EN 1991-1-3 „Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-3: Allgemeine Einwirkungen; Schneelasten“

[5] Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks – Fachverband Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik: Deutsches Dachdeckerhandwerk – Regeln für Abdichtungen. Mit Flachdachrichtlinie. Rudolf Müller 2012

[6] Manfred Köhler (Hg.): Handbuch Bauwerksbegrünung, Rudolf Müller 2012, S. 39 ff.

[7] www.gruendaecher.de/Checkliste_1.aspx

[8] Alan Buckingham: Der Nutzgarten: Monat für Monat richtig planen. Dorling Kindersley Verlag 2010

[9] §§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

[10] § 9 Baugesetzbuch (BauGB)

[11] www.fll.de

[12] www.dachbegruenung-ratgeber.de/startseite/gruendachfoerderung

[13] www.kfw.de

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